bazonline.ch / Basler Zeitung / Eugen Sorg

30.08.2013

Abkömmlinge von Schweinen und Affen

Der Putsch der ägyptischen Armee gegen die Muslimbrüder war richtig. Diese wollten die Demokratie gleich wieder abschaffen. Ein Kommentar.

Aufruhr und Chaos herrschen in grossen Teilen der islamisch-arabischen Welt. Der kurze Traum eines demokratischen Aufbruchs hat sich in einen Albtraum verwandelt. In den meisten Ländern drängen totalitäre, islamistische Gruppen an die Macht, durch Wahlen oder mit Waffengewalt. Sie agieren selbstsicher und skrupellos. Die weltlichen, mittelständischen Kräfte sind in der Minderheit und politisch unerfahren, und den Islamisten ist nicht entgangen, dass auf Amerikas Präsidentenstuhl eine Hamlet-Gestalt sitzt, die viele Reden hält, aber davor zurückschreckt, die westlichen Interessen im Orient und anderswo zu vertreten und notfalls mit robusten Mitteln durchzusetzen.

Barack Obama hatte in Ägypten den langjährigen Verbündeten Hosni Mubarak von einem Tag auf den anderen fallen lassen. Mubarak war ein Despot, sein Clan hatte sich schamlos bereichert, aber er war kein gefährlicher Schlächter wie Iraks Saddam Hussein oder ein grössenwahnsinniger Petro-Beduine wie der Libyer Gaddhafi. Mubarak hielt die muslimischen Extremisten von den Schalthebeln der Macht fern, schützte die Minderheit der koptischen Christen und garantierte den Friedensvertrag mit Israel, den sein Vorgänger Anwar as-Sadat vor über 30 Jahren ausgehandelt hatte und der dafür von muslimischen Fanatikern ermordet worden war. Aus deren geistigem Milieu stammten die Nachfolger Mubaraks.

«Neues Afghanistan, ein Saudiarabien»

Aus den ersten freien Wahlen des verarmten Landes gingen die Muslimbrüder als mit Abstand stärkste Partei hervor, erhielten zusammen mit anderen islamistischen Sekten 70 Prozent der Stimmen. Zum Präsidenten gewählt wurde Mohammed Mursi, ein blasser, aber strammer Funktionär der Muslimbrüder. Ein Jahr später gingen Millionen von Ägyptern im ganzen Land wieder auf die Strasse, nun um gegen Mursis Regime zu demonstrieren. Anstatt sich um die marode Wirtschaft zu kümmern, hatten die Muslimbrüder ihre ganze Energie darauf verlegt, eigene Leute im Macht­apparat zu platzieren und aus dem Land ein «neues Afghanistan, ein Saudiarabien» zu machen, wie ein ägyptischer Schriftsteller in einem Interview mit der «Zeit» meinte. Die Armee machte sich zur Vollstreckerin des Volkswillens, verhaftete Mursi und die Führer seiner Partei und setzte den Militärchef al-Sisi als neuen starken Mann ein. Die zornigen Aufmärsche der Anhänger der entmachteten Islamisten wurden unterdrückt, hart und professionell, aber nicht mit der schrecklichen, flächendeckenden Grausamkeit, die man in dieser Weltgegend stets erlebt.

Obama rief al-Sisi an, um ihn aufzufordern, der Gewalt zu entsagen und den Notstand wieder aufzuheben. Al-Sisi soll nicht einmal ans Telefon gegangen sein. Der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle fältelte telegen seine Stirn und erklärte in bestem Betroffenheitsdeutsch: «Das besorgt mich tief. Eine solche Aussetzung der demokratischen Ordnung ist keine nachhaltige Lösung der grossen Probleme, vor denen Ägypten steht.» Als ob sich die Muslimbrüder, kaum waren sie gewählt worden, nicht darangemacht hätten, die Demokratie abzuschaffen. Mursi liess sich pharaonenhafte Macht übertragen, änderte in einem kalten Putsch die nationale Verfassung um in eine islamische, unterstützte die archaische Auffassung von der Frau als Eigentum des Mannes, ging rabiat gegen die journalistische Meinungsfreiheit vor und billigte die Tötung von Individuen, die angeblich gegen Gott gelästert hatten.

