Basler Zeitung

12.03.2011

Zu Recht flog Libyen aus dem Menschenrechtsrat. Aber wie gelangte dieses Land überhaupt hinein?

Der Rat der Schande

Eugen Sorg

Anfang dieses Monats wurde Libyen «wegen schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen» von der UNO-Generalversammlung aus dem Menschenrechtsrat ausgeschlossen. Der Entscheid fiel einstimmig, sogar die Vertreter Libyens hatten angesichts des Taumelns ihres Herrschers hurtig für den Rauswurf des Landes votiert. Nur die venezolanischen Abgesandten des Petrocaudillos und Gaddhafi-Freundes Hugo Chávez enthielten sich der Stimme. Sie forderten, dass man zuerst in Libyen selber nach Beweisen für Übergriffe suchen sollte. Diese Anmahnung zur Objektivität war im Prinzip richtig, aber etwas ehrlicher hätte sie geklungen, wäre sie vor dem Mai letzten Jahres geäussert worden, als Libyen in den 47-köpfigen Menschenrechtsrat aufgenommen worden war.

Damals hatten jedoch weder Venezuela noch die 154 anderen von 188 Ländern, die den Gaddhafi-Staat in das oberste UNO-Gremium gegen Gewalt, Folter und Unterdrückung gewählt hatten, nach Aufklärung über die Situation in den Gefängnissen und Lagern des Obersts verlangt. Das ist nicht verwunderlich, denn die Mehrheit der UNO-Staaten sind autoritäre, undemokratische Regime. Diese haben kein Interesse an einer Institution, die ihre Aufgabe als Wächterin über die universalen elementaren Rechte ernst nimmt. Lieber hieven die Dritte-Welt-Autokraten andere Tyrannen wie Gaddhafi in den Rat, um sich als Gegengeschäft Schutz vor neugierigen Blicken und lästigen Resolutionen garantieren zu lassen.

Es war das erste Mal, dass ein Mitglied aus dem 2006 gegründeten Menschenrechtsrat geworfen wurde. Einige Beobachter wie Julie de Rivero von der NGO Human Rights Watch sahen darin ein «starkes Signal» des Rats, der endlich seine «ganze Macht» gezeigt habe. Und Vincent Chetail, Genfer Experte für Internationales Recht, diagnostizierte gar eine neue «diplomatische Reife der Arabischen Liga», die bis anhin jede Kritik an einem ihrer Despotenkollegen abgeblockt hatte. Doch die Freude über einen angeblich demokratischen Sinneswandel ist naiv. Gaddhafi wurde fallen gelassen, weil man nicht mehr an sein politisches Überleben glaubte und weil die Diktatoren angesichts des Aufstandes der arabischen Massen vorsichtiger agieren müssen. Ginge es tatsächlich um Menschenrechte, müssten noch andere Mitglieder nach Hause geschickt werden.

Zum Beispiel das karibische Inselgefängnis Kuba; oder die angolanische Kleptokratie des Präsidenten Dos Santos; die königlichen Familienliegenschaften Jordanien, Katar, Bahrain, von denen Letztere gerade kürzlich wieder friedliche Demonstranten über den Haufen schiessen liessen; das Sklavenhalterregime Mauretanien; auch die Schlägerrepublik Russland; Voodoostaat Kamerun; China, Weltrekordhalter im Vollstrecken der Todesstrafe; das kleine, hochkorrupte Djibouti; und gewiss auch der Gottesstaat Saudi-Arabien, wo die einzigen erlaubten öffentlichen Veranstaltungen neben dem Besuch der Moscheen und der Shoppingmalls die Hinrichtungen mit dem Schwert sind, die jeweils nach dem Mittagsgebet auf dem Platz vor dem grössten Gotteshaus stattfinden.

Fehlkonstruktion. Nicht nur die letztjährige Wahl von Gaddhafis Libyen war eine Schande. Der ganze Rat ist eine Verhöhnung der ihn konstituierenden Idee. Schon die erste Sitzung des Gremiums im Juni 2006 offenbarte seine Fehlkonstruktion. Als ein Ausschuss Foltervorwürfe gegen Usbekistan und die sogenannte doppelte Todesstrafe in Iran behandelte (ein Verurteilter wird erhängt, kurz vor dem Tod vom Galgen genommen und danach ein zweites Mal aufgehängt), intervenierten die Delegierten der wichtigsten islamischen Staaten und sorgten dafür, dass das Thema von der Traktandenliste verschwand.

Der mit fleissiger Mithilfe vom Departement Calmy-Rey ins Leben gerufene Rat wird von einer stabilen Mehrheit von Unrechtsstaaten dominiert. Die 26 afrikanischen und asiatischen Mitglieder, unterstützt von Kuba und Russland, verhindern hartnäckig Fortschritte an der Menschenrechtsfront. Dafür widmen sie sich ihrem politisch motivierten Hauptinteresse: In den vergangenen fünf Jahren hat der Rat 51-mal Staaten verurteilt – 35 dieser Verurteilungen galten Israel. Die Schande ist strukturell. Nur eine geänderte Ratszusammensetzung kann aus einem schlechten Witz jene respektable Einrichtung machen, als die sie ursprünglich gedacht war.

Ginge es tatsächlich um Menschenrechte, müssten noch andere Mitglieder nach Hause geschickt werden.

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