Das Magazin

03.08.1996

Mord GmbH

Europas dienstälteste Terrorgruppe operiert in Griechenland. Die Gruppe «17. November» ist seit über zwei Jahrzehnten am Drücker. 22 Morde gehen inzwischen auf ihr Konto. Doch Geheimdienste und Polizei verfolgten bis anhin beharrlich die falsche Fährte. Eine Chronik von

Eugen Sorg

Am 20. 12. 1990 entkam der Reeder Vardinojannis nur knapp einem Bazooka-Attentat. Der «17. November» schrieb: «Ein böser Hund ist schwer totzukriegen.»

ngenommen, der Terrorismus ist ein Mensch. Wir von der Polizei kommen nur bis zum Bauch, aber nicht bis zum Kopf. Den Politikern fehlt der Wille. Schau meine Haare an. Sie sind grau geworden.»

Manolis hat schlaue Äuglein. Er ist Offizier der Anti-Terror-Einheit der griechischen Polizei und Landesmeister in verschiedenen Pistolenkategorien. Wenn er sich aufregt, schwillt der Balg unter sei- nem Kinn an. Eben hat er versucht, mir zu erklären, warum seine Truppe seit der Gründung im Jahr 1977 ein einziger peinlicher Misserfolg ist. Vorgeführt werden Manolis und seine Männer vor allem von der «Revolutionären Organisation 17. November», von jener Organisation, die das US-Aussenministerium als eine der «aktivsten und tödlichsten» Stadtguerillagruppen klassifiziert hat.

Vom «grössten sozialpolitischen Rätsel dieses Jahrhunderts» sprach die liberale Tageszeitung «Eleftherotypia» Ende letz-ten Jahres in einer Sonderbeilage zum Thema «17. November». Von der mittlerweile dienstältesten Terrororganisation Europas fehlte um die Weihnachtszeit 1995, nach 20 Aktivjahren, nach acht Regierungen, ungezählten Ministern und Polizeichefs, nach 22 Attentatsopfern, Dutzenden Verletzten und Sachschäden unbekannten Ausmasses, noch immer jede Spur. Trotz Expertenhil- fe der abgekochtesten Geheimdienste der westlichen Welt war noch kein Fingerabdruck, kein Haar, geschweige denn ein Mitglied dingfest gemacht worden. Seit zwei Jahrzehnten, resümierte die Zeitung, blamiere eine verschworene Gruppe, «an der Grenze zum Mythos», Regierung und Polizei bis auf die Knochen.

«Ich bin Wissenschaftlerin, nicht Polizistin. Ich untersuche Strukturen und Zusammenhänge. Namen interessieren mich nicht. Ich habe das Phänomen analysiert. Es ist lösbar.» Mary Bossis, 40jährige Politologin mit amerikanischem Doktorhut, lacht mit dem Charme einer Frau, die sich ihrer Wirkung auf Männer sicher ist. Um dem «17. November» endlich auf die Schliche zu kommen, initiierte sie vor zweieinhalb Jahren einen wissenschaftlichen Rat. Unter dem Vorsitz eines Staatsanwaltes arbeiteten Polizei und Justiz zum erstenmal zusammen. Sechs akademische Experten, «alle mit Diplomen aus Deutschland oder den USA», und sechs Polizeioffiziere begannen, ein Profil des «17. November» zu erstellen.

«Es war schwierig, mit der Polizei zu arbeiten», sagt Mary. «Die Polizisten sind guten Willens, aber nicht gewohnt an wissenschaftliches Denken. Ihr geistiges Niveau reicht nicht aus. Ich musste den General spielen. Ihr jagt die Falschen, sagte ich, hört auf mit der Jagd nach Gespenstern. Wir holen den Terroristen, auch wenn es Gott persönlich ist.»

An Weihnachten 1975 befand sich Richard Welch, amerikanischer Staatsbürger und Chef der CIA in Griechenland, mit seiner Frau auf dem Heimweg von einer Party, als er in Athen erschossen wurde. Drei Kugeln waren aus allernächster Nähe in die Brust des Geheimdienstlers gefeuert worden, Täter und Opfer müssen sich in die Augen geblickt haben.