Naive Journalisten

Doch auch das Gros der westlichen Medien verurteilte den Militärcoup. Der «Spiegel» forderte pathetisch, man solle den «Dialog mit den Muslimbrüdern» aufnehmen, und klärte die Generäle am Nil grosszügigerweise darüber auf, dass Demokratie bedeute, «auch dem ideologischen Gegner alle Freiheiten und Grundrechte» einzuräumen. Eine «Wertepolitik» sei manchmal besser als eine «Realpolitik». Vor der Wahl hatten die meisten Journalisten naiv den Beteuerungen der «moderaten» Muslimbrüder geglaubt, sie würden sich den Spielregeln des demokratischen Staates unterwerfen. Sie hielten weiterhin an der weltfremden Fiktion fest, der Machtkampf in einem Land mit einer 5000-jährigen Geschichte absolutistischer Herrschaftsformen liesse sich mit Methoden der Gruppentherapie lösen.

Es gibt einige Argumente gegen den Militärputsch, aber noch viel mehr gegen ein von Muslimbrüdern regiertes Ägypten. Dies hätten auch die Journalisten merken müssen. Politik, Geschichte und Weltanschauung der Muslim­bruderschaft sind bekannt und in vielen gescheiten Büchern beschrieben. Gegründet 1928 vom ägyptischen Volksschullehrer Hassan al-Banna, wuchs die anfänglich winzige Organisation zu einer mächtigen politischen und ideellen Kraft in der muslimischen Welt heran. Sie ist seit Jahrzehnten der Albtraum der arabischen Despoten, aber auch der aufgeklärten muslimischen Eliten und seit einigen Jahren ebenso der westlichen Gesellschaften. Die Bruderschaft verabscheut das freie Individuum, verachtet den Westen und hasst die Juden («Blutsauger», «Kriegstreiber», «Abkömmlinge von Schweinen und Affen» – Mursi in einem Interview 2010).

Fromme Fanatiker werden wiederkommen

Sie will zurück zum reinen, ursprünglichen Islam der Prophetenzeit. Ihre Mittel sind Predigt, Wohltätigkeit, Geduld, Verstellung, Märtyrertum, Terror; ihr Ziel: Unterwerfung aller Menschen unter das Weltkalifat. Der wichtigste Beitrag zur Geschichte politischer Ideen ist ein trüb funkelnder Todeskult, Überwindung des Lebens durch die «Kunst des Todes» und «Tod als Kunst» – Sakralisierung des Selbstmordattentates, die heilige Feier der menschlichen Bombe.

Die Muslimbruderschaft, ein totalitäres Geschöpf aus koranischer Utopie und Nazi-Ideologie (al-Banna verehrte Hitler), ist die Matrix aller heutigen Blut-Jihadisten wie al-Qaida, Hamas, Boko Haram, aber auch der schiitischen Verwandten im iranischen Teheran. Nun ist sie von den Generälen in Kairo gestoppt worden. Egal, welche Motive die Militärs hatten, ihr Handeln war richtig. Nicht nur Israel, die ganze Region kann kurz aufatmen. Anzunehmen ist aber, dass die frommen Fanatiker wieder auftauchen. Sie haben brutalere Verfolgungen überstanden. Der Tod schreckt sie nicht. Sie glauben an die Prophezeiung ihres Gründers: «Der Sieg kommt nur mit der Meisterschaft in der Kunst des Sterbens.»

Die Muslimbruderschaft ist seit Jahrzehnten der Albtraum der arabischen Despoten, aber auch der aufgeklärten muslimischen Eliten.

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