Die Weltwoche / Eugen Sorg

14.07.2005

Kommentar

Allahs Metzger

Der islamistische Terror ist keine Folge einer westlichen Kreuzzugs-Politik ­ die Gewalt ist in der muslimischen Welt angelegt. Und das kann sie nur selber ändern.

Wir müssen uns nichts vormachen. Den Terrorattacken vom 7. Juli in der Londoner Innenstadt werden weitere folgen. Das nächste Mal wird es Lyon treffen oder Berlin oder Mailand. Oder irgendeinen Ort auf der Welt, wo sich westlich orientierte Menschen aufhalten. Die Reihenfolge ist zufällig, mögliche Schauplätze sind zahllos. Es braucht keine intelligente Planung, um einen vollen Zug oder ein Kino in die Luft zu sprengen. Es genügt, ein Billett kaufen, eine Tasche mit Sprengstoff unter dem Sitz platzieren und ein Mobiltelefon bedienen zu können. Die besten polizeilichen und geheimdienstlichen Vorkehrungen können vielleicht sieben Anschläge verhindern, aber beim achten sind sie machtlos.

An willigen Vollstreckern besteht kein Mangel. Osama Bin Ladens Organisationsmodell hat sich mittels Lizenzvergabe globalisiert. Seine Ableger folgen den wechselnden Kriegsfronten in Nahost, Asien und Afrika, bevorzugter Standort jedoch ist Europa. Dessen Liberalität, Asylrecht und Infrastruktur bieten optimale Voraussetzungen für den Aufbau einer Logistik; dessen grosse muslimische Gemeinschaften einen Schutz- und Erholungsraum. Die Praxis des heiligen Krieges, des Dschihad, wie die Attentäter ihre hinterhältige Massakerpolitik nennen, ist längst zu einer attraktiven Lebensform für Abertausende von Muslimen geworden.

Der Dschihadismus ermöglicht in den arabischen Kernländern jungen Männern den Ausbruch aus der Langeweile einer konservativen Gesellschaft, aus den rigiden Traditionen der Familie, aus dem notorischen sexuellen Notstand, aus der wirtschaftlichen Misere. Der Gottessöldner kann reisen, finanziert durch Mäzene oder Beutebeschaffung. Mit dem in Europa lebenden Islamisten teilt er den Prickel der Gefahr, die Solidarität einer verschworenen, mittels Geheimbotschaften, Codes und Decknamen kommunizierenden Gruppe, das Glücksgefühl einer verwegenen, grenzenlosen Existenz. Den Schrecken seiner Opfer geniesst er (falls er überlebt) ebenso wie die Bewunderung seiner weniger mutigen Glaubensgenossen. Je verheerender ein Anschlag, je grösser das Echo der Weltmedien, desto bedeutender kommt er sich vor. Der Terror ist seine raison d’être, mit ihm vergewissert er sich seiner Auserwähltheit, durch ihn stellt er die Ordnung von Rechtgläubigen und Unreinen immer wieder aufs Neue her.

Im Dienste Allahs ist alles gestattet

Mitleid mit den Verstümmelten oder Getöteten ist nicht vorgesehen. Der Kombattant handelt scheinbar in höherem Auftrag. Er verklärt sich zum Partisanen eines jahrhundertealten Projekts. Der Islam war von Beginn weg ein militärisch-sakrales Unternehmen. Sein Gründer, Prophet Mohammed, unterwarf mit seinen Beduinenreitern noch zu Lebzeiten die gesamte arabische Halbinsel. 200 Jahre später, Ende des 9. Jahrhunderts, herrschte die Pax Islamica vom spanischen Sevilla bis an den Indus. Der Granadiner Autor Ibn Hudayl beschrieb im 12. Jahrhundert in einer wichtigen Abhandlung über den Dschihad, welche Methoden auf diesem Siegeszug angewandt wurden: «Es ist gestattet, das Land des Feindes niederzubrennen, so wie seine Getreidevorräte, seine Lasttiere ­ wenn es den Muslimen nicht möglich ist, diese selber in Besitz zu nehmen ­ ebenso wie seine Bäume zu fällen, seine Städte zu zerstören, in einem Wort, alles zu tun, was ihn ruinieren und zermürben kann, vorausgesetzt, dass der Imam diese Mittel für angemessen erachtet, die Islamisierung dieses Feindes voranzutreiben oder ihn zu schwächen. In der Tat, all dies trägt dazu bei, ihn militärisch zu besiegen oder ihn zur Kapitulation zu zwingen.» Und vor wenigen Jahrzehnten schrieb der Ägypter Sayyid Qutb, hochverehrter Lehrmeister der heutigen Terroradepten: «Das Ziel des Dschihad ist, eine Weltrevolution zu verwirklichen. Das bedeutet, dass der Islam ein permanenter Dschihad ist, der nie unterbrochen wird, bis Allahs Wort auf dem gesamten Globus Geltung findet und damit die rechtgeleitete Ordnung Wirklichkeit wird.»

Die archaisch-religiöse Gewalttätigkeit, die Todessehnsucht, die Verschwörungsbesessenheit der Islamisten sind keine Reaktion auf «Kreuzzügler und Zionisten»-Politik. Sie sind aus der muslimischen Welt selbst hervorgegangen, aus deren Niederlagen, Selbsttäuschungen, Masslosigkeiten. Und nur die islamische Gemeinschaft selbst, deren religiöse und politische Führer sind in der Lage, ihre fanatisierten Söhne zu stoppen. Aber bis jetzt haben sie kaum etwas dafür getan. Nach den Londoner Attentaten beispielsweise fiel dem Vorsteher der dortigen Islamic Human Rights Commission nichts anderes ein, als seine Glaubensgenossen aufzufordern, die Strassen zu meiden ­ um nicht Übergriffen ausgeliefert zu sein. Ein tiefverwurzelter und weitverbreiteter Jammerreflex, die Rollen umzukehren und sich selber als eigentliches Opfer zu präsentieren.

Es wurden Todesurteile gegen Schriftsteller wie Salman Rushdie oder Taslima Nasrim ausgesprochen, weil sie es gewagt hatten, koranische Glaubenssätze zu problematisieren. Aber bis jetzt erging noch von keiner wichtigeren religiösen Autorität eine Fatwa gegen Massenmörder wie Bin Laden oder Sarkawi. Dies sind keine guten Zeichen.

Nach oben scrollen