Basler Zeitung
10.10.2012
Nachrichten aus der Sumpfliga
Hugo bleibt
Von Eugen Sorg
Es war keine gute Nachricht, die uns vor Kurzem aus Lateinamerika erreichte. Hugo Chávez, seit 13 Jahren Präsident Venezuelas, wurde wiedergewählt. Der ehemalige Putschoffizier konnte satte 54 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen und darf für weitere sechs Jahre sein Land regieren. Der Sieg des krawallesken Caudillos fiel deutlicher aus, als viele Beobachter erwartet hatten. Die bisher chronisch zerstrittene Opposition hatte sich zum ersten Mal auf einen Kandidaten einigen können, auf den jugendlich wirkenden, aber seriösen ehemaligen Gouverneur Henrique Cabriles. Und dem Land geht es im Jahr 13 des von Chávez ausgerufenen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» trotz des immensen Ölreichtums nicht gut.
Die chaotische Verstaatlichung eines grossen Teils der agro-industriellen Produktionskette, vom «Hof bis zum Supermarkt», hat zu chronischen Lebensmittelengpässen und zu sowjetisch langen Warteschlangen vor den Regierungsläden geführt. Die nationalen Stahl- und Zementfabriken können den wachsenden Bedürfnissen nach Wohnraum nicht nachkommen, Stromausfälle sind notorisch, und bis jetzt hat es die staatliche Telefongesellschaft noch nicht fertiggebracht, einen zuverlässigen Internetzugang zu installieren. Julian Assange habe nur deshalb Chávez nicht um Asyl gebeten, spottet man in Caracas, weil das Internet im Lande so langsam sei.
Auch auf den Ölanlagen häufen sich Unfälle und Pannen. Die «bolivarische Revolution» des Hugo Chávez krankt wie alle staatlich-ideologischen Menschheitsbeglückungsprogramme daran, dass nicht die fähigsten, sondern die linientreusten Personen in Machtpositionen gehievt werden. Auf dem Korruptionsindex rangiert das Land in der Sumpfliga zusammen mit Nationen wie Sudan oder Jemen. Milliarden an Regierungsgeldern verschwinden in den Taschen der Funktionäre und sozialistischen Günstlinge des Regimes. Leistungseinbrüche wie in der Stahlindustrie, die nach der Verstaatlichung zwei Drittel weniger produzierte, werden durch teure Stahlimporte kompensiert. Die reich sprudelnde Quelle an Petrodollars erlaubt es, die Fassade eines Courant normal aufrechtzuerhalten, gargantueske Verschwendung, dreisten Diebstahl und kolossale Misswirtschaft notdürftig zu kaschieren. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Korruption in Produktionsstätten korrespondiert mit Korruption in der Politik. Seit seinem Antritt arbeitet Chávez geduldig und zielstrebig daran, die Macht seines Amtes auszuweiten. Er hat ein institutionelles Parallelwerk zu den demokratischen Einrichtungen des Staats geschaffen, mit ihm hörigen Richtern, Politikern, Medienleuten und Sicherheitstruppen. Und er hat einen an nordkoreanische Verhältnisse erinnernden Personenkult entwickelt.
Sein zerknautschtes Antlitz ist allgegenwärtig, auf Plakaten, Mauern, Zeitungscovern, staatlichen Nahrungsmitteln und im Fernsehen, wo er regelmässig Sendungen unterbricht, um sich mit flammend-pathetischen Reden, frei assoziierenden Schimpftiraden gegen Feinde oder selbst gesungenen Liedern ans Volk zu wenden.
Die ungläubige Überraschung vieler, vor allem ausländischer Beobachter, über den erneuten und deutlichen Wahlsieg von Hugo Chávez hängt mit den oftmals bizarren Auftritten des Präsidenten zusammen. Wie könnte jemand diesen irrlichternden Clown ernst nehmen?
Vor zwei Jahren beispielsweise liess Chávez, wie die «Washington Post» berichtete, in einer nekrophilen Zeremonie um Mitternacht das Skelett des vor genau 80 Jahren verstorbenen und von ihm verehrten lateinamerikanischen Freiheitshelden Simón Bolívar ausgraben. Einige Knochen übergab Chávez den Medizinern, um untersuchen zu lassen, ob Bolívar vergiftet worden sei (von den Amerikanern, wie Chávez natürlich vermutete), die übrigen Teile legte er in einen Sarg, den er mit dem Siegel seiner Regierung verschloss. Chávez, der sich als Wiedergänger Bolívars sieht, wandte sich mit einem Gebet an Jesus und bat diesen wie einst Lazarus, Bolívar auferstehen zu lassen. «Ich hatte meine Zweifel», erzählte Chávez, «aber als ich die Gebeine sah, sagte mein Herz: ‹Ja, das bin ich. Vater, bist du es, oder wer bist du? Die Antwort: Ich bin es, aber ich wache alle hundert Jahre auf, wenn das Volk aufwacht›. »
Weniger verwundert über den Wahlsieg dürften die Venezolaner gewesen sein. Diejenigen, die nicht zu den Anhängern Chávez’ gehören, wissen, dass hinter der verrückten Maske ein schlau und skrupellos agierender Machtmensch steckt, ähnlich wie Gaddhafi, der neben den iranischen, kubanischen und syrischen Despoten zu den engsten politischen Verbündeten des bolivarischen Trommlers gehörte. Die Landsleute nehmen ihn ernst, und sie schämen sich auch für ihn und ihr Land. Zum Beispiel dann, wenn er wie 2006 an einer UNO-Versammlung vor die Weltöffentlichkeit tritt, und erklärt, er könne den Schwefelgeruch des Teufels noch riechen. Kurz vor ihm war der damalige US-Präsident George W. Bush auf dem Podest gestanden.
Der Jubel der armen Massen für den Wahlsieger wird nicht ewig dauern. Die Staatsschulden wachsen, die Währungsreserven schwinden, die totale Abhängigkeit vom einzigen Exportgut Öl ist gefährlich. Schon jetzt liegt die Inflation bei 20 Prozent, auf dem Schwarzmarkt ist der Wechselkurs dreimal höher als der offizielle Kurs und die Geldentwertung schreitet weiter voran.
Chávez hat drei Krebsoperationen hinter sich («Es ist nicht auszuschliessen, dass die Amerikaner eine Technologie entwickelt haben, um ihre Feinde mit Krebs zu infizieren»), er hat keinen Nachfolger aufgebaut. Wenn das Schmiermittel Öl einmal ausfällt, bricht die Gesellschaft auseinander. Die in Chávez’ kostenlosen Schulen und Hochschulen für Unterschichtler gelehrten sozialistisch-bolivarischen Grundsätze befähigen nicht zur Reparatur eines Traktors oder zur Führung eines Unternehmens.
Wenn der bolivarische Spuk einmal vorbei ist, wird Jubel in Zerstörung kippen. Nicht selbst erarbeiteter Wohlstand macht undankbar und asozial. Schon jetzt gehört Venezuelas Hauptstadt Caracas zu den kriminellsten und gefährlichsten Städten der Welt.