Basler Zeitung

06.12.2013

Obama versprach, den Planeten zu heilen. Die Medien glaubten ihm. Ein Fehler, der noch viel kosten wird

Ein Gott, der keiner war

Von Eugen Sorg

Er schien unverwundbar zu sein, unwiderstehlich, unbesiegbar, von einem magischen Schutzschild umgeben. Aufgetaucht aus dem Nichts, hatte Barack Hussein Obama, ein junger, dunkelhäutiger Senator aus Illinois, am Parteikongress der Demokraten 2004 eine Rede gehalten und war erstmals landesweit wahrgenommen worden. Nur vier Jahre später wurde der frühere Sozialarbeiter und Teilzeitdozent für Verfassungsrecht an der Universität von Chicago zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt.

Unter seiner Führung wuchs die Staatsverschuldung schnell in historisch nie gekannte Höhen, das Wirtschaftswachstum stagnierte, die Zahl der Armen nahm zu. Er brach zentrale Wahlversprechen (Guantánamo-Schliessung), seine konzeptlos, sprunghaft wirkende Aussenpolitik öffnete ein Vakuum in explosiven Regionen wie dem Nahen Osten, das von islamistischen Terrorbewegungen ausgefüllt wurde. Während die Welt unsicherer wurde, sanken Einfluss und Ansehen der USA.

Trotz der unschönen Bilanz wurde Obama für eine zweite Amtszeit gewählt. Nichts konnte seiner Beliebtheit etwas anhaben. Kein Skandal, keine politische Stümperei, keine windige Ausrede. Alles perlte am geschmeidigen Präsidenten ab. Und die Medien polierten eilfertig an seinem makellosen Bild. Dann geschah Unerwartetes. Seine Zustimmungswerte sackten innerhalb eines Monats unterhalb 40 Prozent, so tief wie jene von George W. Bush nach dem Hurrikan Katrina. Auslöser war die spektakulär scheiternde Einführung der neuen obligatorischen Gesundheitsversicherung, Obamas Prestige­projekt, mit dem er in die Geschichts­bücher eingehen wollte.

Jahrelang war «Obamacare» vorbereitet worden, ein Regelmonster von 2400 Seiten, das weder Obama noch die meisten Politiker gelesen hatten, und das Obama ohne eine einzige Stimme der republikanischen Opposition durchgewürgt hatte. Ein Gesetzeswerk, unbeliebt bei der Mehrheit des Volkes, das Eingriffen der Zentralregierung prinzipiell mit Skepsis begegnet. Am 1. Oktober dieses Jahres hätte die obligatorische Anmeldung starten sollen. Fünf Tage zuvor hatte Obama feierlich verkündet: «Millionen Amerikaner werden endlich in der Lage sein, eine qualitativ gute und bezahlbare Gesundheitsversicherung zu kaufen. So einfach, wie man einen Fernseher über Amazon kauft.»

Doch am 1. Oktober funktionierte die Website der Regierung nicht. Ein Chaos. Die wenigen, die sich einschreiben wollten, scheiterten auch nach vielen Versuchen. Eine Woche lang lief nichts. Ende Oktober war es erst 25 000 Willigen gelungen, die Regierungspolice zu kaufen. Doch es kam noch schlimmer. Obama hatte stets (36-mal, zählte jemand nach) hoch und heilig versprochen, dass jeder, der wolle, seine bisherige Gesundheitsversicherung und seinen Arzt behalten könne. Und nun stellte sich heraus, dass dies nicht stimmte. Das neue Gesetz erlaubte dies nicht. Und Obama hatte es von Anfang an gewusst. Er habe ein «inkorrektes Versprechen» gemacht, wie sogar die Obama treu ergebene «New York Times» schmallippig zugeben musste. Oder eine schamlose Lüge erzählt, wie es die Millionen ausdrückten, die plötzlich ohne eine Versicherung dastanden, schockiert, verraten, ohne eine neue zu haben.

Lügen über ermordete US-Diplomaten in Benghazi ist etwas anderes als lügen über die Gesundheitsversicherung. Libyen ist weit weg. Aber nichts ist so nahe wie die eigene Gesundheit und die der Kinder und der Frau. Obamacare geriet zum Debakel für den Präsidenten. Zum ersten Mal wurde Obamas Zauber gebrochen. Nicht weil die Medien seine Lüge aufgedeckt hätten, sondern weil eine kritische Masse von Bürgern sie am eigenen Leib erfahren hatte.

Die entspannte Dreistigkeit, mit der Obama dem Volk bis zum Schluss ins Gesicht gelogen hatte, war sogar für einen Politiker aussergewöhnlich. Vielleicht dachte er, er würde mit zwei oder drei Reden die Dinge wieder geradebiegen können. Sein Rednertalent hatte ihn immerhin bis an die Spitze der westlichen Supermacht getragen und sein imperiales Ego hatte ihn mit der Überzeugung gepolstert, dass er ein grosser, wahrscheinlich gar der grösste Präsident der Geschichte sein werde. Schon 2008 bei seiner Nominierung als Kandidat hatte er der jubelnden Masse zugerufen, er sei «absolut sicher», dass künftige Generationen auf diesen Tag zurückschauen und den Kindern erzählen würden, «dass dies der Moment war, als der Anstieg der Meere sich zu verlangsamen und der Planet zu heilen begann».

Dass seine Frau Michelle bekannt gab: «Er führte uns aus der Dunkelheit ans Licht», könnte man als kitschige Huldigung einer US-Politikergattin einordnen. Dass aber die Leitmedien mit genau dieser Haltung Aufstieg und Wirken des Politikers Obama begleiteten, ist nicht leicht zu übergehen. Viele Journalisten schlossen einen faustischen Pakt mit dem mächtigsten Mann der Welt. Sie schenkten Obama Seele, Gewissen und Verstand und glaubten so Teilhaber an seiner unendlichen Weisheit zu werden. Wie Teenager verliebten sie sich in ihr Idol und produzierten dampfende Fanpost anstatt politische Analysen.

«Oh Gott, ich spürte, wie dieses Kribbeln an meinem Bein hochging» (Chris Matthews, MSNBC, nach einer Obama-Rede). «Ich schaute auf sein Bein und sein perfekt gebügeltes Beinkleid, und ich denke, a) er wird ein guter Präsident, und b) er wird ein sehr guter Präsident» (David Brooks, Starkolumnist NYT ). «Er bewegt sich, wie er denkt: fliessend, aber präzis – ein grosser heller Junge. Seine täglich trainierten Muskeln sind nie zu sehen» (Constantin Seibt, «Tages-Anzeiger»). «Obama steht über dem Land, über der Welt, er ist eine Art Gott» (Evan Thomas, «Newsweek»).

Sich von einem unbekannten Politiker, der noch nicht mal einen Hotdog-Stand betrieben hatte, und von einem politischen Programm, dessen Kernaussage «Yes we can» einem TV-Cartoon für Dreijährige («Bob the Builder») entstammt, so verzücken zu lassen, ist peinlich. Schwerwiegender, ja desaströs ist, dass man den gesellschaftlichen Auftrag der Kontrolle der Mächtigen aufgegeben hatte. Obama war sich zu sicher, dass er sich alles erlauben kann. Die erstaunliche Verwandlung einer Generation Journalisten in Weihrauchkessel schwenkende Ministranten sollte Thema künftiger Medienausbildungen werden.

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