«Das Magazin»

29.05.1993

Aufbruch

Vor genau 25 Jahren, am 30. und 31. Mai 1968, trat die Rocklegende Jimi Hendrix im Zürcher Hallenstadion auf. Seine Auftritte markierten den schweizerischen kulturellen Höhepunkt der 68er Bewegung und bereiteten den politischen vor: den Globus-Krawall.

Rückblenden Von Eugen Sorg. Fotos aus den Archiven von Dölf Preisig und Willy Spiller.

Die Ankunft. Einer in London gecharterten Maschine entstieg am Nachmittag des 30. Mai 1968 auf dem Flughafen Zürich- Kloten eine Schar ungewöhnlicher Passagiere. Rund 40 junge Männer, auffallend bunt, mit Schlapphüten, wunderlichen Haartrachten, Klunkern und Tüchern, trollten sich die fahrbare Treppe hinunter. Sogleich wurden sie von skeptisch dreinschauenden Schweizer Zöllnern in Empfang genommen und in ein improvisiertes Zollhaus gelotst, einen Bus, der hier ans Ende der Landepiste gekarrt worden war, zwei Kilometer vom offiziellen Zoll- und Flughafengebäude entfernt. Die Paradiesvögel kicherten und witzelten. Sie hatten gut lachen. Sie waren nach Zürich gekommen, um an zwei aufeinanderfolgenden Konzerten im Hallenstadion als Angehörige von damals gefeierten englischen Rockbands aufzuspielen. Auf internationalen Flughäfen gefilzt zu werden, war Tournee-Routine.

Neben der mobilen Zollstation parkte der Limousinenkonvoi der Welti-Furrer AG, in welchen die lustigen Musikanten verladen wurden, um sie durch einen Hinterausgang aus dem Flughafengebäude und über Umwege nach Zürich ins Hotel «Stoller» zu manövrieren. Das Ordnungsdispositiv stellte für alle Fälle noch ein Kontingent Polizisten und einen Wasserwerfer bereit. 300 Beatfans waren aufmarschiert, um ihre Idole zu begrüssen, die sie aber nicht zu Gesicht bekamen. Der eigentliche Star der Konzerte, der amerikanische Gitarrist Jimi Hendrix, war unbemerkt schon am Morgen aus New York eingeflogen und lag längst in seinem Bett im Hotelzimmer. Drei Wochen vor dem Konzert konnte Wachtmeister Guido Buchli, Stadtpolizei Zürich, der «Neuen Presse» die vielsagende Auskunft geben, man wisse noch nicht genau, wie viele Polizisten man aufbieten werde, «im Krieg sagt man ja auch nicht, wie gross das Heer ist, das ausrückt».

«Ich bin’s, Jimmy. Ich bin jetzt in England, Dad. Ich traf einige Leute, die machen einen grossen Star aus mir. Wir haben meinen Namen in JIMI geändert.»
Jimi Hendrix

Der Veranstalter. Der Mann, der den Ordnungskräften strategische Anstrengungen und Überstunden einbrockte, hiess Hansruedi Jaggi. Er hatte im Vorjahr die Rolling Stones ins Hallenstadion gebracht. Schon damals zum Missfallen des offiziellen Zürich. Die Stones waren bekannt dafür, dass sie auf ihren Tourneen eine Spur zerschlagenen Konzertmobiliars hinter sich herzogen. Ihrem Ruf als böse Buben wurden sie auch in Zürich gerecht. Jaggi, 27 Jahre alt, Sohn eines Metzgers aus Zürich-Oberengstringen, schien prädestiniert dazu, Konzerte der grossen und lauten Art zu organisieren. Professionelle Konzertagenturen in Europa hatten sich noch kaum auf die Musik der langhaarigen Wilden spezialisiert. Hier konnte man gross einsteigen.

Kaum der Lehre als Lampenschirmverkäufer entronnen, war Jaggi als selbsternannter Manager der Sauterelles, der Barracudas und ausgebuffter, zweitrangiger englischer Rock-Combos durch die helvetische Provinz getourt. Er hatte wie kein zweiter Erfahrung im Umgang mit launischen Popmusikern, war jung genug, um zu wissen, welche Musik die Jungen mochten, er konnte mit bodenständigen Saalvermietern verhandeln und servierte den Journalisten den süffigen Stoff. Sein Kellnerjob im legendären «Schwarzen Ring» an der Kruggasse im Zürcher Niederdorf lehrte ihn die Kunst der Dreistigkeit und der geistesgegenwärtigen Hochstapelei, mit denen sich der 1,60 Meter grosse Pfüpf den Respekt der Kundschaft, Eisenleger, Zuhälter und Huren, verschaffte. Als Inhaber des privaten Nachtklubs «Am Pfauen» schliesslich und als geselliges Schlitzohr knüpfte er viele nützliche Kontakte quer durch alle Milieus und Berufe.

