bazonline.ch / Basler Zeitung / Eugen Sorg

18.10.2013

Die Barbaren im Shoppingcenter

Gotteskrieger töten nicht aus Hass, sondern weil sie sich zum Töten ermächtigt haben. So auch vor Kurzem in Nairobi.

Die Grausamkeiten, die vor wenigen Wochen in einem Shoppingcenter in Nairobi, Kenia, begangen wurden, erinnerten an eine Zeit von vor 400 Jahren in Europa:

«Da fing man erst an, (…) der Bauern Daumen aufzuschrauben, und die armen Schelme so zu foltern, als wenn man hätt Hexen brennen wollen, massen sie auch einen von den gefangenen Bauern bereits in Backofen steckten, und mit Feuer hinter ihm her waren; einem anderen machten sie ein Seil um den Kopf und drehten es mit einem Stock zusammen, dass ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren heraus sprang.»

Die Szene stammt aus dem Roman «Der Abenteuerliche Simplicissimus» aus dem 17. Jahrhundert. Grimmelshausen erzählt die autobiografisch gefärbte Odyssee des Simplicissimus durch Wirrnisse und Schrecken des Dreissigjährigen Krieges. Die gleiche Bestialität wie die durch Europa marodierenden Landsknechtshaufen entfalteten die islamistischen Terroristen, die Ende September das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi überfielen. Die etwa 15-köpfige mit Kalaschnikows, Handgranaten und Messern ausgerüstete Gruppe war zur Hauptbesucherzeit um sich schiessend in die Mall eingedrungen.

Tod oder Test bestehen

Die Menschen versteckten sich in Toiletten, hinter Kleiderpuppen, in Lüftungsschächten, unter Tischen. Stöberten die Terroristen sie auf, wurden sie einem Schnelltest unterzogen. Wer den Namen der Mutter des Propheten nicht kannte oder die Shahada, das muslimische Glaubensbekenntnis nicht aufsagen konnte, wurde auf der Stelle als Ungläubiger erschossen. Als nach Stunden das Militär auftauchte, verschanzten sich die Terroristen mit Dutzenden von Geiseln in einem Nebengebäude. Sie warfen Köpfe und Arme, die sie den Gefangenen abgeschnitten hatten, aus den Fenstern, um die Soldaten vor weiterem Vordringen zu warnen. Die Belagerung dauerte vier Tage.

Der Überfall war monatelang vorbereitet worden. Die Terroristen, unter denen sich auch eine hellhäutige, zum Islam konvertierte Engländerin und drei somalischstämmige Amerikaner befunden haben sollen, hatten einen Raum in der Anlage gemietet, wo sie Munitions- und Granatenvorräte lagerten. Ein Polizeiarzt, der später den Ort inspizierte, erzählte der Zeitung «The Star», Dutzende der Leichen hätten Folterspuren aufgewiesen. «Die haben ihnen bei lebendigem Leib die Geschlechtsteile weggeschnitten, die Ohren, die Augen. Die haben deine Hand genommen, sie wie einen Bleistift gespitzt und dich gezwungen, deinen Namen mit dem Blut zu schreiben. Sie haben Kinder mit Messern getötet, Finger und Nasen mit Zangen abgerissen.»

Zynischen und haarsträubende Begründung

Die somalische Gruppe al-Shabab, Juniorpartner von al-Qaida, teilte via Twitter lapidar mit, dies sei die Rache gewesen für Kenias Einmarsch in Somalia 2011. Die meisten Kommentatoren gaben sich mit dieser so zynischen wie haarsträubenden Begründung zufrieden. Um solch schreckliche Dinge zu tun, tiefgründelte der «Tages-Anzeiger»-Korrespondent voller Empathie für die Mörder, müsse jemand einen «gewaltigen Hass in sich tragen», und zeigte mit dem Reflex des zeitgenössischen Mainstream-Journalisten auf den vermeintlich wahren Schuldigen: Amerika respektive die westliche Politik, die «ganze Bevölkerungsgruppen und Weltgegenden ausgrenzt».

Der britische Premier David Cameron wiederum beeilte sich zu betonen, dass das Massaker «nichts mit dem Islam» zu tun habe. Eine ebenso standardisierte wie rätselhafte Behauptung. Als ob es nicht andere Gründe als «gewaltigen Hass» geben könnte, unschuldige Menschen niederzumetzeln, Weisse, Schwarze, Schwangere, Männer, Kinder, jedes Lebewesen, das zufällig anwesend ist. Als ob das Massaker von Westgate das erste seiner Art gewesen wäre, und man nicht schon Dutzende ähnliche Vorkommnisse erlebt hätte. Seit mindestens zwei Jahrzehnten attackieren islamistische Terrorkommandos hauptsächlich zivile Einrichtungen oder Einzelpersonen in muslimischen Weltgegenden und im Westen. Und jedes Mal stellen sich die professionellen Kommentatoren an, als hätten sie es mit einem fürchterlichen Einzelphänomen zu tun.

Blutige Manifeste einer apokalyptischen Ideologie

Tatsächlich sind die Anschläge aber die blutigen Manifeste einer totalitären, todessehnsüchtigen Bewegung, einer apokalyptischen Ideologie, die sich wie ein Krebsgeschwür vom Nahen Osten nach Asien und Afrika und bis in muslimische Subkulturen Europas ausgebreitet hat. Ihre Politik ist elementar: Jeder, der sich ihr nicht unterwirft, darf getötet werden. Vollstrecker werden in den afro-arabischen Bürgerkriegszonen oder global via Internet rekrutiert. Die aus Köpfungsvideos, Schlachtgesängen und koranischem Heiligenkitsch montierten Videos mobilisieren schwarze Leidenschaften des Menschen: Sadismus, Machtlust, Gier.

Jihadisten töten nicht aus Hass oder weil sie als Kinder zu wenig geliebt, als Jugendliche diskriminiert, in ihrer Ehre verletzt worden wären. Sie töten, weil sie sich dazu ermächtigt haben und ihr Lohn grösser ist als jeder profane Sold. Sie erleben den Rausch der Entgrenzung, archaische Lust an der Zerstörung, totale Freiheit des Mörders. Die Angst in den Augen des Opfers, das Flehen und Zittern, der bleiche Schrecken im Gesicht des Todgeweihten verschaffen den frommen Schlächtern das Gefühl der Gottähnlichkeit. Ihre Anschläge und Metzeleien haben keinen militärischen oder strategischen Sinn. Sie genügen sich selbst. Ihr einziger Zweck ist das Töten selbst.

Wie ein Albtraum begleiten Grausamkeit und entfesselte Gewalt die Humangeschichte. Totalitäre Ideologien sind verlockend, weil sie Töten ohne Schuldgefühle versprechen. Im 20. Jahrhundert rissen Stalinismus und Nazismus ganze Völker ins Verderben. Derzeit verkörpert der Islamismus die Politik der Apokalypse. Allahuakbar, Gott ist gross, murmeln Jihadisten, wenn sie den Dolch schleifen. Ideologie und Religion liefern den Soundtrack, der Antrieb zum Blutfest aber kommt aus dem Menschen selbst.

Nach oben scrollen