Basler Zeitung

30.08.2016

Randnotiz

Bilderverbot

Von Eugen Sorg

Kurz nach der letzten Serie verheerender, ­überwiegend radikalislamisch motivierter Anschläge in Europa gab der Tages-Anzeiger bekannt, dass er fortan keine Bilder oder Namen von Terroristen mehr publizieren würde. Warum? Man wolle «den Tätern keine Bühne geben». Denn «Untersuchungen zeigen, dass Nachahmungs­effekte bei Massentötungen existieren». Die Zeitung folgte damit der linken Le Monde, die, um eine «posthume Glorifizierung» zu verhindern, ebenfalls ein Bilderverbot erlassen hat.

Nun zeugt es von ziemlicher Selbstüberschätzung und bizarrem Wunschdenken der Zeitungsmacher, zu glauben, Täterfotos in ihren Blättern würden potenzielle Jihadisten zu Untaten animieren. Der Weg von einer Pariser Moschee in die blutige Charlie-Hebdo- Redaktion oder an die Front in Syrien verläuft über die virtuellen Foren, Publikationen, Rekrutierungsvideos einer globalen radikalislamischen Gegenwelt. Traditionelle Medien spielen dabei keine Rolle. Erwähnte «Untersuchungen», die das Gegenteil beweisen sollen, sind selten und nicht überzeugend.

Einen kleinen Effekt könnte die Anonymisierung allenfalls haben. Ein Feind, «dessen Name nicht genannt werden darf», wird mythisiert wie der dunkle Magier Lord Voldemort in «Harry Potter», er erscheint unheimlicher und mächtiger, als er es ist, hintertreibt nüchtern-rationale Gegenmassnahmen. Und das Vertrauen in die Medien sinkt weiter. Die Leute wissen, dass hinter dem Namen des Terroristen S. A. nicht ein Stefan Arnold steht, sondern ein Salah Abdeslam. Warum diese Vertuschung?

Die New York Times zeigte neulich die Konterfeis der islamischen Attentäter von Paris und ­Brüssel. Es ist eine faszinierende Galerie: finstere Gesichter, denen man alles Schlimme zutraut, neben harmlos wirkenden oder ausnehmend ­sympathischen und Vertrauen erweckenden ­Zeitgenossen. Die Anschauung lehrt unmittelbar, dass der Schein oft trügt und dass das Böse jede Gestalt annehmen kann. Das mit noblen Absichten begründete Bilder- und Namensverbot ist ein grotesker Akt journalistischer Selbstbeschneidung. Er erinnert an den Trick, mit dem kleine Kinder versuchen, ihre Angst zu bannen. Sie ­halten sich die Augen zu und glauben, dadurch würden sie für das Ungeheuer unsichtbar.

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