Basler Zeitung

14.04.2012

Kopf der Woche Spike Lee

Ehemaliger Kultregisseur

Von Eugen Sorg

Es war seit Jahren ruhig um ihn geworden, als sich Spike Lee, Filmregisseur, vor zwei Wochen wieder einmal an ein grösseres Publikum wandte. Nicht wie üblich mit einem Film, sondern mit einer Twitter-Botschaft an seine Viertelmillion Followers. Er veröffentlichte die Adresse eines gewissen George Zimmerman in Sanford/Florida, gefolgt von weiteren Tweets, unter anderem mit der doppelsinnigen Aufforderung, die «Hand auszustrecken und diesen zu treffen».

Zimmerman hatte ein paar Wochen zuvor auf Nachbarschaftspatrouille den 17-jährigen Afroamerikaner Trayvon Martin erschossen. Der Täter, der eine gebrochene Nase und eine Kopfwunde präsentierte, gab zu Protokoll, angegriffen und in Notwehr geschossen zu haben, und wurde von der Polizei freigelassen. Für die meisten Schwarzen aber galt es als ausgemacht, dass der 27-Jährige «weisse Latino» einen rassistischen Mord begangen hatte – obwohl bis heute niemand wissen kann, was sich in der fraglichen Nacht genau abgespielt hatte. Der tote Jugendliche mit der Kapuze wurde von Politikern und Gettoaktivisten zum Symbol von ungebrochenem weissen Rassismus und schwarzer Opfersituation stilisiert, und die radikale Black Panther Party schrieb ein Kopfgeld von 10 000 Dollar, «dead or alive», aus.

Lees Tweet trug sicher nicht zur Beruhigung der aufgepeitschten Stimmung bei, manche sahen darin einen Aufruf zur Lynchjustiz. Seine Aktion erinnerte irgendwie an eine Figur aus seinem bisher besten Film «Do the Right Thing», der vor 23 Jahren Lees Ruf als Kultregisseur begründet hatte. Er spielt darin die Rolle des Mookie, Ausläufer einer italoamerikanischen Pizzeria in Brooklyn. Als im Quartier bei einer Polizeiaktion ein Schwarzer zu Tode kommt, versammelt sich eine aufgebrachte Menge vor der Pizzeria. Mookie zertrümmert mit einem Stein die Scheibe der kleinen Pizzeria – das Signal für den Mob, den Laden seines Arbeitgebers abzufackeln.

Kann Spike Lee nicht mehr unterscheiden zwischen Kino und Realität? Ist er bitter geworden, weil seine späteren Filme nie mehr die Kraft und Virtuosität und Luzidität der frühen Streifen erreichten? Andererseits galt Lee schon immer als «schlechtest gelaunter» Filmregisseur, und es wurde ihm immer wieder «umgekehrter Rassismus» vorgeworfen. Seine nicht schwarzen Filmfiguren sind durch antisemitische und antikaukasische Stereotypen gezeichnet, und der Mann neigt zu Komplottfantasien.

In einem Aspekt unterscheidet sich Mookie vom realen Spike Lee. Der Pizzakurier traf die Scheibe mit dem ersten Wurf; der Regisseur postete die falsche Adresse. Im Haus in Sanford lebte nicht George Zimmerman, sondern ein älteres Ehepaar, das nichts mit der Sache zu tun hatte. Aus Angst um ihr Leben und um das kranke Herz der Frau mussten die verängstigten 70-Jährigen in ein Hotel umziehen. Spike Lee hat sich immerhin dafür entschuldigt.

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