Die Verantwortung für die Hinrichtung übernahm der bis dahin unbekannte «17. November». Der Name bezog sich auf ein Ereignis im Vorjahr. Am 17. November 1974 hatte der Aufstand der Studenten des Athener Polytechnikums den Sturz der siebenjährigen Diktatur der Obristen eingeleitet. Das Bekennerschreiben, das an verschiedene Athener Zeitungen verschickt wurde, war im Stile einer Anklageschrift eines marxistisch-leninistischen Volkstribunals abgefasst und definierte die Exekution des CIA-Agenten als «dynamische Aktion». Die selbsternannten Scharfrichter schlossen mit dem Aufruf: «Tod dem Faschismus und dem Imperialismus. Nieder mit dem neuen Faschismus. Der Kampf geht weiter.»

Der Text wurde in keiner Zeitung gedruckt. Die Redaktionen hielten ihn für eine Fälschung. Nur CIA-Kreise selber, war die Meinung, hätten einen solch kaltblütigen Mord verüben können. Einzig die französische Tageszeitung «Libération» publizierte das Communiqué. Philosoph Jean-Paul Sartre persönlich hatte sich für dessen Veröffentlichung eingesetzt.

«Die Polizei hat einen schlechten Ruf. Die Bürger helfen uns nicht. Das kommt noch aus der Juntazeit. Spitzel sind ein Tabu. Ein Grieche sieht, dass ein Auto gestohlen wird. Er holt die Polizei nicht. Auch wenn er ungerecht findet, was er sieht. Nach jedem Terrorakt ist es schwierig, Zeugen zu finden, als würde dies nur die Polizei und nicht alle angehen. 1975, als ich als 18jähriger bei der Polizei anfing, spuckten mich die Leute auf der Strasse an.»

Der Hals von Manolis ist gebläht.

Die ersten Jahre nach der Junta, die zweite Hälfte der 70er Jahre unter dem konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis, waren voller Ungewissheiten. Neugewonnene Freiheiten, Angst vor der Rückkehr der Militärs und offene Rechnungen mischten sich zu einem leicht entzündbaren Klima. Die griechische Jugend holte die 68er Jahre nach, übte sich in Revolutionsposen, die Männer liessen sich Bärte und Haare wachsen. Viele Grüppchen mit kriegerischen Namen opferten dem antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampf ganze Wagenparks: Autos von amerikanischen Diplomaten, von deutschen Firmen, von rechten Richtern, von Polizei, von Elektrizitätswerken und Kläranlagen wurden in die Luft gesprengt.

Das Töten von Menschen blieb allerdings ein Tabu. Und als im Jahre 1981 die linkssozialistische Pasok des charismatischen Volkstribuns und Ökonomieprofessors Andreas Papandreou die Wahlen gewann, trat die Mehrzahl der theatralischen Grüppchen ab. Ihre bombastische Rhetorik war regierungsamtlich geworden.

Von ihnen unterschied sich der «17. November» von Beginn an durch seinen blutigen Ernst. Die zweite «gerechte Hinrichtung» applizierte er im Dezember 1976 an einem ehemaligen Folteroffizier der Junta, die dritte im Januar 1980 am Vizechef der Bereitschaftspolizei MAT und an dessen Leibwächter. Beide Male publizierten die Zeitungen die «Urteilsbegründungen» und erzielten Auflagesteigerungen. Ein 80seitiges Grundlagenpapier, das der «17. November» im Frühjahr 1977 an diverse Redaktionen verschickt hatte, veröffentlichte «Eleftherotypia» als Fortsetzungsgeschichte in fünf Folgen. Das Phantom war prominent geworden.

«Die Polizeichefs wurden oft ausgewechselt. Bis heute denken sie nur an ihre Karriere und schmeicheln sich bei den Ministern ein. Sie haben uns noch nie angehört, unsere Beobachtungen von der Basis interessierten sie nicht. So haben wir ihnen auch nichts mehr gesagt.»

Aus Manolis› Hals entweicht ein kurzer Schnauber.

