BaZ

02.12.2013

«Das ist Rock’n’Roll-Jihad»

Leon de Winter über sein neustes Buch, die Wut junger Männer und Integration

Von Eugen Sorg und Markus Wüest

Gratulation Leon de Winter, Sie haben mit «Ein gutes Herz» einen ­fantastischen Roman geschrieben.

Leon de Winter: Vielen Dank. Es steckt sehr viel Arbeit in dem Buch. Ich konnte erst anfangen zu schreiben, als ich mir ganz genau überlegt hatte, wie die Geschichte sich zu ­einem Ganzen fügt. Ich investierte ein ganzes Jahr, bis ich nur die Struktur für den Roman hatte.

Wie sind Sie vorgegangen? Zeichneten sie eine Art Plan?

Ja. Ich legte eine Liste aller Kapitel an und nummerierte sie. Mit ein paar Stichworten hielt ich fest, was in den Kapiteln passiert. Und langsam entstand die Struktur. Es war wie Schach spielen. Wie soll ich die Geschichte ­beginnen? Wie entwickelt sich das Ganze weiter? Aber das ist mein Job. Und so kann ich ein Jahr investieren, wenn es diese Zeit braucht.

Haben Sie zum ersten Mal in dieser Art einen Plot entworfen?

Nein, das mache ich immer so. Aber eine so komplizierte Struktur hatte ich mir noch nie ausgedacht.

Wussten Sie von Anfang an, mit wie ­vielen Figuren Sie arbeiten würden?

Nicht bis ins Detail. Ich hatte ursprünglich sogar ein paar Hauptpersonen mehr. Ich hatte mir sogar überlegt, den König ins Buch einzubauen. Damals war er aber noch der Kronprinz, Prinz Pilsje.

Wann haben Sie beschlossen, Theo van Gogh auftreten zu lassen?

Schon sehr früh. Meine erste Idee war nicht, diese verrückte Geschichte zu schreiben. Zu Beginn hatte ich etwas viel Konventionelleres im Kopf. Eine Art Thriller über eine Geiselnahme durch Islamisten in einer Grund­schule in Amsterdam. Der Ausgangspunkt war, dass die Terroristen die gefangenen Kinder gegen den Killer von Theo van Gogh tauschen wollen.

Da haben Sie sich von der Geiselnahme in Beslan, in Russland, inspirieren lassen?

Ja. Das war 2004. Ein paar Monate ­bevor Theo van Gogh ermordet wurde. Was in Beslan geschah, schockierte mich. So viele tote Kinder. Und ich fragte mich: Kann so etwas in Holland passieren? Und ich wusste: ja. Warum sollte so etwas bei uns nicht passieren? Damit hatte ich die Grund­idee des Buches. Dann wurde Theo getötet. Und ungefähr ein Jahr später kam mir die Idee, beide Ereignisse zu kombinieren. Als ich anfing, mich mit dem Leben des Mörders von Theo van Gogh auseinanderzusetzen, Mohammed Bouyeri, tauchte bei den Recherchen immer wieder Theo auf.

Der Sie ja wiederholt beleidigt hatte …

Ja, er schrieb so viele üble Sachen über mich. Ich hatte mich vor seiner Person verschlossen, kannte seine Filme nicht. Wollte nichts von ihm wissen. Aber über Bouyeri fand ich ­unweigerlich auch zu Theo van Gogh. Und dann sah ich dieses beleidigende Youtube-Video über mich, das ich im Buch auch beschreibe. Das schmutzigste Zeug, das er je über mich sagte. Er reagierte auf eine Beleidigung mit einer Erfindung. Er behauptete, ich hätte eine Sammlung von Stacheldraht aus den Konzentrationslagern. Er war so schnell im Denken, so kreativ! So gelang es ihm in der Sendung, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Es ist immer noch online. Sie können sich das ansehen. Aber ich konnte mich nicht mehr wehren. Theo war tot. Was machen Sie, wenn Sie so wütend sind und gleichzeitig so wehrlos? Dann kam mir die Idee: Er taucht im Buch auf.

Aber er ist doch tot.

Genau. Also ist er im Totenreich. Da hatte ich ein neues Problem. Ich wollte einen Roman ganz nah an der Realität schreiben und plötzlich habe ich eine Hauptperson, die im Totenreich ist.

Und was denken Sie, was macht Theo van Gogh nun im Totenreich? Freut er sich über Ihr Buch?

Er führt dort jetzt Regie bei der Verfilmung der Geschichte … (Lacht.)

lst er Ihnen böse, dass Sie ihn aus­gerechnet als Schutzengel zeichnen?

Er hätte das toll gefunden, da bin ich sicher.

Fiel Ihnen das Schreiben leichter als die Recherche?

Oh ja, das machte wirklich Spass.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die jungen Marokkaner, die zu Terroristen werden. Wie erklären Sie sich deren Motive? Was treibt sie an?

Für Sallie geht es um Rache. Er fühlt sich von seinem Vater betrogen. Er verwendet die Rhetorik der religiösen Fanatiker, aber es ist seine persön­liche Geschichte, die ihn zum Terroristen werden lässt.

