Die Weltwoche

22.10.2009

Islam

Ex-Jugoslawien sei Dank

Von Eugen Sorg

Schweizer Glück: Die meisten Muslime im Land kommen aus Gegenden, wo Religion praktisch keine Rolle spielt. Für die Scheinheiligkeit hiesiger Politiker sind sie gut genug.

In der Schweiz leben geschätzte 350 000 Muslime, mit fünf Prozent einer der höchsten Bevölkerungsanteile in einem europäischen Land. Und doch gibt es bei uns keine ethno-religiösen Enklaven, keine Radikalen-Subkultur, keine vermummten Gespenster, keine Terroranschläge von hier aufgewachsenen Gastarbeiter-Kindern. Unser Glück hat einen Namen: Ex-Jugoslawien. Rund 200000 der hiesigen Muslime sind ethnische Albaner aus dem Kosovo und Mazedonien, weitere 50 000 sind Bosnier. Sie sprengen sich nicht in vollbesetzten U-Bahnen in die Luft. Die Bosnier und vor allem die noch schitterer beleumundeten Albaner pflegen einen äusserst lockeren, toleranten, halb heidnischen Islam.

Der albanische Islam kennt keine Missionsgelüste, keinen Überlegenheitswahn, keinen Antisemitismus. Während der Nazibesetzung wurde kein Jude ausgeliefert. Man erwies sich als immun gegenüber dem Fanatismus, der Politisierung, dem Todeskult, der in den letzten Jahrzehnten weite Teile des Islam erfasst hat. Bei den weltweit über 11 000 islamistischen Terroranschlägen seit dem 11. September 2001 tauchte nie ein albanischer Name auf. Das aggressive Werben saudischer Prediger mit Prämien fürs Kopftuchtragen machte trotz Armut keinen Eindruck. Durch Tirana spazieren weiterhin attraktiv angezogene Frauen. Als sich kein englisches Blatt getraute, die dänischen Mohammed-Karikaturen abzudrucken, wurden diese von einer Zeitschrift in Pristina veröffentlicht. Niemand rührte einen Finger dagegen.

Das Volk verehrt nicht Religionsstifter, sondern Freiheitskämpfer wie den mythischen Skanderbeg, der einen Aufstand gegen die türkisch-muslimischen Eroberer angeführt hatte. Oder den kosovarischen Politiker und Literaturkritiker Ibrahim Rugova. Man erzählte sich, dass er zum Katholizismus übergetreten sei. Undenkbar in arabischen Ländern, kümmerte dies die überwiegend muslimischen Kosovaren nicht. Als der «Gandhi des Balkans» 2006 starb, pilgerte eine halbe Million Trauernde zu seinem Sarg. Die Religion des Albaners sei das Albanertum, verkündete vor 130 Jahren der Nationalist und Gelehrte Pashko Vasa. Er hat recht behalten.

Übertriebene, unehrliche Botschaft

Der aktuelle Streit um das Plakat der Volks-initiative gegen den Bau von Minaretten ist phantomatisch und gleicht einem ritualisierten Vorgang. Die SVP lanciert mit dem ihr eigenen Mut zur Hässlichkeit eine Kampagne, präzis hineingezirkelt in jenen Grenzbereich zwischen Unanständigkeit und Straftatbestand. Die anderen Parteien reagieren empört, die Medien machen die politische Rüpelei zu einem nationalen Ereignis, und die Strategen der Volkspartei registrieren, dass ihr Kalkül aufgegangen ist. Alle reden von ihnen.

Den Aufstieg zur stärksten Partei im Lande verdankte die SVP aber nicht einfach dem abgebrühten Spiel mit der Provokation. Die meisten ihrer Wähler sind bodenständige, nüchterne Zeitgenossen, und wenn die Botschaft hohl ist, geben sie dem Übermittler keine Stimme. Partei-Leviathan Blocher aber hatte eine ausgeprägte Witterung für gesellschaftliche Probleme, die von den neuen, überheblich gewordenen linksliberalen Eliten in Politik, Kultur, Medien ignoriert oder nicht ernst genommen wurden.

Doch der neueste Streich wird der Partei kaum Glück bringen. Das Kampagnenbild mit der verschleierten Frau und den schwarzen Minaretten auf der Schweizer Flagge soll warnen, aber die meisten empfinden es sofort: Diese Botschaft ist nicht nur übertrieben, sondern unehrlich. Sie entspricht nicht der helvetischen Alltagserfahrung.

