Über mich

„Es gibt sie noch, die klassischen Reporter, die das eigene Auge gebrauchen“

Leon de Winter über Eugen Sorg

Geboren im August 1949 wuchs ich als Sohn eines Polizeibeamten und einer Sekretärin mit zwei älteren Brüdern in einer Genossenschaftssiedlung in Zürich-Wiedikon auf. In Zürich absolvierte ich Schulen und Universität, die ich mit einem Lizentiat über „Die naturalistische Philosophie der französischen Aufklärung“ im Fachbereich historisch-systematische Pädagogik abschloss. Wenige  Jahre später, 1989, promovierte ich beim selben Professor mit der Dissertation „Sozialutopie und Pädagogik“, einer kritischen Abhandlung über die grandiose Selbstüberschätzung pädagogischer Modelle und die totalitären Versuchungen des utopistischen Denkens.

Beruflich war ich in den Achtzigerjahren als Psychologe an einer Krisenberatungsstelle gegen Kindsmisshandlung tätig, um zu Beginn der Neunziger zum Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) zu wechseln. Mein erster Einsatz als Delegierter brachte mich in den Südsudan, wo ein vergessener Langzeit-Bürgerkrieg zwischen dem islamischen Norden und dem christlich-animistischen Süden herrschte. Es ging um Autonomie, Öl und Sklavenhandel.

Meine nächste Mission führte mich ins zerfallende Jugoslawien, das im Begriff war, im eigenen Blut zu versinken. Die serbischen Kampfverbände hatten sich eben daran gemacht, Bosnien „ethnisch zu säubern“, das heisst alle Kroaten und Bosniaken aus jenen Gebieten zu vertreiben, die als historisch-serbischer und heiliger Boden beansprucht wurden.

Die Gespräche und Begegnungen mit Opfern, Tätern, Davongekommenen erschütterten mich. Es war offenbar menschenmöglich, zu foltern, ohne Mitleid mit dem Flehenden zu empfinden, zu töten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, zum gnadenlosen Menschenschinder zu werden, ohne ein Psychopath zu sein. Es reicht eine regelarme Situation, die Aussicht auf Straflosigkeit, die Bestätigung durch eine Gruppe von  Kumpanen, um aus einem normalen Menschen einen Killer zu machen. Mein Grundvertrauen in die Welt geriet ins Wanken. Die Kriegserlebnisse hatten mich traumatisch gelehrt, wie brüchig die Decke der Zivilisation war. Der Schock war schmerzhaft, aber auch produktiv. Er zwang mich, bequeme Gewissheiten und selbstgewiss vorgetragene Naivitäten in Frage zu stellen. Ich musste meine Identität neu erfinden. Die Welt war unberechenbarer, unheimlicher, aber wieder spannend geworden.

Nach meiner Rückkehr in die Schweiz arbeitete ich als Journalist, zuerst beim Magazin des Tages-Anzeiger, dann bei der Weltwoche, schliesslich als Textchef bei der Basler Zeitung. In journalistischer Hinsicht war es eine grossartige Zeit. Der Kalte Krieg hatte geendet, die alten, betonierten Verhältnisse bekamen  Risse und Löcher, und in das Vakuum hinein drängten Völker, Ideen und archaische Erweckungsbewegungen, von deren Existenz man noch nie gehört hatte, die jedoch die geopolitischen Landkarten neu vermassen und zeichneten. Und die Medienverlage hatten Geld.

Wer neugierig war und wie ich das Glück hatte, für begeisterungsfähige Chefredaktoren  zu arbeiten, konnte Themen und Schauplätze auswählen, über die er selber gerne lesen würde, über die aber noch kaum Brauchbares geschrieben worden war.

Jede meiner Reisen in Kriegs- und Chaoszonen war ein Vorstoss in unbekanntes Terrain, eine Entdeckungsfahrt, von der ich reicher und gleichzeitig demütiger zurückkehrte. Ich war oft in nicht ungefährlichen Situationen unterwegs, doch die Aussicht auf spannende Erkenntnisse und unerhörte Geschichten überwog fast immer bei weitem die Angst. Es klingt paradox, aber inmitten der existenziellen Tumulte, die Unruhen und Kriege mit sich bringen, fühlte ich mich lebendig und glücklich.  