Spätestens seit dem Stones-Konzert war der «Beatpapst», eine stadtbekannte Figur. Fotos eigten ihn vor seinem Bentley, mit langem Haar, Rollkragenpulli, Samtjacke, spitzen Stiefelchen, umgeben von sehr blonden und sehr jungen Frauen. «Mir sind jungi, frächi Chaibe gsi», freut sich der mittlerweile über 50-jährige Geschäftsmann. Vorfreude an der Provokation war wahrscheinlich mit im Spiel, als Jaggi bei einigen Drinks mit Managern und Musikern im Londoner In-Klub «Speak-Easy» zum Spottpreis von 15’000 Pfund das hochkarätige Rock-Multipack John Mayall, Traffic, Move, Eric Burdon und Jimi Hendrix, den Superstar, einkaufte. Flüssiges Geld war keines da. Zurück in Zürich, mussten Sponsoren aufgetrieben werden. Staatliche Kultursubventionen waren keine zu erwarten.

Die «Neue Presse» übernahm das Patronat und kreierte das Konzertplakat. Der «Blick» stieg ein, natürlich auch das «Pop» des jungen Jürg Marquard und die Schmalzpostille für junge Herzen, «Bravo». Aus der Modebranche konnte Bernie Lehrer vom Bernie’s Junior Shop gewonnen werden.Noch existierte nur eine Handvoll Kleidergeschäfte mit speziellem Sortiment für jugendliche Käufer. Bis vor kurzem war es normal, dass der herangewachsene Bub von den kurzen Hosen übergangslos in den grauen Anzug wechselte. Bluejeans als Vorläufer einer Jugendmode waren als anrüchige Kluft für die Halbstarken reserviert.

Beatmusik wurde von vielen beargwöhnt. Sie sei, schrieb «Die Tat» damals, «eine Krankheit, die den Fan befällt, ihm unter die Haut geht und ihn mitreisst».

Den Herren der Polizei blieb nichts anderes übrig, als sich mit dem jungen Schnuderi an einen Tisch zu setzen, um die Sicherheitsbedingungen auszuhandeln. Nachdem die Fans am Stones-Konzert einige tausend Klappstühle zu Kleinholz verarbeitet hatten, forderte unter anderen der damalige Chefredaktor der «Zürcher Woche», Werner Wollenberger, das Verbot «solcher» Veranstaltungen. Viele teilten seine Meinung. Triumphierend und mit feinem Gespür fürs Ärgernis nannte Jaggi seine Veranstaltung Monsterkonzert.

Die Bedrohung. Die Ankunft der Beatidole fiel in eine bewegte Zeit. Ein Phänomen, das die Medien unter dem Titel «Unrast der Jugend» abhandelten und das irgendwie mit Beatmusik zu tun hatte, breitete sich einer Epidemie gleich in Europa und Übersee aus. Studenten besetzten Universitäten und hinderten Professoren am Reden; verwegene Jungtheoretiker predigten einem noch jüngeren Publikum, dass zwischen der imperialistischen Bombardierung des vietnamesischen Volks und der sexuellen Unterdrückung im Lehrlingsheim ein ursächlicher Zusammenhang bestünde. Prinzipielle Antiautorität und das Umkrempeln alles Bewährten drohten Programm einer ganzen Generation zu werden.

In Rom, Berlin, Paris und anderswo wurden Barrikaden errichtet, der Polizei Strassenschlachten geliefert. Autos umgestürzt und in Brand gesetzt. Die Anzeichen mehrten sich, dass die Verwilderung auch auf die Eidgenossenschaft übergriff. Eine Etappe der Tour de Suisse wurde umgeleitet. Sie hätte über ein Stück französischen Bodens geführt, was doch zu heiss war in Anbetracht der Ereignisse in Paris.

