Basler Zeitung

28.01.2012

Kopf der Woche: Julian Assange

Verlorenes Cyber-Kid

Von Eugen Sorg

Seine Eltern, ein australisches Hippiepärchen, hatten einen Wanderzirkus; das Prinzip des Nomadisierens, der Gaukeleien und waghalsiger Artistik sollte auch für ihren Sohn zum Lebensmotiv werden. Julian Assange wechselte häufiger Schule, Wohnort und Spielgefährten als andere Kinder ihre Turnschuhe. Als nach 1980 das Internet erfunden wurde, beschaffte sich der 16-Jährige als einer der ersten Australier ein Modem. Das Netz war die ideale Spielwiese für einen wie Julian.

Er war begabt, abenteuerlustig, bindungslos. Mit einigen Tastenklicks konnte man jede beliebige Identität annehmen, in fremde Räume eindringen und wieder spurlos verschwinden. Sein erstes selbst gewähltes Pseudonym war Mendax, Lügner, später gründete er mit Netzkumpanen die Gruppe «International Subversives», für seine gefürchteten Hacker-Attacken wurde er mehrmals verurteilt, und im Bemühen, den Zumutungen einer feststellbaren Existenz zu entgehen, erfand er den Verschlüsselungsmechanismus Rubberhose, Gummischlauch, ein kryptografisches System, das Webvaganten perfekte Tarnung garantieren sollte.

Er war 35, als er mit anderen Cybernauten WikiLeaks ins Netz stellte. Motto: «Wir machen Regierungen transparent.» Julian sah sich nie als Kriminellen, eher als Risiko-Surfer; er verschrieb sich einer Mission, glaubte die Welt zu retten, indem er geheime Protokolle und Absprachen der Mächtigen stehlen liess und dem Publikum präsentierte. Seine Traumrolle als anarchistischer Informations-Robin-Hood schien sich zu erfüllen, als er 2010 militärische und diplomatische Akten der USA ausgewählten Medien zuspielte. Für kurze Zeit avancierte er zum Weltstar; die Sidney Peace Foundation verlieh ihm die Goldmedaille für Frieden und Gerechtigkeit – diese Ehre war vor ihm erst dem Dalai Lama, Nelson Mandela und einem japanischen Gross-Buddhisten verliehen worden.

Der Niedergang kam schnell. Die Veröffentlichung der vertraulichen, ausschliesslich amerikanischen Dokumente brachte Menschen in Gefahr. Zudem wandten sich die wenigen engen Mitarbeiter von Assange ab und zeichneten diesen als diktatorischen, paranoiden und grössenwahnsinnigen Zeitgenossen. Sie bezichtigten ihren Chef auch, als Dealer der entwendeten Dokumente den wachsenden Schwarzmarkt bedient zu haben. Schliesslich wurde Assange auch noch wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung von zwei Schwedinnen verhaftet. Er reagierte wie ein verwöhntes Kind. Dunkel drohte er mit einer «thermonuklearen Option», mit der Veröffentlichung eines brisanten, verschlüsselten Dokuments, falls man ihn den schwedischen Behörden ausliefern würde. Aus dem Weissen Ritter wurde endgültig ein erpresserischer Joker.

Jüngst wurde bekannt, dass Assange die Lizenz für einen von ihm moderierten Talk dem russischen Staatssender «Russia Today» verkauft hat. Dem Kreml, der jeden Ansatz von Medienfreiheit mit Schlägertrupps ersticken lässt. Ein unrühmliches Ende für den einstigen Transparenzgott.

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