«Ich war nach allen Anschlägen dabei. Die Oberen trampeln im Gelände herum und wollen im Fernsehen kommen. Sie hindern uns an der Arbeit. Es gibt nichts Einfacheres, als die Chefs zu bescheissen. Sie kennen unsere Arbeit nicht. Es wäre logisch, sich Vorgesetzte zu wünschen, die mehr wissen als wir. Aber solche habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Was machst du mit einem, der in Kreta Tierdiebstähle untersucht hat und jetzt plötzlich dein Chef ist, weil er einen Minister kennt?»

Im Wahljahr 1981 zirkulierte ein langer Text des «17. November». Er schulmeisterte die anderen Bombenlegertrüppchen als politisch-ideologisch unernsthaft und als operationelle Pfuscher und empfahl sich selber als Zentralkomitee des Terrors. Um den «Hund zu vergiften», brauche es Spezialisten, nicht Abenteurer. Der Text analysierte sodann detailliert einige mangelhafte Operationen der Laienkonkurrenz. Emotionslos wie eine Anleitung zur Bienenzucht, geduldig wie eine Pädagogik für Idioten und inhaltlich präzise wie ein Handbuch für militärische Sonderkommandos wurden die Hauptlehren für gelingende «Aktionen» und «Neutralisierung» von Polizisten doziert.

«Diese Täter standen nie links», behauptet Mary Bossis. «Wir haben die wichtigsten Texte des «17. November» analy-siert. Was und wie sie schreiben, ist angelernt. Ich komme aus einer linken Familie. Nur ein Linker kann das verstehen. Wenn ein Antimilitarist zehn Jahre zur Armee geht, wird er trotzdem nie wie ein Milita- rist schreiben.»

In den ersten 80er Jahren folgten vier weitere Hinrichtungen mit derselben, mittlerweile legendären 45er-Pistole: am US-Militäragenten George Tsantes, am konservativen Zeitungsverleger Nikos Monferatos und an ihren beiden griechischen Fahrern. Dann erweiterte die Terrorgruppe ihr Repertoire.

Am 26. November 1985 legten Männer in Kanalarbeiteranzügen einen Draht von einem VW-Bus in einen Garten. Der Wagen war im Stadtzentrum parkiert, 500 Meter vom Parlament entfernt. Als ein Einsatzgefährt der Bereitschaftspolizei MAT auf der Höhe des VW-Busses vorbeifuhr, gab es einen Knall. Die Kanalarbeiter hatten das Dynamit gezündet, das im VW-Bus verstaut war. Zementsäcke im Inneren waren so positioniert worden, dass Druckwelle und Splitter zur Strassenseite hin explodierten. Ein MAT-Offizier wurde zerfetzt, elf weitere Polizisten verletzt. Die Täter verschwanden unerkannt im Stadtverkehr.

«Die Ermordung enthüllte die tragische Wirklichkeit der griechischen Gesellschaft, und sie enthüllte die Verrohung der Linken», schrieb der «17. November» in sei-ner Proklamation. Damit meinte er die Erschiessung eines 15jährigen Demonstranten durch die MAT und die sozialistische Regierung. Ihr Anschlag sollte eine gerechte Vergeltung darstellen. Die MAT, so der «17. November» weiter, sei eine «bewaffnete Gangsterbande im Dienste der Monopole, des Imperialismus, der Bodossakis, der Latsis.» Die beiden letzteren, Grossindustrielle und Reeder, gehören zu den reichsten Familien des Landes.

«Die eine Hälfte unseres Dienstes, also 150 Leute, sitzt im Büro, die andere ist aktiv. Das heisst, ein Teil wird bei den Politikern und VIPs als Chauffeur und Leibwächter eingesetzt. Eigentlich sind wir nur 15 aktive Sucher.»

Manolis, wer kommt zum Anti-Terror-Dienst?

«Derjenige, der Beziehungen hat. Wer schlecht ist, regelt den Verkehr. Zu uns kommen welche direkt von der Kadettenschule. Sie wissen nicht mal, wo die Büros sind, und meinen, die Terrorgruppe ELA sei eine Polizeieinheit.» An einem milden Märztag 1988 erwischte es Alexander Athanasiadis. Dieser, elftes Opfer und Neffe des Industriellen Bodossakis, war im Sprachgebrauch des «17. November» ein Angehöriger der «Lgbk», der «Lumpengrossbürgerklasse».