Der freisinnige Regierungsrat Albert Mossdorf bezog in einer Presseorientierung des Zürcher Kantonalschützenvereins Stellung. Beunruhigt durch die «kulturrevolutionäre Bewegung der Jungen, deren Anhänger sonderbare Kleidung tragen, sich auf Tramschienen setzen und chinesische Namen ausstossen», und irritiert durch gewisse Schüler, welche das «Hauptgewicht auf Sexualaufklärung legen», worin der Politiker den eindeutigen Versuch erkannte, «eine fremde Ideologie durchzusetzen», gab er beherzt Gegensteuer. Man könne all dem «nichts Besseres entgegensetzen als eine geistig und körperlich gesunde Jugend», folgerte er messerscharf. Deshalb sollte Lehrlingsturnen endlich obligatorisch und das Jungschützenwesen für Jünglinge ab 16 Jahren intensiviert werden. Die Mahnung aus Bülach kam zu spät.

Der freisinnige Regierungsrat Albert Mossdorf bezog in einer Presseorientierung Stellung […] irritiert durch gewisse Schüler, welche das «Hauptgewicht auf Sexualaufklärung legen», worin der Politiker den eindeutigen Versuch erkannte, «eine fremde Ideologie durchzusetzen».

Vollendete Verkörperung des Alptraums der Aufrechten war just Jimi Hendrix. Dieser spielte unerhört laut (grundsätzlich mit englischer Einstellung, wie man in Fachkreisen das volle Aufdrehen der Verstärkeranlagen nannte), aggressiv, unruhig, behandelte seine Gitarre mit Zunge und Zähnen, zündete sie auch mal an oder schlug sie in Stücke und unterstrich seine Bühnenshow mit Bewegungen von dermassen aufreizender und unverhüllter sexueller Symbolik, dass von amerikanischen Frauenvereinen der Ruf nach Totalzensur zu vernehmen war. Zudem war er schwarz.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war es daher verständlich, dass von seiten der Polizei hohe Auflagen punkto Sicherheit an den Veranstalter gestellt wurden. Die Bühne musste zu einer praktisch uneinnehmbaren Festung ausgebaut werden, aus stabilem Holz gezimmert, vier Meter hoch, mit vorstehendem Bühnenrand. Mit Schmieröl würde die Rennbahn, wo sonst Steher und Sprinter ihre Runden drehten, präpariert werden, um Angriffe über die seitlichen Flanken auflaufen zu lassen. Über 100 Polizisten sollten sich hinter der Bühnenwand postieren. 60 weitere zivile Polizisten würden sich unauffällig unters Publikum mischen, welches zudem an der Kasse von einem Spalier Hundeführern mit Hunden empfangen werden würde. Der Funke von der grossen Bühne sollte nicht auf Zürich überspringen.

Glückliche Preisgewinner. Man rechnete mit etwa 10’000 Besuchern pro Abend. Die Klappstühle versicherte Jaggi wie im Vorjahr bei Lloyd’s. «Blick» und «Neue Presse» schrieben Wettbewerbe aus. Bei «Blick» war ein Freibillett zu gewinnen. Die «Neue Presse» winkte mit einer «Autogrammstunde exklusiv mit Eric Burdon» und zwei Extraflügen Zürich-London retour, auf dem Hinflug in Begleitung von Jimi Hendrix. «Warum zwei Flüge?» fragte die «Neue Presse», um die Antwort sogleich zu geben: «Die Preise gehen nämlich zu gleichen Teilen an Buben und Mädchen.»

Glückliche Gewinner waren ein seriös ausschauender Schneider aus dem Solothurnischen, 28 Jahre alt, der nicht zum Konzert gehen wollte, weil er «kein Beatfan» sei, denn «die Kennedys und Duttweiler sind meine Vorbilden», und eine strahlende 14jährige Schülerin aus Zürich-Höngg, die für die Zeitung mit ihrem Meerschweinchen posierte. Die heute 39jährige Frau Esposito, im Tessin verheiratet, schaut mit ihren zwei Kindern hin und wieder das Fotoalbum an, das sie sich damals zusammengestellt hatte. Sie erinnert sich gut, wie die anderen in der Klasse neidisch auf sie gewesen seien. Ihre Mutter musste bei den Schulbehörden ein Gesuch einreichen, da der Flug auf einen Samstagmorgen fiel. Die Lehrer hätten es nicht gern gesehen und wollten auch nachher nie wissen, wie es gewesen sei. Man sei eben noch streng gewesen damals. Hosen beispielsweise durften Mädchen in der Schule nicht tragen, geschweige denn ein Miniröckchen, wie sie eins trug, als sie nach London flog. Dies hatte ihr die ältere Schwester extra für den Anlass genäht. Sie sei schon aufgeregt gewesen und der Jimi Hendrix «schaurig dünn, mit äme Huuffe Haar». Den ganzen Flug über habe er aber geschlafen, und am Schluss habe man ein Erinnerungsföteli gemacht. Zu seiner Musik habe sie nie eine Beziehung gehabt. Zu unruhig, zuviel Gitarre. Als man später am Fernsehen Hendrix› Tod gebracht habe, sei ihr ganz mulmig geworden.

