Basler Zeitung

12.05.2012

Kopf der Woche John Travolta

«Saturday Night Fever»

Von Eugen Sorg

Vor wenigen Tagen reichte der Anwalt eines unbekannten männlichen Masseurs in Los Angeles eine Klage gegen John Travolta ein. Der Hollywood-Star habe seinen Klienten im luxuriösen Beverly Hills Hotel auf verschiedenste Weise sexuell genötigt. Die schlüpfrigen Details des Rencontres konnte man bald darauf in allen Boulevardgazetten und im Internet lesen. Zwei Millionen Dollar Entschädigung forderte der angeblich traumatisierte Massagetherapeut, und ein zweiter männlicher Masseur aus Atlanta schob kurz darauf eine identische Klage nach. Travolta, dreifacher Vater und seit 21 Jahren mit Kelly Preston verheiratet, liess beide Anklagen als «totale Lüge» zurückweisen und drohte mit einer Gegenklage.

Allerdings begleitet seit jeher das hartnäckige Gerücht eines homosexuellen Doppellebens die Karriere des mittlerweile 58-jährigen Kultmimen und Hobbypiloten. Ein Autor namens Robert Randolph tratschte unlängst in seinem Buch «You’ll Never Spa in This Town Again» detailversessen von unzähligen homoerotischen Streifzügen Travoltas in den Massageräumen, Duschen und Toiletten der Wellness-Studios von Los Angeles.

All dieses Getuschel könnte dem Darsteller gleichgültig sein. Er hat einen gesicherten Thronplatz im cineastischen Olymp. Der Sohn eines italienischen Reifenhändlers und einer irischen Schauspielerin wurde 1977 als Farbenverkäufer Tony Manero im Disco-Drama «Saturday Night Fever» zum Weltstar. Im Polyesterhemd und hautengem weissen Anzug, die Frisur zur Gelplastik modelliert, verwandelt sich der junge Proll aus Brooklyn jedes Wochenende in den Dominator des Dancefloors, mit pornografischem Beckenschwung und aufreizender Lippenstellung, wie ein fleischgewordener Traum aus einer Schwulensauna.

Danach wurde es ruhig um ihn, die Disco-Kugeln wurden abgehängt und er wurde sein eigenes, leicht aufgeschwemmtes Relikt, bis ihm Quentin Tarantino beinahe 20 Jahre später in «Pulp Fiction» zu einer wundersamen künstlerischen Auferstehung verhalf. Travolta spielt darin den speckigen, heroinsüchtigen Killer Vincent Vega. In einer einzigen, unnachahmlichen Tanzszene befreit er sich nicht nur vom Fluch der demontierten Disco-Ikone, sondern erfindet gleichzeitig den ironischen, postmodernen Antihelden des Neunzigerjahre-Kinos.

Nicht befreit hat er sich bisher aber vom Einfluss von Scientology. Travolta und seine Frau sind Anhänger und hochrangige Mitglieder des totalitären Kultes. Homosexuelle gelten dort als «krank» oder «aberriert». Trifft zu, was sich ganz Hollywood über Travoltas fleischliche Neigungen zuflüstert, dann verdankt sich dessen Doppelleben weniger der Angst vor der Ächtung durch das Filmpublikum, sondern vor derjenigen durch die Sekte. Und solange diese Abhängigkeit besteht, bleibt der Ausnahmeakteur ein lukratives Erpressungsopfer weiterer Masseure oder Fitnessbekanntschaften.

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