«Jede neue Regierung hat die Polizei ausgewechselt.» Mary lacht. «Nicht die Besten kamen in den Anti-Terror-Dienst, sondern die Klientel der Minister. Alle Polizisten wollten dorthin. Es gibt einen Privatwagen, Zuschläge, einen bequemen Dienst in Zivilkleidung. Nach einem Anschlag machte man die erkennungsdienstliche Aufnahme, legte eine Akte an, und die Sache war erledigt. Es gab keine Fahndung. Einige Polizeichefs nahmen die Dossiers nach Hause, wenn sie versetzt wurden.»

Im Mai des Jahres 1988 entdeckte die Gruppe ihre Liebe zur Heimat. Vier Autos von türkischen Diplomaten wurden zu Schrott gesprengt. Ministerpräsident Papandreou und sein türkischer Kollege Turgut Özal hatten in Davos einen Annäherungsversuch zwischen den beiden ewig verfeindeten Ländern probiert. Der «17. November» wollte daran erinnern, dass immer noch «37 Prozent des Bodens» in Zypern von den Türken besetzt seien.

Im Juni kümmerte er sich ein weiteres Mal um die Amerikaner. Die drahtlos gezündete Autobombe tötete William Nordeen und seinen Fahrer. Nordeen war ein Leiter der US-Militärspionage.

An einem flirrend heissen Sommernachmittag des gleichen Jahres fuhr ein Polizeiauto vor einen Polizeiposten in Athen. Zwei Uniformierte stiegen aus, einen Verhafteten im Polizeigriff mitführend. Im Innern der Wache angekommen, entpuppte sich das Trio als Kommando des «17. November». Es verhaftete die von der Hitze schläfrige Belegschaft, sperrte sie in eine Gemeinschaftszelle und zog mit enteigneten Feuerwaffen, Handschellen und Stempeln wieder von dannen.

In der Manöverkritik, die anderntags in der Zeitung zu lesen war, erteilte sich der «17. November» die besten Noten: «Das Ganze geschah auf eine tadellose und mustergültige Weise. Kein Blutstropfen floss, nicht eine Ohrfeige wurde ausgeteilt.» Und als Verhaltensvorschrift für künftige Einsätze hielt der «17. November» an die Adresse der Beamten fest: «Wenn ein Polizist die Hände hochhebt, hat er von uns nichts zu befürchten.»

Die dreiste Demütigung der Polizei war ein PR-Coup erster Güte. Genüsslich zitierten die Blätter Aussagen von Anwohnern. Sie hätte die Hilferufe vom Wachposten gehört, erzählte eine Zeugin einem Journalisten, dabei aber nichts weiter gedacht. Sie sei davon ausgegangen, dass dort wieder einmal Häftlinge verprügelt würden.

«Als Fahnder war ich immer in Exarchia im Dienst, im Stadtviertel der Anarchisten.»

Manolis› Stimme wird leiser, seine Augen verschwinden hinter Schlitzen.

«Bei den Politischen hilft Prügeln nichts, da muss man weich vorgehen, mit modernen Methoden. Wir reden über alles, über Fussball, über dieses und jenes. Wir wurden von den Amerikanern geschult. Ich habe Balavas, den Terroristen, der zehn Jahre bekam, verhört. Ich halte ihn übrigens für ein Mitglied des «17. November». Nach zwei Tagen sagte er: Los, fang schon an zu foltern, ich werde nichts sagen. Aber ich habe ihn nicht geprügelt, sonst hätte er gesagt, siehst du, ich hatte recht, ihr seid Faschisten.»

Das Ende der 80er Jahre eröffnete dem «17. November» vielfältige Gelegenheiten, in die Tagespolitik einzugreifen. Das Finanz- und Presseimperium, das der knapp 30jährige Amerikagrieche Giorgos Koskotas über betrügerische Manipulationen mit der Kreta-Bank aufgebaut hatte, brach zusammen. Dabei kam aus, dass die Regierung selbst versucht hatte, den Schwindel zu vertuschen. Die Verantwortlichen der öffentlichen Dienste waren in aller Verschwiegenheit angewiesen worden, ihre Gelder auf die Kreta-Bank zu tragen, um diese wieder liquid zu machen. Koskotas› Zeitungen waren regierungsfreundlich gewesen, und viele Pasok-Leute hatten in den Chefetagen von Koskotas› Kartenhaus gute Gehälter bezogen.

