Doktor der Philosophie, Universität Zürich, 1989

Meine Dissertation: „Zum Verhältnis von sozialutopischen Systemen und Pädagogik, dargestellt anhand von sechs neuzeitlichen Sozialutopien“, geht von der Prämisse aus, dass das mit der europäischen Neuzeit entwickelte utopistische Denken in vielfacher Hinsicht dem als überwunden geglaubten christlichen Erlösungsversprechen strukturell und ideengeschichtlich verbunden blieb. Zwar lag das christliche Paradies jenseits von Zeit, Raum und Geschichte, während der neuzeitliche Idealstaat als eine innerweltlich-diesseitige, in der gesellschaftlichen Zukunft geborgene Wunschrealität verstanden wurde. Beide Konzepte jedoch teilten sich letztlich die Vorstellung, dass die Erlösung nur über einen vollständigen Bruch mit der verdorbenen alten Welt zu erreichen sei und dass diese radikale Neuschöpfung einem Heilsplan folge, einem übermenschlichen Willen zur Transition. In ersten Fall war Gott der allmächtige Beweger, im zweiten der utopistische Denker mit seinem genialen Plan, der unwiderlegbar beweisen sollte, welche rationalen Regeln und objektiv wissenschaftlichen  Gesetzmässigkeiten die Menschheit zum ewigen Glück führen würden.

Sowohl die religiöse als auch die weltliche Variante tendierten zum Anti-Humanismus. Sie unterwarfen die zur Freiheit geborenen menschlichen Subjekte zu unmündigen Erfüllungsgehilfen und Wasserträger des Fatums – Gott, Vernunft, Gesetz der Geschichte, Revolution.

Zu exemplifizieren war dies an den Modellen idealer Staatlichkeit, die von Denkern wie Thomas Morus, „Utopia“, Francis Bacon, „New Atlantis“, Etienne Cabet, „Reise nach Ikarien“ und anderen entworfen worden waren. Voraussetzung aller utopischen Projekteschmiederei ist die Annahme, dass der Mensch als Tabula rasa, als unbeschriebenes Blatt auf die Welt kommt, in das Familie, Gesellschaft und Kultur den von ihnen gewünschten Text eingravieren. Entsprechend zentral war die Rolle der Erziehung in den säkularen Politparadiesen. Von der Wiege bis ins Grab wird der Bürger Utopias von einer staatlich-edukativen Gesamtversorgung begleitet, die verhindern sollte, dass sich falsche Ideen, missliebige Gewohnheiten, asoziale, volksfeindliche Neigungen in seinem Herzen einschreiben können. Der Weltrettungsfuror übersieht dabei konsequent die dunkle Dialektik des pädagogischen Ethos: Gehirnwäsche, Manipulation, Triumph der Macht, Straflager. Glück war Staatsräson und Bürgerpflicht, Unglück ein Verbrechen.   

Historisch bedingt ahnungslos und entgegen ihren aufgeklärten, freiheitlichen Intentionen hatten die Architekten der Sozialutopien die totalitären, kollektivistischen, kommunistischen und faschistischen Regimes des 20. Jahrhunderts vorweggenommen. Hinter ihrem Polit-Nirvana des sozialen Friedens und der gütigen Harmonie, hinter ihren erzieherischen Allmachtsfantasien lauerte die Mätopie des totalen Betreuungs- und Überwachungsstaates, von dem auch heute noch viele Angehörige der Meinungseliten träumen. Die utopistische Illusion bleibt aktuell.                              

Prädikat:

„Mit Genauigkeit in der Darstellung, geistesgeschichtlichem Einfühlungsvermögen und scharfsinnigem kritischem Bewusstsein verfasst.“

Prof. Dr. F.-P. Hager, Referent

Nach oben scrollen