In Liberia lernte ich ehemalige Kindersoldaten kennen, heillos verwilderte und verrohte Seelen, die nach unsäglich grausamer Zurichtung durch fast gleichaltrige Vorgesetzte, selber zu mitleidlosen Killern geworden waren. In Afghanistan wurde ich Zeuge, wie sich ein stolzes Volk in einem atemberaubend schönen Land sich rettungslos zerfleischte und ruinierte, teils wegen Invasionen ausländischer Mächte, teils aus eigener Unfähigkeit, sich über uralte Stammes-Kodexe bezüglich Ehre und Rache hinwegzusetzen. Ein junger somalischer freelance gunmen, also ein freischaffender Bandit, der sich unabhängig von einem Stammesverband Khat, Alkohol und Sex verschaffte, erklärte mir, warum das Leben im damals von machthungrigen Clans eroberten und verwüsteten Mogadischu gut sei, besser auf jeden Fall als in Europa, da viel freier. Überall wo ich hinkam, ins Rebellengebiet von Angola, bei den Stammesangehörigen im Jemen, die sich auf die Entführung von Westlern spezialisiert hatten, bei den Dschungeltrupps der kolumbianische Armee, die Jagd auf Guerilla-Terroristen und Kokainlabors machten, führte mir das Erlebte  aufs Neue vor Augen, wie eindimensional und illusionistisch das westlich-therapeutische Menschenbild ist. Es verhindert die Wahrnehmung von düsteren, destruktiven Human-Motiven und ist fatalerweise blind für die Wirkungsmacht irrationaler, anarchischer Impulse auf Politik und Gesellschaft.                       

Meine Reportagen wurden in vielen internationalen Publikationen abgedruckt: Rolling Stone (Deutschland, Kolumbien, USA), Frankfurter Rundschau, FAZ, La Repubblica, Internazionale, Deng, Nieuwe Revu, GQ, Playboy, uam. Im Jahr 2003 zeichnete mich die Jury des Türler Medienpreis für meine Auslandreportagen aus, und hob u.a. die „unverwechselbare Sprache“ hervor, sowie die „präzise Beobachtung“, und das „Einfühlungsvermögen“.             Eine Auswahl der Kriegsberichte erschien 2007 als Buch im Verlag Nagel & Kimche mit dem Titel „Unbesiegbar. Reportagen“, Bildern des Fotografen Nathan Beck und einem Vorwort des holländischen Schriftstellers Leon de Winter.

Ein paar Jahre später versuchte ich in einem Essay die Erfahrungen aus meinen Reisen einzuordnen und zu verarbeiten. Das Ergebnis des Nachdenkens und der Selbstreflexion erschien, erneut bei Nagel & Kimche, unter dem Titel „Die Lust am Bösen. Warum Gewalt nicht heilbar ist“. Eine Kurzform der Abhandlung publizierte das TagesanzeigerMagazin unter dem gleichen Titel am 5. Februar 2011. Der Text wurde vom renommierten Reporterforum zum „besten Essay“ mit dem deutschen Reporterpreis 2011 ausgezeichnet. Medienprofessor Bernhard Pörksen würdigte in seiner Laudatio in Berlin den „überraschenden Blick auf die Welt, seine klare Argumentation und die sprachliche Kraft des Essays.“

Nebst meiner lebenslangen Faszination für die einmalige und rätselhafte menschliche Fähigkeit, überragende geistig-kulturelle und politische Universen zu erschaffen um diese wieder in den Abgrund zu stossen, beschäftigten mich immer auch damit verwandte Phänomene wie die Liebe, die sich einmal als Himmelsmacht und im nächsten Fall als Katastrophe zeigt. Oder die ungelöste Frage nach dem Ursprung des Bösen oder nach dem Sinn unseres Daseins oder danach, ob wir für den Verlauf unseres Lebens, für unser Scheitern oder unseres Glück selber verantwortlich oder ob es die Umstände, die Erbanlagen, der Zufall sind. Ich erachte es als gewaltiges Privileg, dass ich diesen fundamentalen Grübeleien nachgehen konnte, dafür sogar bezahlt und überdies gezwungen wurde, alles in nachvollziehbaren Gedanken, möglichst eleganten Sätzen, plausiblen Geschichten zu formulieren, auf dass der Leser nicht den Kopf schüttelt, kaum hat er angefangen zu lesen. Der Journalist als Übersetzer der onthologischen Grundwidersprüche in die Sprache der listigen Profanität, in den schlau-frivolen Diskursalltag der nicht-akademischen Stände mittels feuilletonistisch-boulevardesken Zwischenrufen, Kommentaren, Kolumnen, wie: „Eine Frage der Moral“, „Randnotiz“ usw,  gehört zu dessen dankbarsten und kunstvollsten Aufgaben.          

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