Für Mary Bossis sind die Bomben und Morde nach 1975 ein neuartiges Phänomen. «Aber die Polizei», sagt Mary nun energisch, «verfolgte die gleichen Leute wie schon immer: die Kommunisten und die Linken. Ohne Erfolg. Bis in die 90er Jahre verfolgte die Polizei die jungen Leute in Exarchia, die Anarchisten, die Obdachlosen, die Süchtigen, die Szenenleute. Ohne Erfolg. Die Verhaftungen hatten keine begründete Anklage. Statt dessen schufen sie Mythen und Robin Hoods. Die Leute wurden von der Presse und der Bevölkerung heroisiert.»

Niemand war überrascht, als die im Zusammenhang mit der Koskotas-Affäre angeklagten Minister mit milden Strafen davonkamen. Es bestätigte die alte Überzeugung des Volkes von der generellen Korrumpiertheit «derer da oben». Deshalb regte sich auch niemand auf, dass der «17. November» ein wenig Prozesshilfe geleistet hatte. Zwei Staatsanwälte waren mit gezielten Beinschüssen unmissverständlich darauf hingewiesen worden, die Anklagen nicht zu schubladisieren. Ein Angeklagter, der besonders bestechliche Ex-Pasok-Minister Giorgos Petsos, war im Mai 1989 einem Bombenattentat entkommen. Die Explosion der 35-Kilo-Dynamitladung hatte seinen Wagen knapp verfehlt.

Der Reporter von «Eleftherotypia» urteilte anderntags lakonisch, der Anschlag sei «zu erwarten gewesen. Aber», analysierte er mit Kennermiene, «er kam zu früh.» Die Wahlen fänden «erst in 40 Tagen» statt. Bis dann sei das Attentat längst vergessen.

Der «17. November» hatte im Bekennerschreiben dazu aufgerufen, bei den anstehenden Regierungswahlen für ihn zu stimmen. Sein operationelles Versagen entschuldigte er mit der Volksweisheit: Ein böser Hund stirbt schwer. Und die Unterstellung, man hätte Petsos nicht wirklich treffen wollen, wies er scharf zurück. Zum Beweis für den explosionstechnisch interessierten Zeitungsleser wurden die Faktoren erläutert, die zum bedauerlichen Misslingen geführt hätten.

Der Grossteil der Bevölkerung hatte sich längst an die Paralleljustiz des «17. November» gewöhnt, als nur vier Monate später, im September 1989, der Verleger und Abgeordnete Pavlos Bakoyiannis im Stadtzentrum hingerichtet wurde. Bakoyiannis war der Schwiegersohn von Konstantinos Mitsotakis, dem Patriarchen der konservativen Wahlsiegerin Nea Dimokratia und künftigen Ministerpräsidenten. Der Anschlag war nach wenigen Tagen kein Gesprächsthema mehr. Der «17. November» war ein Teil des Alltags geworden wie die Skandälchen um Mimi, die junge Geliebte des alten Papandreou, und wie die Schwankungen der Fleischpreise. In einem Communiqué hatte die Terrororganisation von 5000 Personen orakelt, welche die Höchststrafe verdienten. Viele Griechen hatten ihre eigene Liste, Bakoyiannis war auf keiner vermerkt. Er war nie in einen bekannten Korruptionsfall verwickelt gewesen und galt als liberal und umgänglich. Er war das falsche Opfer. Der Nimbus des «17. November» als harte, aber gerechte Strafinstanz verflog.

«Maurizio von den Roten Brigaden sagte zu mir: Bis 1985 war es politischer Terror. Danach nicht mehr. Keine Prinzipien, keine Ziele, keine Grundsätze. Nur noch private Abrechnungen, wie wenn man den Liebhaber der eigenen Frau tötet.»

Das Gesicht von Manolis sagt: Aber auf mich hört man ja nicht.

