Basler Zeitung

26.01.2013

Kopf der Woche Bernard-Henri Lévy

Verwegener Mahner

Von Eugen Sorg

Es war ein typischer, unnachahmlicher Bernard-Henri-Lévy-Auftritt. Der französische Philosoph, in seinem Land kurz BHL genannt, war im Frühjahr 2011 über ein Wochenende von Paris nach Libyen geflogen. Der Aufstand gegen Gaddhafi drohte im Blut erstickt zu werden: BHL sprach im belagerten Bengasi bei Rebellenführer Abd al-Jalil vor. Der misstrauische Libyer wusste nicht, wer der Franzose im edlen, dunklen Sakko und dem weit aufgeknöpften weissen Hemd war und was der von ihm wollte. Er sei Autor, sagte Lévy, er könne ihm helfen. Die bärtige Runde schaute noch misstrauischer, aber Lévy fuhr ungerührt fort, er habe einen Freund, Monsieur Sarkozy, Präsident von Frankreich. Und er werde ihn jetzt über sein Satellitentelefon anrufen und Unterstützung anfordern.

Lévy bluffte. Sarkozy hatte keine Ahnung, dass BHL in Libyen war, die beiden hatten Jahre nicht mehr miteinander gesprochen. In zehn Minuten überzeugte er den Präsidenten, für die Aufständischen aktiv zu werden. Kurz darauf wurde Abd al-Jalils Übergangsrat im Elysée empfangen; zwei Wochen nach dem Anruf griffen französische Jets Gaddhafis Truppen an und pulverisierten mit Nato-Hilfe das Reich des Beduinendiktators. Mit einer Mischung aus Grössenwahn, Scharlatanerie und Kühnheit hatte der philosophische Dandy und Libertin den Westen zum Kriegsabenteuer verführt.

Gäbe es ähnlich dem Arztroman das Genre des Philosophenromans, lieferte BHLs Leben das Vorbild dazu. Geboren 1948 in einer vermögenden jüdischen Familie in Algerien und aufgewachsen in Frankreich, fiel der gut aussehende Junge bald durch geistige Brillanz und schreiberisches Talent auf. Nach 1970 war er ein Star der Nouveaux Philo­sophes – junge Intellektuelle, die den damals vorherrschenden Marxismus radikal kritisierten und ablehnten. Früh begann er mit seinen Reisen. Er war auf allen Kriegsschauplätzen der letzten 35 Jahre, von wo er moralisch aufrüttelnde Berichte verfasste, um die Mächtigen zum Stoppen des Blutvergiessens zu bewegen.

So sehr man seinen Mut bewunderte, wurde man den Eindruck nie los, dass es dem Mahner mit der verwegenen Haartolle auch um Selbstinszenierung ging. Als ob Abgründe dieser Welt nur existieren würden, damit BHL an ihnen seine literarische Eloquenz und seinen eleganten Tiefsinn demonstrieren könne. Die Zahl der von ihm eroberten Frauen und seine Eitelkeit sind legendär. «Gott ist tot. Aber meine Frisur sitzt perfekt», spottete ein Kritiker über den Franzosen.

Lévy hat den jüngsten Entscheid von Frankreichs Präsident Hollande, in Mali militärisch einzugreifen, gelobt. Mali brach als Folge von Gaddhafis Sturz auseinander und wurde Aufmarsch­gebiet internationaler islamistischer Terrorgruppen. Der wort­gewaltige Schöngeist Lévy weist jegliche Mitverantwortung von sich.

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