Gilt das nur für diese Figur, die Sie er­­funden haben?

Schauen Sie sich all die jungen Männer an, die freiwillig nach Syrien ­gehen, um gegen Assad zu kämpfen. Ist es der Glaube, der sie dazu veranlasst? Nein, der Glaube kommt danach. Das ursprüngliche Motiv ist ein anderes.

Woran glauben sie denn, diese jungen Männer?

Das wissen sie nicht. Aber sie sind frustriert. Und sie wollen für etwas kämpfen, dass ganz gross, ganz wichtig ist – bigger than life. Die Idee, das eigene Leben für eine grosse Sache zu opfern, löst in diesen jungen Männern unglaublich starke Gefühle aus. Mein Sohn, 18-jährig, spielt stundenlang «Grand Theft Auto» – eines der brutalsten Videospiele, die es gibt. Jeden Tag tötet er virtuell Dutzende Menschen. Seine Altersgenossen, die nach Syrien gehen, machen dasselbe im realen Leben. Sie stehen dort mit automatischen Waffen vor der Brust. Das ist Rock ’­n’ ­Roll! Sie erfüllen sich damit ­allerlei Träume von Abenteuer. Das ist Teil davon, was viele junge Männer ­suchen. Die Aggressionen ausleben. Auf die Jagd zu gehen. Feinde zu töten. Und dahinter steht eine grosse, alte ­Zivilisation, die ihnen sagt, das sei ihre wahre Aufgabe.

Aber wir in Europa versuchen doch das Gegenteil zu lehren. Liegen wir denn damit so falsch?

Hier in Europa sind viele dieser jungen Männer frustriert. Hier haben sie keine Zukunft. Werden daheim mit altmodischen Rollenbildern ihrer ­Väter konfrontiert. Aber die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, hat ­diese Vorstellungen von Ehre und Patriarchat längst überwunden.

Was lässt sich tun?

Wir müssen ihnen Alternativen zeigen zu diesem Rock’n’Roll-Jihad zeigen.

Ist es also vor allem die Faszination der Gewalt, der sie erliegen?

Schon. Aber schauen Sie sich einen Hollywood-Action-Movie an. Schauen Sie mal, wie viele Menschen dort getötet werden. Wir sehen Kugeln in Zeitlupe sich durch Körper bohren. Die Gewalt kann auch bedeuten, sich in einen Rausch zu versetzen. Dann werden sie selber fähig, solche Taten zu begehen. Die Gewalt fasziniert auch die jungen Männer in den westlichen Ländern. Aber sie müssen auch Schulen besuchen, die vor allem für junge Frauen zugeschnitten sind, während sie sich doch nach Action sehnen. Buben wollen Buben sein. Und wir schicken sie zum Psychiater und geben ihnen Ritalin. Das ist falsch. Wo sollen sie mit ihrer Energie hin? Wir müssen einen Weg finden, wie sie sie nutzen und abbauen können. Das ist die gros­se Aufgabe.

Was sollen denn die westlichen Staaten mit Immigranten aus diesen Ländern machen, die hier eine bessere Welt suchen?

Wir müssen ihnen unmissverständlich klarmachen, dass sie nicht bei uns leben und an ihrer alten Identität festhalten können. Wir sehen im Nahen Osten den Kollaps einer alten Zivilisation. Diese Länder suchen einen Weg, auf die Moderne zu reagieren. Aber Gesellschaften, die auf Stammesstrukturen basieren, können nicht plötzlich wie liberale, demokratische Länder funktionieren. Das sind Gesellschaftsmodelle, die sich gegenseitig ausschliessen. Wenn Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen, müssen sie einen Teil ihrer Vergangenheit hinter sich lassen.

Was die USA als Melting-Pot immer schon von allen Einwanderern verlangte.

Ja, aber Amerika ist schon immer ein Land der Einwanderer gewesen. Wir in Europa haben Wohlfahrtsstaaten. Und deshalb läuft das hier nicht so wie in den USA. Ein Wohlfahrtsstaat kann gar nicht grosse Massen an Einwanderern absorbieren. Also müssen wir die Einwanderung stoppen.

Und was geschieht mit all jenen, die schon bei uns angekommen sind?

Wir müssen ihnen helfen. Wir müssen sie bei der Integration unterstützen. Aber sie müssen auch akzeptieren, dass sie nun in einem völlig anderen Umfeld leben. Das hier ist nicht Marokko. Oder Libyen. Oder der Irak. Wir müssen ihnen klarmachen: «Ihr müsst unseren Regeln folgen. Und wisst ihr was? Dann werdet ihr ein besseres Leben haben. Und deshalb seid ihr ja gekommen.» Sehen Sie sich mal die Asiaten in den USA an. Sie beweisen, dass man es mit grossem Willen und Fleiss schaffen kann. Diese Haltung sollten wir von ­unseren Immigranten auch erwarten. Wer hier leben will, muss mitmachen, mitziehen, sich engagieren.

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