Die Inquisitoren des «17. November» spürten, dass sie sich viele Sympathien verscherzt hatten. Als ob sie sich selber einreden wollten, dass ihr Amok trotzdem einem höheren Gesetz diene, extrapolierten sie aus dem Ergebnis der Regierungswahlen 1989 ein spitzfindiges Volksmandat, eine Lizenz zum Töten.

Es sei nur «logisch und gerecht», teilte der «17. November» den Massen mit, wenn er von den 20 Prozent Stimmenthaltungen und den zwei Prozent leer eingelegten Wahlzetteln mindestens «vier bis fünf Prozent» für sich beanspruche. Diese machten den «17. November» zur «viertgrössten politischen Macht im Lande. 260 000 bis 325 000 sind für uns, bejahen voll und ganz unsere konsequente 15jährige revolutionäre Tätigkeit.» Der Text kulminierte in einer trüben Apotheose der Pistole: «Die bewaffnete Aktivität des «17. November» ist die höchste, aber auch die einzig wirkliche Äusserung von Humanismus.»

Manolis, ärgere dich nicht, dein Hals, er wird schon wieder dick.

«Ich habe den Schweizer Bruno Breguet verhört. Ich habe den Chef der Palästinenser entdeckt, welche die «Achille Lauro» entführt hatten, einen 65jährigen Grossvater. Ich hatte internationalen Erfolg. Und der Dank? Im Sommer 1994 wurde ich versetzt. Es war das zehnte Mal. Ich musste am Omoniaplatz auf die Albaner los. Im Januar 1995 kam ich zurück. So werden die Spiele hier gespielt. Alles läuft über die Politik.»

Das sowjetische Imperium zerbröselte, ein Drittel des Schweizervolkes stimmte für die Abschaffung seiner Armee, Carlos, zuletzt ein Auftragskiller für Balkandiktatoren und Ölgeneräle, privatisierte in Wüstenstädten, die Kämpfer der Brigate Rosse bewarben sich wieder um bürgerliche Anstellungen, und die RAF war Geschichte, als sich der «17. November» für die 90er Jahre aufrüstete.

An Weihnachten 1989 brach ein Kommando in eine Militärkaserne ein, «stellte die Wache ruhig» und belud den gestohlenen Transporter mit sieben Dutzend Bazookas, Panzerfäusten, mit Handgranaten, Zündern und Geschossen diverser Durchmesser. Für das farbige Exklusivpressefoto arrangierte der «17. November» die Waffensammlung wie ein Schlemmerbuffet, im Hintergrund die rote Fahne mit dem Stern des «17. November» und den Porträts von Marx, Che und Kommandant Aris, einem griechischen Widerstandshelden aus dem Zweiten Weltkrieg.

Bei seinem Amtsantritt 1990 versprach der neue Ministerpräsident Mitsotakis, das Problem «17. November» innerhalb von sechs Monaten zu lösen. All die Jahre hatten er und seine Partei die sozialistische Gegnerin Pasok der geheimen Komplizenschaft mit dem «17. November» beschuldigt. Jetzt führte die konservative Regierung strenge Anti-Terror-Gesetze ein und verbot den Zeitungen, Bekennerschreiben abzudrucken.

1991 wurde das bombenreichste Jahr der Terrorgruppe. Als die Uno-Truppen den Irak bestraften, eröffnete der «17. November» mit den neuangeschafften Bazookas eine kleine zweite Golfkriegsfront am Fusse der Akropolis. Der Beschuss von Botschaftsgebäuden und Privatfirmen der Alliierten wurde alsbald auf deutsche, türkische und einheimische Objekte ausgeweitet. Rund 20 Anschläge, drei gelungene und eine missglückte Hinrichtung waren die Jahresbilanz. Und die Chefredaktoren der linken und liberalen Blätter gingen lieber ins Gefängnis, als auf die Publikation von Terroristencommuniqués zu verzichten.

«Evgenios, du bist Schweizer. Du glaubst, die Milch kommt von den Kühen.»

Ja, Manolis.

«Aber wir wissen, dass sie aus Pulver gemacht wird. Die Griechen sind intelligent. Den FBI beneide ich nur um das Methodische. Um nichts anderes sonst.»