Long live Rock ’n› Roll. Statt der erwarteten 10’000 kam nur die Hälfte. Walti Anselmo, gehandelt als «Schweizer Jimi Hendrix», eröffnete mit seinen Musikern den Reigen. Als einziger Schweizer Band fiel ihr die Ehre zu, in derart erlauchter Gesellschaft antreten zu dürften.

Nach Anselmo waren The Koobas dran, eine vorübergehend in Zürich gestrandete englische Profiband. Sie gefiel besser. Härter und temporeicher spielend, konnte sie dazu mit einem Hit aufwarten: «The first cut is the deepest». Dann der erste der Giganten, John Mayall, mit Trapperhut, notorischem Fransenlederwams und umgeschnürtem Patronengürtel voll mit Mundharmonikas, der Lederstrumpf des Blues, in melancholischer Entschlossenheit, diese Musik, ein unverdientes Geschenk Afrikas an die Weissen, zu zelebrieren und zu künden. Mit ihm wusste man, woran man war. Einfache Harmonien, eingängige Riffs, treibender Beat, keine Experimente. Die Stimmung stieg und wurde nur einmal kurz unterbrochen. Mitten in einem Stück raste völlig überraschend ein junger Mann zu Mayalls Piano, schnappte sich dessen Feuerzeug und entkam Richtung Seitentribüne. Der Kreuzritter des Blues hörte auf zu spielen und erklärte, erst wieder fortzufahren, wenn man ihm sein Eigentum zurückerstattet hätte. Der Reliquienjäger wurde gefasst, das entwendete Objekt retourniert, die Show ging weiter. Danach kam Traffic mit Stevie Winwood, dem schönen, bleichen Wunderknaben des Rock, der schon als 17jähriger die Musikkritiker in Erstaunen und die Mädchen in Verzückung versetzt hatte. Nach der Skandal-Combo The Move, die sich bei Vertragsabschluss verpflichten musste, auf ihre rabiate Bühnenshow zu verzichten (sie zertrümmerten flimmernde Fernseher, schlugen mit Äxten auf Sperrmüll ein und so weiter), war die Reihe an Eric Burdon. Der kleingewachsene ehemalige Kohlenkumpel aus den Slums von Newcastle mit der schwarzen Stimme, dem grossen Herzen und dem grossen Durst führte mit seinen Animals kompakten Rhythm and Blues vor, rauh und roh gesungen. Auf den Hintergrund wurde ein Lightshow projiziert, ein ungewöhnliches optisches Spektakel. Die Menge war begeistert.

Und dann der ersehnte Auftritt des Grossmeisters, der Legende zu Lebzeiten, des vom Saturn auf die Erde gefallenen schwarzen Gottes. Journalisten, Techniker, Veranstalter, Gäste, Musiker, alle versammelten sich im hinteren Bühnenteil, um Hendrix zu sehen und zu hören. Er trat in gewohnter Dreierformation an, mit dem jazzigen und agilen Drummer Mitch Mitchell und dem Bassisten Noel Redding, der spielen konnte wie ein Teufel und aussah wie ein unterernährter Philosophiestudent. Linkshänder Hendrix hatte seine berühmte weisse Fender Stratocaster für Rechtshänder umgehängt, trug den breitkrempigen Hut mit Band aus Silberschnallen, ein geblumtes Schlabberhemd, um die Lenden eng anliegende Samthosen. Im Hintergrund der Turm aus Boxen und Verstärkern: Die hässliche, mit Werbeplakaten verhängte Bühne wurde zum magischen Raumschiff. Die Gruppe spielte von Beginn weg sehr laut. Die Verstärker pfiffen, krachten, die Lautsprecher schienen zu bersten. Aber der elektrische Lärm fügte sich auf wundersame Weise ins Heulen der Gitarre, ins dröhnende Blubbern des Basses und ins Stampfen des Schlagzeuges. Hendrix beherrschte wie kein zweiter die Kunst, elektroakustische Effekte in sein Gitarrenspiel zu integrieren und mit ihnen Töne zu erzeugen, die man nie zuvor gehört hatte und die erregend und irritierend waren.

