Basler Zeitung

12.10.2012

Von Islamophobie und Christophobie

Das Testament des Pfarrers Meslier

Von Eugen Sorg

«Und was ich hier im Allgemeinen über die Hohlheit und Falschheit der Religionen der Welt sage, trifft nicht nur auf die heidnischen und fremden Religionen zu (…), sondern es betrifft gleichfalls Eure muslimische Religion, da sie in der Tat nicht weniger eitel noch weniger falsch ist, als irgendeine andere, und ich würde sogar sagen, dass sie in einem Sinne noch unnützer und falscher ist als jede andere, weil es vielleicht überhaupt keine andere gibt, die in ihren Grundsätzen so lächerlich und absurd ist wie diese da, noch der Natur und dem gesunden Menschenverstand so zuwider.»

«Denn es ist weder zu glauben noch anzunehmen, dass Allah, der, wie man sagt, unendlich gut und weise ist, den Menschen hätte Gesetze und Vorschriften geben sollen, aber nicht gewollt hätte, dass diese sicherere und zuverlässigere Zeichen der Wahrheit aufweisen als die der Betrüger, von denen es auf der Welt so unendlich viele gibt. Nun kann aber keiner unserer Gottesanbeter und Mohammedaner, welcher Bande, Sekte oder Religion er auch zugehören möge, durch klare, stichhaltige und überzeugende Beweise zeigen, dass seine Religion wahrhaft göttlichen Ursprungs ist.»

«Ein schlagender Beweis hierfür ist, dass seit so langer Zeit, während derer sie sich schon über den Gegenstand ihrer jeweiligen Meinung streiten und einander gar mit Feuer und Schwert verfolgen, es noch keine andere Partei unter ihnen gab, der es gelungen wäre, die anderen gegnerischen Parteien durch solche Beweise der Wahrheit zu überzeugen und zu überreden.»

«Er (Prophet Mohammed) bildete sich ein, dass er sie alle aus der Gefangenschaft und der Knechtschaft aller Nationen erlösen werde und ihr Königreich wieder aufrichte in einem Kalifat, das blühender sein werde als je zuvor. Er bildete sich ein, dass er bald mit grosser Kraft und Heiligkeit samt seinen Engeln vom Himmel herabsteigen werde, versehen mit der Macht, zu richten über die Lebendigen und die Toten, die er glaubt wieder­auferstehen lassen zu müssen, und um die ganze Erde in Wahrheit und Gerechtigkeit zu regieren.»

«Sind das nicht ganz unverkennbare Einfälle und Phantasien eines Wahnsinnigen? Hatte Don Quixotte, dieser berühmte Wirrkopf und umherirrende Ritter, jemals gleiche oder ähnliche Einfälle? Gewiss nicht, denn wie wirr und falsch seine Einfälle und Vorstellungen auch waren, so haben sie doch nicht diesen Gipfel von Wirrnis erreicht, dazu war schon ein Erzfanatiker wie der Mohammed der Mohammedaner nötig, um derart eitle, falsche, lächerliche, aberwitzige und ungereimte Phantasien und Einfälle hervorzubringen, wie er sie hatte.»

«All dies beweist aber klar und deutlich, dass der Islam in seinen Anfängen nichts als ein häss­licher und lächerlicher Fanatismus war und es folglich auf der Hand liegt, dass unsere Mohammedaner sich im Irrtum befinden, ja im allergröbsten Irrtum über diesen Punkt, in einem lächerlicheren und unsinnigeren, als es die Heiden jemals waren. Haben doch die Heiden niemals die menschliche Vernunft mit der Torheit verwechselt, noch menschliche Torheit als übernatürliche und göttliche Weisheit ausgegeben, wie es unsere Muslime tun.»

Diese Zeilen wurden vor rund 300 Jahren geschrieben. Ihr Verfasser war ein unbekannter Landpfarrer, der sein ganzes berufliches Leben in einem ärmlichen Dorf in der französischen Champagne verbracht hatte. Nach seinem Tod im Jahre 1729 tauchte ein «Testament» auf, ein mehrere Hundert Seiten langes «Vermächtnis der Gedanken und Abhandlungen und Ansichten von Jean Meslier, Priester, Pfarrer von Etrépigny und Balaives».

Die zitierten Sätze stammen aus dem «Testament». Würden sie heute verfasst, müsste sich der Autor den Vorwurf der Islamophobie, der verantwortungslosen Provokation, der antiislamischen Hetze oder Ähnliches gefallen lassen, und er hätte Mühe, eine respektable Zeitung zu finden, die ihn abdrucken würde. Nun muss aber an dieser Stelle verraten werden, dass die Zitate von mir leicht verfälscht wurden. Wo muslimisch steht, Allah, Mohammedaner, Kalifat, Prophet Mohammed oder Islam, hatte Meslier in Wirklichkeit christlich, Gott, Christen, Staat, Jesus Christus oder Christentum geschrieben. Die Kritik in seinem Testament richtete sich in erster Linie gegen die dominierende christliche Religion und die katholische Kirche. Meslier sei «christophob», hätte man damals geschimpft, wäre der Begriff schon erfunden worden.

Niemand in seinem Dorf und schon gar nicht seine bischöflichen Vorgesetzten hatten geahnt, dass der unscheinbare und untadelige Abbé in seiner Freizeit an einem Werk schrieb, das die politische und religiöse Ordnung der Epoche radikal infrage stellte. Mesliers Geheimnistuerei hatte einen guten Grund. Nach den damaligen Gesetzen und Gepflogenheiten hätte man ihn einges­perrt, gefoltert und hingerichtet, wären seine Ideen bekannt geworden. Wie eine Flaschen­post landete eine Abschrift dieses Vermächt­nisses über unbekannte Stationen Jahre später zufällig auch bei Voltaire, der «seine Brüder», die anderen grossen Aufklärer – d’Alembert, Helvétius, Diderot, Holbach – mit der Schrift bekannt machte.

Das Testament des Abbé Mesliers kann als «vergessener Anfang der französischen Aufklärung» (Günther Mensching) bezeichnet werden, als philosophische Programmschrift eines neuen Zeitalters. Die Aufklärung ermöglichte schliesslich mehr politische und individuelle Freiheit, den Siegeszug des westlich-wissenschaftlichen Denkens, die atemberaubendste ökonomische, technische und kulturelle Entwicklung seit Menschengedenken. Am Anfang standen Individuen wie Meslier, unerschrocken, scharfsinnig, gebildet, mitunter auch rücksichtslos und polemisch, unabhängige Geister auf jeden Fall, die sich nicht scheuten, zeitgeistige Frömmigkeiten und Gewissheiten infrage zu stellen.

Der erste Schritt in die Freiheit ist die Religionskritik. Wird diese eingeschränkt, ist die ganze Freiheit in Gefahr. Was die Aufklärer wussten und am eigenen Leib erfuhren, scheinen wir Nachfahren zunehmend zu vergessen.

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