Wer eine «notwendige Diskussion» aus-lösen will, wie die SVP-Initianten mit Unschuldsmiene beteuern, hätte sich vorher ernsthaft über das Thema informiert und würde offen darlegen, worum es ihm wirklich geht. Glauben die Minarettgegner, dass der Islam eine inhumane Religion ist, nicht vereinbar mit unseren Werten? Wenn dies ihre Überzeugung ist, warum sagen sie es nicht? Die jahrhundertealte kulturelle Dominanz des Westens verdankt sich dem freien Wettstreit der Ideen. Und glauben sie wirklich, dass die Schweiz von einer islamistischen Infiltration bedroht ist? Der Bericht 2008 über die innere Sicherheit der Schweiz aus dem ehemaligen Departement Blocher kann ihnen nicht unbekannt sein. «In Südosteuropa», heisst es dort, «stossen islamistische Strömungen in der lokalen Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung.» Aber sogar wenn: Wird die Schweiz gerettet, wenn die Dekorationstürmchen verboten werden? Dies glauben nicht einmal die strammen Initianten selbst. Jeder merkt sofort, dass es sich um Schikaniererei und Profilierungsrasseln handelt.

Doch der Auftritt der Plakatgegner überzeugt ebenfalls nicht. Die hiesigen Muslime haben keinen tantenhaften Beistand nötig, etwa indem man ihnen mit einem Verbot den Anblick der Plakate zu ersparen sucht. Sie leben einen Alltag, in dem verschiedenste Religionen, Weltanschauungen, Meinungen nebeneinander existieren, kritisiert, geglaubt, verspottet, geliebt werden, und sie leben offensichtlich gerne hier. Die allermeisten wünschen sich keinen Bart- und Burka-Islam. Ein in Zürich wohnhafter albanischer Bekannter drückte dies zusammengefasst so aus: «Huereverdammti arabische Arschlochextremisten.» Der noble Einsatz der Weltoffenen für die durch das Plakat scheinbar beleidigten Muslimas und Muslime ist parfümiert mit dem Hautgout des Gönnerhaften und dem Geruch des Angstschweisses. Denn der Tolerante möchte ebenfalls keine archaische Minarettkultur vor seiner Haustüre, aber noch mehr fürchtet er den Vorwurf der Intoleranz. Insbesondere von Seiten derer, die er insgeheim tatsächlich für leicht zurückgeblieben hält, die sogar im Menschenrechtsrat der Uno sitzen und deren Missfallen er mit übereifrigem, servilem Zuvorkommen vermeiden möchte.

Vorauseilende Selbstzensur des Westens

Über diese Haltung freut man sich in der islamischen Welt, wo über jeden angeblich antimuslimischen Vorfall irgendwo auf diesem Globus berichtet wird. Vor eineinhalb Jahren unterhielt ich mich in Khartoum mit einer Gruppe jüngerer Männer, die ich zufällig getroffen hatte. Es waren Bauernsöhne aus dem Westsudan, die nichts von der Welt wussten. Plötzlich fragten sie, ob es wahr sei, dass die Schweiz Moscheen verbieten wolle. Sie hatten es am TV gehört. Vor allem die korrupten, arabischen Clan-Diktaturen versuchen ihre rechtlosen und unzufriedenen Bevölkerungen in Schach zu halten, indem sie die Fiktion einer westlichen Verschwörung gegen die Muslime verbreiten lassen.

Dies ist die schlechte Nachricht: Seit der Blut-Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie vor zwanzig Jahren kann man im Westen eine sinkende Bereitschaft beobachten, sich gegen die Zumutungen eines wildgewordenen Islam zu wehren. In vorauseilender Selbstzensur werden Theaterstücke abgesetzt und Bücher nicht veröffentlicht.

Und dies nochmals die gute Nachricht: Die Mehrheit der schweizerischen Muslime vertritt einen toleranten, europäischen Islam. Dies ist zwar nicht der Weitsicht der Politiker zu verdanken, sondern dem Zufall. Aber ein Glück ist es trotzdem. Zeit, die Ex-Jugos willkommen zu heissen und groteske Debatten zu beenden.

Nach oben scrollen