Hendrix› Gitarre konnte sprechen, Geschichten erzählen, Bilder malen, knattern wie ein Maschinengewehr, zittern wie eine Frau, leuchten wie Phosphorbomben und weinen wie ein Kind. Der Sprechgesang unterstützte die Gitarre, umschmeichelte ihre Läufe, stachelte sie an, um beim Solo auszusteigen und später wieder in ein Duett einzustimmen, abwiegelnd, sanft, ein melancholischer Kontrast zum rastlosen, unversöhnlichen Instrumentalspiel, welches dort erst richtig anfing, wo andere Guitarreros schon längst aufgehört hätten, und das einem die Seele aufwühlte und den Kopf sturm machte. Wie nur noch Dylan konnte Hendrix auf wunderbare Weise nicht singen. Es musste die warmerdige Stimme sein mit ihrem angerauhten, bronzefarbenen Timbre und dem Klang, als wären die Mandeln immer leicht geschwollen, welche dieses Nuscheln, dieses summende Selbstgespräch so sexy machte. Dazu bewegte er sich mit lasziver Eleganz, entspannt und aufreizend, um sich plötzlich zusammenzuziehen und wieder hochzuschnellen, dabei eigentümlich schwerelos wirkend, als wäre sein Körper Teil der Musik.

Die Musikerkollegen im hinteren Teil der Bühne lauschten ehrfürchtig, vielleicht auch ein wenig eifersüchtig, und die wenigen eingeschworenen Hendrix-Kenner wie Walti Anselmo bekamen Gänsehaut.

Anselmo war früh von der Beatmusik angefressen, brachte sich das Gitarrespiel durch Kopieren von Schallplatten aus England und den USA bei, liess sich die Haare über die Ohren wachsen, gründete eine Band und hatte seinen ersten richtigen Auftritt noch als Stift im Café «Longstreet» an der Langstrasse im Zürcher Stadtkreis 4, wo die Huren im Publikum laut verhandelten, wer den schüchternen Jungen als erste vernaschen dürfe. Die Begegnung mit der Musik von Hendrix habe sein Leben umgekrempelt, meint der heute 45-jährige Bluesgitarrist. In Hendrix habe er einen Seelenverwandten gefunden, durch ihn habe er an einer Kraft teilhaben dürfen, die ihm bis dahin unbekannt gewesen sei. Anselmo und Jaggis damalige Frau holten Hendrix auf dem Flughafen Kloten ab. Zwischen dem bescheidenen und höflichen Star und ihm, Anselmo, dem unbekannten Schweizer Musiker, sei der Funke sofort gesprungen. Sie hätten von der ersten Sekunde an gesprochen wie alte Freunde. Als ihm später vom Musiker Toni Ashton die Nachricht von Jimis Tod überbracht worden sei, habe er es nicht glauben können. Jahrelang konnte er dessen Musik nicht mehr hören.

«Mein Ziel ist es, alle Grenzen auf dieser Welt aufzuheben.»
Jimi Hendrix

In der schwarzen Unterhaltungskultur sind Gimmicks beliebt: verblüffende Kunststückchen mit Instrument und Körper, oftmals sexuelle Anspielungen, erotische Gags und Protzereien. Humor und Sex waren untrennbare Bestandteile des musikalischen Entertainments. Einige Nümmerchen baute Hendrix in sein Programm ein. Schnell den Gitarrenhals zwischen den Beinen hin- und herschieben, Gitarre auf dem Rücken oder mit dem Mund spielen. Letzteres wurde sein Markenzeichen und durfte an keinem Konzert fehlen. Auch in Zürich nicht. Das Publikum wartete gespannt, dass er das Instrument zum Mund führen würde. Einige hundert schrien nach jedem Stück «Hey Joe», verlangten den Song, mit dem Hendrix berühmt geworden war. «My name is Jimi, not Joe», murmelte er leicht verärgert ins Mikrophon, wohlwissend, dass er den Fans diesen Hit schliesslich servieren würde. Seine Musik, ausser «Hey Joe», kam bei der Masse nicht sehr an. Bierdeckel und vereinzelte Eier flogen auf die Bühne, vor allem bei seinen melodischeren Stücken. Er war nicht der grobschlächtige Rock-King-Kong, den die Medien verbraten hatten. Man war etwas enttäuscht.

