bazonline.ch / Basler Zeitung / Eugen Sorg

26.07.2013

Der Guerillero als heiliger Killer

Die Unesco adelt Leben und Werk des Che Guevara zum Weltkulturerbe. Ein Kommentar zu einer unverständlichen Aktion.

Vor einigen Tagen feierte das offizielle Kuba einen Sieg, einen kleinen nur und rein symbolischen. Aber immerhin. Siege, gleich welcher Art, konnte die marode Tropendiktatur schon seit Ewigkeiten nicht mehr zelebrieren. Doch nun kam dem vor 46 Jahren verstorbenen Nationalheiligen und Gründervater Ernesto «Che» Guevara eine überraschende Ehre zuteil. Die Unesco, intellektuelles Hauptquartier innerhalb der UNO, zuständig für den Schutz des materiellen und ideellen Weltkulturerbes, hatte «Leben und Werk» des kubanischen Revolutionsführers in das «Weltregister des Weltgedächtnisses» aufgenommen.

Die Unesco und ihre Generaldirektorin Irina Bokova, Alt-Apparatschik aus Bulgarien, begründeten die Auszeichnung unter anderem so: «Ernesto Che Guevara de la Serna (1928–1967) verkörpert eine herausragende Kombination von Praxis und Ideen, für immer eingeschrieben in das politische Denken Lateinamerikas. Sein Beitrag zur revolutionären Aktion und Theorie befähigte ihn, der marxistischen Lehre kreative, antidogmatische und humanistische Elemente einzuimpfen. Seine Werke und seine ethische Symbolik sind von dauerhaftem Wert für jeden alternativen Prozess des Wandels, den die Menschheit unternehmen mag.»

Keine Begründung

Exzentrische, wichtigtuerische und rätselhafte Entscheide gehören seit jeher zu den Eigenheiten der Unesco, die sich selbst zum «Weltgewissen» ernannt hat. In den Rang eines Weltkulturerbes wurden so unterschiedliche Dinge erhoben wie der römische Militärwall Limes oder die Lepra-Archive im norwegischen Bergen. Oder was verbindet das Sklavenregister der britischen Karibik mit der Holzschnittkunst der Zafimaniry in Madagaskar, mit dem Original-Tagebuch der Anne Frank, mit der griechischen Handschrift des Neuen ­Testaments auf 190 Purpur-Pergamentblättern aus dem 5. Jahrhundert, mit Fritz Langs «Metropolis»?

Und worin besteht das «neue emanzipatorische Ideal», «die ethische Symbolik» des Che, dessen «Leben und Werk» die Unesco der künftigen Menschheit erhalten will? Man erfährt es nicht. Genauso wenig, warum es die Unesco brauchen soll, um die Erinnerung an den gebürtigen Argentinier Che nicht verblassen zu lassen. Der gut aussehende Berufsrevolutionär ist längst eine Ikone der Popkultur. Und es gibt Hunderte von Historikern, Zeitzeugen, Schriftstellern, die uns die Geschichte des Guerillakommandanten erzählen. Die Schriften sind auf der ganzen Welt erhältlich. Ausser in Kuba, wo jede Abweichung von der staatlich verordneten Weltsicht verfolgt wird, wo Buchhändler und Journalisten eingesperrt und Bücher wie «Farm der Tiere» und die Werke von Martin Luther King oder auch die Menschenrechtserklärung der UNO beschlagnahmt und verbrannt werden. Sie seien «nutzlos», so das Urteil der kubanischen Richter.

