Basler Zeitung

18.03.2011

Hamlet regiert

Von Eugen Sorg

Spätestens seit Beginn der arabischen Revolte, ausgelöst durch die Selbstverbrennung eines jungen tunesischen Gemüsehändlers im Dezember 2010, fragt man sich allenthalben, welche Politik die USA in Nahost eigentlich verfolgen. Die Obama-Administration wurde wie die übrigen Regierungen von den Ereignissen überrumpelt und scheint diesen seither hinterherzustolpern. Es wird keine Strategie, kein langfristiges aussenpolitisches Konzept sichtbar. Der Präsident wirkt ratlos und unentschieden, wenn er sich denn überhaupt zur Lage äussert.

Als im Frühsommer 2009 die für mehr Freiheit demonstrierenden iranischen Schüler und Studenten von den Schlägern des mit apokalyptischen Fantasien durchwalteten Gottesstaats niedergeknüppelt wurden, vernahm man aus Washington nach längerem Schweigen nur ein kaum hörbares Murmeln zugunsten der mutigen Jugend, verbunden mit der ebenso leisen diplomatischen Zusicherung, sich nicht in die innere Angelegenheiten eines anderen Landes «einmischen» zu wollen.

In Tunesien und Ägypten hingegen äusserte man mehr Sympathie für die gegen die Diktaturen protestierenden Massen, liess aber mit dem ägyptischen Premier Hosni Mubarak einen langjährigen, zuverlässigen und für die Stabilität der Region wichtigen Verbündeten wie eine heisse Kartoffel fallen. Oberst Gaddhafi wiederum wurde von Obama aufgefordert, abzutreten, kaum hatten sich die ersten libyschen Orte vom Despoten losgesagt. Aber als der Beduine begann, sich mithilfe seiner mitleidlosen Tuareg-Söldner und seiner überlegenen Militärmaschinerie in die abtrünnigen Gebiete zurückzubomben, konnte sich die amerikanische Regierung nicht mal zur Einrichtung einer Flugverbotszone über den bedrohten Städten durchringen.

Das konfuse Agieren der US-Diplomatie erweckt in der Region vor allem einen Eindruck: Obama ist ein schwacher Präsident. Weder kann er Freunde schützen noch vermag er Feinde in die Schranken zu weisen. Die von schiitischen Aufrührern bedrängten sunnitischen Golfdynastien wie Bahrain oder Saudi-Arabien, bisher treue Westalliierte, werden sich nach neuen Sicherheitspartnern umsehen – im Osten bei China, Indien, der Türkei. Und die nach regionaler Hegemonie, Zugang zum Mittelmeer und Atomwaffen strebenden iranischen Mullahs reiben sich die Hände. Vor knapp einem Monat schickten sie zwei Kriegsschiffe in den Suezkanal. Das erste Mal seit über dreissig Jahren. Und vor wenigen Tagen brachte die israelische Navy den Frachter «Victoria» auf, beladen mit verschiedensten Arten von Waffen, darunter Anti-Schiff-Raketen. Adressat: Gazastreifen; Absender: Iran. Die Mullahs haben keine Sanktionen zu befürchten. An der Spitze der einzig verbliebenen Supermacht steht Barack Obama, sinnierend, abwägend, untätig. Ein moderner Hamlet. eugen.sorg@baz.ch > Seite 6

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