Insgesamt herrschte aber Zufriedenheit bei den 5000 meist jugendlichen Zuschauern, als das Konzert nach Mitternacht zu Ende ging. Für elf Franken waren sie zu Besuch in der grossen Welt, in einer Welt nach ihrem Gusto. Die Bands inszenierten ein Leben, das in ihrem Alltag nicht möglich war, aber ihren Sehnsüchten entsprach. Die Musiker waren Statthalter der Phantasie, der ewigen Adoleszenz, die Rockbühne ein ritualisierter Ort, wo der Mythos unverschämter Freiheit professionell aufgeführt worden war. Die Musiker kehrten ins Hotel zurück. Hendrix nahm sich eine Begleiterin aufs Zimmer. Dem Portier entging dies nicht. Er informierte die Polizei, welche den Star aus dem Bett holte und seine Besucherin abführte. Stollers «Frauentraum» war strikt für die Glacekarte reserviert. Jetzt erst konnte Zürich ruhig schlafen gehen. Es war sauber geblieben.

Die morgendliche Berichterstattung verriet Erstaunen. Alles war reibungslos abgelaufen, kein Aufruhr, keine Randale. Der «Tages-Anzeiger» schrieb von einem «langweiligen, braven Spektakel», höhnte über die «Kinder», die sich durch «tänzerische Wackelbewegungen in Ekstase zu bringen» versuchten, und frotzelte über die Musiker, «buntgekleidete Männchen», welche vergeblich gegen die «miese Akustik» ankämpften und deren Musik «im Verstärkergebrüll» unterging. Rockmusik war Unkultur.

Rebellion ist berechtigt. Nicht ganz für alle. «Als man hörte, dass der Hendrix komme, war es klar, dass wir gehen», erinnert sich Roland Gretler. Wir, das war die Clique der Jungen Sektion der Partei der Arbeit, einer Gruppe Freiberufler, die zur stalinistischen Altpartei in gespanntem Verhältnis stand; gehen, das hiess auch, dass man politisches Kapital aus dem Ereignis zu schlagen gedachte. Das «1. Flugblatt der antiautoritären Menschen» wurde produziert, um den historischen Zusammenschluss von Beatfans und linker Protestbewegung herbeizuführen. Auf der Vorderseite prangte Jimi Hendrix; Maos kulturrevolutionärer Leitspruch: «Rebellion ist berechtigt», wurde fotografisch ins Medaillon auf der Brust des Stars montiert. Der Text enthält die Frohbotschaft der 68er Revolutionäre. «Satisfaction» wäre möglich, andere gesellschaftliche Verhältnisse müssten aber geschaffen werden. Sexuell verklemmte Spiesser gönnten der Jugend keine Lust und Freude und wollten daher Beatmusik polizeilich verbieten lassen.

Zwei Wochen vor dem Konzert traf sich Jaggi in einer Bar im Zürcher Niederdorf mit Gretler und dem Journalisten Walter Bretscher. Bretscher (er schrieb 1978 in der «Tat» eine kenntnisreiche Serie zur Geschichte der Zürcher 68er Unruhen) hatte den Kontakt zwischen Popkommerz und Revolution vermittelt. Der Promoter hatte nichts dagegen, dass die Linken die 20’000 Stück ihres Polittraktats verteilen würden. Als Gegenleistung offerierten die Antiautoritären einen Konzertansager, den 31-jährigen Italozürcher Giorgio Frapolli, der mit seinem attraktiven Aussehen und seiner souveränen Art für einen störungsfreien Ablauf sorgen sollte.

Caramba. Am zweiten Abend kamen 10’000. Die Stimmung war glänzend. Die Bands leisteten saubere Arbeit. Einziger Unterschied zum Vorabend: Anstelle von Hendrix machte Burdon den Schluss. Er war beim Publikum besser angekommen. Weniger glänzend war die Stimmung hinter der Bühne. Uniformierte machten abfällige Bemerkungen über die Jugendlichen, titulierten die auf- und abtretenden Musiker mit Söihünd und schwuli Söi.

Kurz nach Mitternacht verklang der Schlussakkord, man bedankte sich, die Massen begannen gegen die Ausgänge zu strömen. Zehn, vielleicht zwölf Jugendliche fingen an, Klappstühle zu zertrümmern, ihre Kraftübungen fanden keine Nachahmer, der Grossteil lief ruhig weiter, das Stadion leerte sich. Da fiel hinter der Bühnenwand das Losungswort der Polizei: Auf Caramba starteten die Mannen los.