Die Polizei war in ihren Ermittlungen bisher nicht weitergekommen als jeder Zeitungsleser. Sie wusste, welche Pistolen verwendet wurden, dass der «17. November» immer die gleiche Schreibmaschine benutzte und dass die Abschussrohre für die Bazookas in jedem Fachgeschäft für Bauzubehör zu kaufen waren.

Einmal kam sie sehr nahe heran. Eine Streife bemerkte drei Männer, die ein Nummernschild eines Autos abschraubten. Ein Polizist blieb im Wagen, der andere ging zu den drei hin. Diese traten wie auf Kommando auseinander. Plötzlich fiel ein Schuss, und der kontrollierende Polizist fühlte einen stechenden Schmerz im Bein. Er wankte zum Auto zurück, und die Streife verschwand mit quietschenden Reifen in der Nacht. Der «17. November» gab in einem Communiqué bekannt, es habe sich um seine Leute gehandelt, und lobte die wackeren Polizisten, dass sie sich aus dem Staube gemacht hätten.

Eine zweite Chance bot sich der Polizei im Frühjahr 1992. Sie hatte einen Tip über eine mögliche Aktion des «17. November» am Riancourtplatz in Athen erhalten. Über das, was dann geschah, zirkulieren verschiedene Versionen. Fest steht, dass sich am Morgen des 23. März mindestens fünf Polizeiautos in nächster Nähe von mindestens drei Mitgliedern des «17. November» befanden. Fest steht auch, dass durch eine bemerkenswerte Konzentration von Fehlleistungen und Unfähigkeit auf seiten der Fahnder die Terroristen unbehelligt davonspazieren konnten.

«Die verlorene Ehre der griechischen Polizei», «Maximale Entwürdigung zum Preis von 250 Millionen Steuergeldern», höhnte es von den Aushängen der Gazetten. Die Schmach wurde noch brennender durch ein Communiqué des «17. November». Es enthielt erstaunliche Details zum Polizeieinsatz, Details, die nur jemand wissen konnte, der während der ganzen Ak- tion in der Nähe geblieben war.

Wie steht es mit der Angst, Manolis?

«Es wäre naiv zu sagen, ich hätte kei- ne Angst. Die Presse hat uns vorgeworfen, bei Riancourt versagt zu haben. Aber die Leute sehen nur den Käse, die Falle sehen sie nicht.»

Seinen Punktegewinn verspielte der «17. November» vier Monate später. Endgültig und unaufholbar.

Die Julisonne brachte den Athener Smog zum Köcheln, und Finanzminister Joannis Paleokrassas mit Gattin steckte mit seiner gepanzerten Limousine wieder einmal im Verkehr fest. Durch die getönten Schei- ben beobachtete er das Getümmel rund um den Syntagmaplatz, die eleganten Griechinnen auf Einkaufstour, die Kaffeehausbesucher, die Touristen mit Rucksäcken, die Kinder, welche bei ihren Müttern um Eis bettelten.

Paleokrassas bekam genug vom Stau und gab dem Chauffeur den Befehl, den Wagen zu wenden. Der Ton des Chefs war gereizt, der Fahrer gehorchte schneller als sonst, obwohl er mit seinem regelwidrigen Manöver die Flüche der anderen Fahrer riskierte. Den Bruchteil einer Sekunde zuvor hatte jemand in einer leeren Bürowohnung, von der aus man die Strassen um den Syntagmaplatz gut überblicken konnte, auf den Auslöser des Zünders gedrückt.

Die Panzerfaust zischte aus dem Rohr, zerschnitt pfeifend die Luft über den Autokolonnen und raste mit tödlicher Präzision auf die Ministerkarosse zu. Deren brüsker Schwenker war nicht vorgesehen, die Panzerfaust schlitterte über das Heck und zerbarst vor dem 20jährigen Studenten Thanos Axarlian, der gerade die Strasse überquerte. Die glühenden Metallsplitter zerrissen den Jungen, ein halbes Dutzend Umstehende wurden verletzt.

