Basler Zeitung

09.06.2017

Eine Frage der Moral

Zukunft mit Mohammed

Von Eugen Sorg

Der grosse Reporter Ryszard Kapuscinski schwärmte einst von der unermesslichen Vielfalt an Namen in ursprünglichen afrikanischen Gesellschaften. Kinder, berichtet er, erhielten dort ihren Namen oft in Verbindung mit irgendeinem Ereignis am Tag ihrer Geburt. Frischer Morgen kann zum Beispiel ein kleines Mädchen von seinen Eltern geheissen werden (wenn es im Morgengrauen geboren wurde), oder Akazienschatten (wenn es unter einer Akazie zur Welt kam), oder Die Geduldige (wenn die Niederkunft lange gedauert hat). Ein tansanischer Freund von Kapuscinski wiederum hiess Edu – eine Abkürzung für «education», weil an dem Tag, da Edu geboren wurde, in seinem Dorf die erste Schule eröffnet worden war. Und Kinder, die zur Zeit der ostafrikanischen Unabhängigkeit geboren wurden, erhielten nicht selten den Namen Uhuru (Kisuaheli für Unabhängigkeit).

Inspiriert von den Geburtsumständen berichteten die Namen nicht nur von der individuellen Geworfenheit ihrer Träger, sondern bildeten auch eine Art Volks-Gedächtnis. Mit der Ausbreitung des Christentums und des Islam allerdings kam diese kulturelle Tradition unter Druck und diese «blühende Welt der Poesie und Geschichte wurde», wie Kapuscinski mit Bedauern feststellt, «auf ein paar Dutzend Namen aus Bibel und Koran reduziert». Wie James und George oder Mohammed und Ibrahim.

Kapuscinski hatte diese Beobachtungen in den frühen Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts aufgeschrieben. Seither hat sich einiges wieder geändert. Im Zuge der Dekolonisierung kam es zur Rückbesinnung auf die kulturellen Überlieferungen des Schwarzen Kontinents und die Kreativität der afrikanischen Namensfindung – Schönes Kind, Sonntag, Grosse Freude, Voller Tränen – entfaltete sich erneut. Jedoch hauptsächlich in den freieren, christlich geprägten Regionen, während in den muslimisch dominierten Ländern die Rangliste der populärsten Babynamen monoton gleich blieb. Mit Abstand häufigster Bubenname in Ägypten bis Mali ist Mohammed, nach dem Gesandten Allahs, Gründer des islamischen Imperiums und perfekten Menschen. Auf ihn folgen Karim, Tariq, Ahmed oder Abdelkader, je nach regionalem Gusto, aber immer und ausschliesslich Figuren aus der islamischen Heilsgeschichte.

Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich in Europa. Innerhalb einer Generation erlebte die christliche Religion, immerhin 2000 Jahre lang vorherrschende kulturelle und spirituelle Zentral­instanz einen atemberaubenden Verlust ihres Einflusses. Die Schwindsucht der sich leerenden Kirchen äussert sich nicht zuletzt auch in der Wahl der Babynamen. Honorige Taufnamen wie Martin, Markus, Paul oder Magdalena werden selten, Namen aus Popkultur – Kevin, Khaleesi, Tyron – oder neuheidnischem Hippiekult – River, Apple, Luna, Peaches, Honeyblossom – zieren zunehmend die Geburtsanzeigen stolzer Eltern.

Ob sich der vor zehn Jahren verstorbene Kapuscinski über die neuen postchristlichen Namenskreationen gefreut hat, wissen wir nicht. Aber ein anderes Phänomen hat ihm sicher Sorgen gemacht. Gleichzeitig mit dem Niedergang des europäischen Christentums sind innerhalb weniger Jahrzehnte Millionen Menschen aus archaischen, konformistischen, islamischen Kulturen in Europa eingewandert. Der beliebteste Babyname in England und Wales, in Brüssel, in gewissen Stadtteilen von Paris und in anderen europäischen Zentren ist mittlerweile Mohammed. Demografen prognostizieren bis 2050 eine muslimische Mehrheit in einem müden Europa, das nicht mehr genügend Kinder produziert, um sich als originäre Kultur zu behaupten. Spätestens dann wird Mohammed der häufigste Name auf dem alten Kontinent sein, wie schon heute auf der ganzen Welt. Mit der Wahl eines Kindsnamens drücken die Eltern ihre Wünsche, Werte und Sehnsüchte aus. Obsiegt Mohammed, obsiegt die Trostlosigkeit. Nomen est omen.

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