Dr. iur. Hans Schlegel kann sich an den Abend des 31. Mai 1968 erinnern. Am Tag nach dem Monsterkonzert, am 1. Juni, wurde er zum Chef der Sicherheitspolizei der Stapo Zürich befördert. Seit einigen Jahren geniesst er seine Pensionierung. «Nein», meint Dr. Schlegel, «nein, das war keine schöne Zeit.» Es interessiere ihn im Grunde nicht mehr. Jedes Wochenende sei man aufgeboten worden. Die Krawallanten hätten einem das Leben schwergemacht. Nach diesem Hendrix kam das mit dem Globus und später die Opernhaus-Krawalle. Da war er schon Stabschet.

«Was, ein Feuerchen hätten die gemacht nach dem Konzert? Ein riesiges Feuer war das, in der Nähe einer Tankstelle. Und dann gab es diesen Saubannerzug von Oerlikon zum Hauptbahnhof.» Der Polizist sieht noch heute die rot-weissen Bauabschrankungen, die über den ganzen Bahnhofplatz verstreut am Boden lagen. Wieso es dazu gekommen sei? Radaubrüder seien es gewesen, und dann wäre noch dieses Flugblatt der PdA gewesen. «Sie händ Freud gha, dass Äkschen botte worde isch.» Der Konzertveranstalter habe schon gewusst, wie man einheizt. Was eigentlich der Jaggi heute mache? So, älter sei er heute, aber reifer bestimmt nicht. Total unvorbereitet sei die Polizei gewesen, inklusive Ausrüstung. Nur mit Gummiknüppel, und der werde dann halt benützt. «Aber das ist für mich jetzt alles abgeschlossen, Gott sei Dank vergisst man solches.»

«Was, ein Feuerchen hätten die gemacht nach dem Konzert? Ein riesiges Feuer war das, in der Nähe einer Tankstelle. Und dann gab es diesen Saubannerzug von Oerlikon zum Hauptbahnhof.»
Dr. iur. Hans Schlegel, Chef Sicherheitspolizei Stapo Zürich

Aufgeregt habe er sich über den nicht gerade zimperlichen Polizeieinsatz, erzählt Jugendmodeverkäufer Bernie Lehrer, der dieses Jahr 65 wird. Die Polizisten begannen, die Jugendlichen im Stadion vor sich her zu treiben. «Einige Polizeimänner machten», so die NZZ am nächsten Tag, «unnötigerweise vom Knüppel Gebrauch.» Draussen standen noch einige hundert Jugendliche herum. Die letzten Trams und Busse waren abgefahren. Die Nacht war kühl, ein paar Junge entfachten ein «harmloses Feuerchen» (NZZ), um sich aufzuwärmen. Die Uniformierten tauchten auf dem Platz auf, ein abseits stehendes Mädchen wurde «von einem Polizisten geohrfeigt» (NZZ), Hunderte sahen es. Jetzt erschollen die ersten Buhrufe, kurz darauf flogen Schlötterlig, einige Bierflaschen und Steine Richtung Polizei. Ein Pfiff des Einsatzleiters, und eine Hundertschaft mit gezückten Schlagstöcken rückte vor. Mehr Flaschen und Steine flogen, nach Auskunft des Polizeisprechers auch einzelne gusseiserne Dolendeckel. Die Polizei setzte den Flüchtenden nach. Wer schnell genug sprinten konnte, hatte Glück, die Langsameren kriegten Prügel, die letzten bissen die Hunde. Die Hundeführer hatten ihre Schäfer von der Leine gelassen. Einige Ordnungshüter droschen auf alles ein, was greifbar war. Betroffen davon waren vor allem auch Journalisten und Fotografen.

Gegen drei Uhr früh wiederholte sich die Szene. Etwa 200 übriggeliebene Jugendliche lagerten unter den Arkaden auf der Limmatseite des HB. Sie warteten auf die Öffnung des Buffets und den ersten Zug. Erneut brannten Feuerchen. Diesmal kam die Feuerwehr vor den Einsatzwagen der Polizei. Wasser und Knüppel von der einen Seite, Steine und Bretter von der anderen. Wieder prügelte die Polizei die Falschen: Verbeulte Journalisten und Taxifahrer, kaputte Fotokameras, konfiszierte Filme waren die Bilanz.

Die Abschiedsparty. Die Musikanten vergnügten sich unterdessen in der Diskothek «Crazy Girl» an der Zwinglistrasse in Zürich 4, wo später Jaggi seinen Klub «Revolution» eröffnen sollte. Es war eine Abschiedsparty, man hatte verlängerte Polizeistunde eingegeben. Punkt 2.30 Uhr erschien, einem Überfallkommando gleich, ein mit Uniformierten vollgepackter Einsatzwagen vor der Diskothek, einige postierten sich am Haupteingang, andere sicherten die Hinterausgänge. Die Festenden stürzten ins Freie, in der Meinung, es handle sich um eine Razzia. Die Ordnungshüter wollten aber lediglich der Polizeistunde etwas Nachdruck verschaffen. Dies war die Art, wie man mit Halbstarken umging, und so hielt man es damals auch bei internationalen Popstars für angemessen.