Das ursprünglich deklarierte Ziel, sich mit den «Massen zu verbinden», hatte der «17. November» auf perverse Weise erreicht. Warum hörte er nicht auf nach diesem «Unfall»? War es ideologische Verbohrtheit? War es irgendeine dumpfe, unheilbare Wut, jenseits aller Glaubensbekenntnisse? War es Berufsidentität, die sich durch einen gelegentlichen Schnitzer nicht vom jahrelang ausgeübten Handwerk abbringen lässt? Jetzt, nach dem Tod des Studenten Axarlian, Opfer Nummer 19, galt es der griechischen Bevölkerung als ausgemacht, dass Ausländer, fremde Geheimdienste, CIA, Mossad, deutsche Experten, sinistre Profis hinter den Aktionen stecken, keinesfalls aber Griechen.

Mary Bossis, wer sind die Täter?

«Denk logisch. Wer kann töten? Eben. Ein Militär oder ein professioneller Killer. Der Auftraggeber ist ein anderer. Es gibt eine Arbeitsteilung. Die beiden müssen sich nicht kennen.»

Im Januar 1994 erschoss der «17. November» Michalis Vranopoulos, den im Ruche der Grosskorruption stehenden Expräsidenten der Nationalbank. Ein halbes Jahr darauf wurden als bis heute letzte der 22 Opfer ein türkischer Botschaftsberater und dessen Fahrer exekutiert.

Und weiter, Mary?

«Der Kopf sind drei Männer und eine Frau. Mehr sage ich nicht. Die Leute muss man am Rande aller Parteien suchen. Ihre Verbindungen reichen bis an den Saum der Regierung. Die Rechte wird staunen.»

Im März 1995 verschaffte sich die Gruppe einen Fernsehauftritt und dem Sender Mega Channel einen Primeur. Während der Abendnachrichten jagte sie eine Bazooka ins Studio. Das Ereignis wurde professionell in die Sendung integriert. Das notorische Communiqué war ungewohnt wirr und voller paranoider Konstrukte. Die Journalisten glaubten daher zuerst, es sei eine Fälschung. Vehement wehrte sich der «17. November» gegen «angebliche Enthüllungen» durch Stasi-, KGB-, Securitate-Akten. Falls dort Daten über ihn enthalten sein sollten, seien diese vom CIA gefälscht.

«Sie sind wütend», lächelt Mary, «sie fühlen, dass sie eingekreist sind. Die Stasi-Akten kamen 1991. Der damalige Polizeichef, einer von der Nea Dimokratia, schaute nicht hinein. Wertloses Zeug, meinte er. 1994 bekam ich die Akten vom FBI. Zusammen mit zwei Polizisten, einem von der Pasok und einem von der Nea Dimokratia, studierte ich sie. 100 Kilometer Papier. Sehr interessant. Meine Arbeit ist beendet. Jetzt ist es an der Regierung und an der Polizei.»

Fühlen Sie sich bedroht?

«Ich habe zwei Vorträge vor Polizisten gehalten. Aus beiden erschienen Auszüge in den Communiqués des «17. November». Sie wollten mir mitteilen: Wir haben dich im Auge. Bei der Polizei gab es ein Leck. Einer erzählte es einem anderen, dieser wieder einem. Ich habe keine Angst. Ich bin Wissenschaftlerin.» Wieder lächelt Mary.

Auf dem Gang treffe ich Manolis. «Komm nächstes Jahr wieder», verabschiedet er sich, «dann bring› ich dir einen Terroristen.» ·

Anschlag vom 15. 3. 1995 auf den TV-Sender Mega Channel (links). Von einem Balkon aus wurden während der Abendnachrichten zwei Panzerfäuste ins gegenüberliegende Studio gefeuert.

Exekution von Vassilios Mallios in der Innenstadt von Athen am 14. 12. 1976. Mallios war während der griechischen Militärherrschaft Offizier und berüchtigter Folterer.

1991 war das bombenreichste Jahr der Terrorgruppe. Unter Beschuss kamen Gebäude der Golfkriegs-Alliierten, aber auch die deutsche Brauerei Löwenbräu im mittelgriechischen Atalandi.Eugen Sorg ist redaktioneller Mitarbeiter des «Magazin».

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