Basler Zeitung

28.09.2012

Vom Ablasshandel zu den Forschungssubventionen

Lust am Weltuntergang

Von Eugen Sorg

In drei Monaten, genauer am 21. Dezember 2012, um 11.11 Uhr wird unsere Welt unter­gehen. Durch Kometeneinschläge oder Vulkanausbrüche oder Atombomben oder Viren oder sonst etwas Gewaltiges. Dies sagt der Langzeit­kalender des Volkes der Maya aus dem 7. Jahrhundert voraus. Deren Astrologen hatten berechnet, dass an ­diesem Tag die Sonne in einem speziellen, ­schicksalsträchtigen Winkel zur Milchstrasse ­stehen würde.

Doch keine Angst, es wird nichts passieren. Genau­so wenig wie in allen anderen Fällen, etwa wie an jenem 14. Juli 1960 um 13.45 Uhr, als Hunderte von Gläubigen auf den Montblanc geklettert waren, um sich von engelsgleichen «ultraphonischen Wesen in fliegenden Unter­tassen» retten zu lassen, während die Menschen im Flachland von einer «atomischen Katastrophe» vernichtet würden, wie Sekten­oberhaupt Bruder Emman so anschaulich und präzise prophezeit hatte.

Allerdings haben religiöse Seher kein Monopol auf apokalyptische Visionen. Auch aufgeklärte, säkularisierte Geister zeigen Neigungen zu ­Endzeitfantasien, wie dies Matt Ridley in seinem klugen Essay «The Rational Optimist» aufzeigt. Gerade in den letzten 50 Jahren hat eine ganze Kaskade von Büchern und Ideen wissenschaftlich argumentierender Autoren totale Desaster­prognosen verkündet. Sie hatten Erfolg, ihre Thesen fanden gesellschaftliches Echo und zeitigten politische Wirkung. Sie initiierten unter anderem in den reichen Ländern des Nordens die Bewegung der Grünen, einflussreich in der Gesetz­gebung, aber mächtig vor allem als parteien­übergreifende weltanschauliche Übereinkunft.

Den trommelnden Auftakt machte Anfang der 60er-Jahre Rachel Carsons «Stummer Frühling», sozusagen die Gründungsurkunde der modernen Umweltschützer. Die Amerikanerin Carson behauptete, die landwirtschaftlich genutzten Pestizide, im Besonderen DDT, würden nicht nur zur Ausrottung der Wildtierbestände führen, sondern auch zur epidemischen Verbreitung von Krebs unter den Menschen. DDT wurde in der Folge in den meisten Ländern verboten. Sechs Jahre später kündigte der Ökologe Paul Ehrlich in seinem Bestseller «Die Bevölkerungsbombe» wegen Ressourcenknappheit verheerende Hungersnöte an. Indien beispielsweise sei nicht mehr zu retten und würde sich als Nation in Hunger­agonie auflösen.

Im Januar 1970 erregte das US-Magazin «Life» mit einem spektakulären Bericht Aufsehen. In zehn Jahren, zitierte das Heft angesehene Wissenschaftler, würden Städter nur noch mit Gas­masken überleben können. Und spätestens Mitte der 80er wäre die Luftverschmutzung derart ­fortgeschritten, dass nur noch die Hälfte des ­Sonnenlichts die Erde erreiche.

1972 erschreckte eine Studie des Club of Rome, ein erlauchtes, multikulturelles Gremium aus Adligen und Ehrendoktoren, die lesende Welt. «Die Grenzen des Wachstums», in 30 Sprachen übersetzt, prognostizierte einen ungebremsten Anstieg der Weltbevölkerung, das Versiegen der Rohstoffe und einen am Horizont dräuenden ­Kollaps der menschlichen Zivilisation.

Die 80er-Jahre bescherten uns gleich mehrere Katastrophenvarianten. «Der Wald stirbt», posaunte das Magazin «Der Spiegel», der «Stern» trompetete, dass ein Drittel des deutschen Waldes bereits gestorben sei. Schuld sei der saure Regen. In ganz Europa machten sich wehmütige Wanderer und Schulklassen auf den Weg, um einen letzten Blick auf das todgeweihte Blätteruniversum zu werfen. Dazu kam ein sich vergrösserndes Loch in der Ozonschicht, angeblich verursacht durch Treibgas aus Kühlschränken und Spraydosen. Bereits seien deswegen ganze Froschpopulationen verschwunden, und Hautkrebs bei Menschen nehme dramatisch zu, wurde geschrieben; Al Gore vermeldete blinde Lachse und Kaninchen.

Und wieder war es der deutsche «Spiegel», der das nächste Unheil ankündigte. «Die Klima-Katas­trophe» prangte 1986 auf dem Titel, und über einem bis zur Hälfte unter Wasser stehenden Kölner Dom stand wie in Flammen geschrieben «Ozon-Loch, Pol-Schmelze, Treibhauseffekt». Die Drohung mit dem Klima-Armageddon schwebt bis heute über uns, obwohl man nicht mehr von «Klimaerwärmung», sondern von «extremen Wettern» redet, da es in den letzten zwölf Jahren trotz gegenteiliger Ansage nicht wärmer geworden ist. Alle anderen Voraussagen haben sich als falsch erwiesen. Indien prosperiert, die Luft ist sauberer, der Wald prosperiert, das Ozonloch hat sich teilweise wieder geschlossen, und niemand weiss warum, die Ölvorräte werden dank neuen Funden und Gewinnungstechniken für Hunderte von Jahren unseren Lebensstandard garantieren.

Nebenbei sind noch diverse prognostizierte Volksseuchen an uns vorübergegangen. Ebola, ein Virus aus den dunklen Tropen, Rinderwahnsinn, Sars, Vogelgrippe, Marburgfieber, Schweinegrippe. Über Letztere sagte die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan: «Die ganze Menschheit ist in Gefahr.»

Wie bei den religiösen wartet man auch bei den wissenschaftlichen Apokalyptikern vergeblich auf eine Entschuldigung für die Panik, die sie mit ihrem falschen Alarm ausgelöst haben. Dafür warten sie bald mit einer neuen tödlichen Pandemie oder einem Atmosphärenkollaps oder einer lauernden zivilisatorischen Kernschmelze auf. Und die Leute werden es wieder glauben. Kirchen und Grossideologien spielen in den Wohlstandszonen kaum mehr eine Rolle.

Die neue Religion heisst Apokalogie. Sie bewirtschaftet das den Menschen innewohnende archaische Reservoir an Vernichtungsängsten und Schuldgefühlen, das jenseits von Kultur und Wissens­stand existiert. Und die neuen Hohe­priester funktionieren wie ihre entzauberten ­Vorgänger. Sie geniessen ihr Ansehen, ihre Macht und die damit verbundenen Gelder. Früher stammten sie aus dem Ablasshandel, heute ­werden sie als Forschungssubventionen aus den Steuerein­nahmen bezahlt.

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