Hendrix war nicht unter den Gästen. Der Securitas-Wächter hatte ihn an der Tür abgewiesen. Keine Chance, hereingelassen zu werden, zu dunkel war Jimis Haut. Hendrix bestieg ein Taxi, er wollte noch etwas essen. Der Fahrer brachte ihn nach Zürich-Altstetten, dort stand ein Automat, der panierte Schweinsschnitzel ausspuckte. Anständige Leute schliefen nachts, Hunger nach Mitternacht war nicht vorgesehen. In Gesellschaft einiger Prostituierter, Strichjungen und Taxifahrer kaute der höfliche Star sein kaltes Menü und liess sich anschliessend ins Hotel zurückfahren, wo er sich beim Chauffeur mit einer 100-Dollar-Note bedankte. Und wieder wachte Stollers Portier über den allgemeinen Sittenkodex.

Eins, zwei, drei – Globus Frei. Beinahe wäre es gelungen, die Heimsuchung abzuwehren. Doch die Presse kritisierte nahezu einhellig das übermässig harte Durchgreifen der Ordnungskräfte. «Nicht das Monsterkonzert war monster», schrieb die «Sie und Er», «die Polizei war es.» Das waren neue Töne. Etwaige Übergriffe Uniformierter hatten sich bislang gegen Homosexuelle, Milieufiguren, Halbstarke und renitente Rauschmänner gerichtet. Kritik war dafür keine zu gewärtigen.

Die Knüppel auf die Jungen in der Frühlingsnacht hatten unbequeme Geister wachgeklopft. Zwei Wochen nach Hendrix› Auftritt führten Junglinke vor Zürichs Polizeihauptwache Urania ein Strassentheater auf. Viele Schaulustige wurden Zeugen, wie von einem Volkstribunal dem unbekannten Schlägerpolizisten der Prozess gemacht wurde.

Weitere zwei Wochen später forderte die mittlerweile organisierte Protestjugend das leerstehende Gebäude des Warenhauses Globus an der Bahnhofbrücke als autonomes Jugendzentrum. Tausende kamen zur Demonstration, auch aus dem Thurgau, sogar aus dem Wallis. Jaggi hatte die Adressen der Teilnehmer am «Blick»-Wettbewerb des Hendrix-Konzerts erhalten, zwei Zeinen voll Postkarten, 6000 Namen insgesamt. Diese gab er an Gretler weiter, der im 16-köpfigen Globus-Komitee der Autonomen vertreten war. Als Globus-Krawall ging die lange Nacht vom 29./30. Juni 1968 in die Geschichte Zürichs ein, man hatte zu Europa aufgeschlossen, das Monsterkonzert war der Auftakt gewesen.

Jaggi wurde wegen Anstiftung zu Landfriedensbruch (StGB Art. 260) angezeigt. Bewaffnete Polizei umstellte bei Tagesanbruch sein Haus in Rudolfstetten. Er sollte zur Einvernahme abgeholt werden. Wegen der Sache mit der «Blick»-Jugendkartei. Jaggi fuhr in seinem Ferrari mit dem Einsatzleiter auf dem Beifahrersitz zum Protokoll. Die Anklage musste fallengelassen werden. Die Polizei präsentierte ausserdem eine detaillierte Abrechnung über Extradienstleistungen: Überzeitentschädigung, Nachtdienstzulagen und 272 Nachtessen à 4 Franken. Totalkosten: 35’000 Franken. Jaggi weigerte sich, den Tarif für die ungewollten Extradienstleistungen auf dem Aussengelände zu blechen, prozessierte und war acht Jahre später erfolgreich. Vom Monsterkonzert hatte er 100’000 Franken nach Hause gebracht. Jaggi hatte Zeit für seinen nächsten Streich: Am Stephanstag 1971 liess er Muhammad Ali im Hallenstadion boxen. Jimi Hendrix allerdings war damals schon tot. Der begnadete Gitarrist wachte nicht mehr auf, nachdem er am Morgen des 18. September 1970 neun Schlaftabletten eingenommen hatte und am eigenen Erbrochenen erstickt war.

Nach oben scrollen