Kuba im freien Fall

Dies ist im Sinne des Comandante Che, der nach dem Sturz des Diktators Batista 1959 und der Besetzung der Hauptstadt Havanna durch seine Guerillatruppen als Erstes die Hinrichtung von Hunderten Gefangenen, angeblichen Volksfeinden, anordnete und persönlich überwachte. Che war gläubiger Stalinist und er forcierte auch die Einführung von «Guanacahabibes», Umerziehungs­lagern, wo nicht nur Andersdenkende, sondern auch Homosexuelle eingesperrt wurden. Als Industrieminister verstaatlichte der ausgebildete Arzt Industrie und Landwirtschaft und verschrieb der Insel eine sowjetisch inspirierte Planwirtschaft. Kuba, bis dahin ein für Drittwelt-Verhältnisse eher wohlhabendes Land, war bald ruiniert und hat sich bis heute nicht mehr erholt.

1965 verschwand Guevara von der Bühne der Weltöffentlichkeit. Gerüchte von Machtkämpfen zirkulierten, er sei gefangen, hiess es, oder tot, und jemand wusste sicher, dass Che verrückt geworden und in die Psychiatrie gesteckt worden sei. Tatsächlich war er in geheimer Mission im Dschungel Kongos unterwegs, mit einer kleinen Truppe kubanischer und afrikanischer Soldaten. Er hatte Ämter, Haus, Frau und Kinder verlassen, um im Herzen Afrikas den Imperialismus zu bekämpfen und die Weltrevolution voranzutreiben. Er wusste nichts über die Geografie der Region, nichts über die Mentalität der Menschen, die er befreien wollte, verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Dafür schleppte der Asthmatiker einen Rucksack voller Bücher durch den versumpften Regenwald, in denen er jeden Abend las. Franz Mehring, Mao, Karl Marx. Die Expedition endete nach sieben Monaten in einem totalen Fiasko. Man hatte keinen einzigen Eingeborenen für die Weltrevolution gewinnen können, die meisten afrikanischen Mitkämpfer waren bei den ersten Scharmützeln davongerannt, die anderen Guerillatruppen entpuppten sich als gesinnungsfreie Räuberbanden. Guevara kam knapp mit dem Leben davon. Die einzigen flüchtigen Spuren, die der Guerillero in Afrika hinterlassen hatte, beschrieb er in seinem Tagebuch: «Endemische Malaria und Gastroenteritis: in 24 Stunden mehr als 30 Stuhlgänge. Die genaue Anzahl der weiteren kennt allein das Unterholz.»

«Hass als Faktor des Kampfes»

Die kongolesische Tragikomödie konnte ihn nicht vor dem nächsten Abenteuer abhalten. Schon ein Jahr später keuchte er erneut durch Dschungel­gebiete, diesmal in Bolivien. Wieder wollte sich nicht ein einziger Einheimischer von den bärtigen und übel riechenden Gewehrträgern aufklären und befreien lassen. Indiobauern verrieten die Truppe ans Militär, und Guevara wurde im Oktober 1967 erschossen. Der Tod ermöglichte seine Auffahrt in den Mythenhimmel der Rebellion.

Die Beweggründe der Unesco, einen erklärten Anhänger des nordkoreanischen Politikmodells zum Vorbild für künftige Generationen zu küren, werden im Dunkeln bleiben. Was Guevara hingegen angetrieben hat, kann man in seinen Schriften nachlesen. Sie heiligen die Gewalt, sie feiern das Blutopfer, sie sind trunken von Bildern des erlösenden, totalen Krieges. «Der Hass als Faktor des Kampfes», schreibt er wenige Monate vor seinem Tod, «der unbeugsame Hass dem Feinde gegenüber, der den Menschen über seine physischen Grenzen hinaus antreibt und ihn in eine wirksame, gewaltsame, selektive und kalte Tötungsmaschine verwandelt. Unsere Soldaten müssen so sein.» Und: «Der Tod, er sei willkommen, wenn nur andere Menschen bereit sind, die Totenlieder mit Maschinengewehrsalven und neuen Kriegs- und Siegesrufen anzustimmen.»

Man ist gespannt auf die nächsten Nominierungen der Unesco. Pol Pot? Dschingis Khan? Oder die Balztänze südwestafrikanischer Pygmäenstämme?

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