Basler Zeitung

10.08.2018

Eine Frage der Moral

Dreckskultur und Köterrasse

Von Eugen Sorg

Man stelle sich vor, das kleine deutsche Blatt Junge Freiheit, eine nach Eigendefinition konservative, nach Definition der Kritiker neurechte Wochenzeitung, hätte unter dem Titel: «Türken, schafft Euch ab!», die Kolumne eines deutschen Autors publiziert, der sich auf verächtliche und verletzende Weise über Türken im Allgemeinen und einzelne türkische Individuen im Besonderen ausgelassen hätte. Der Kolumnist hätte zum Beispiel einen deutsch-türkischen Erfolgsautor als «muselmanischen Kümmel» bezeichnet, der «gerne viel Scheisse labert, wenn der Tag lang ist»; hätte Türken in seiner Kolumne durchgehend als «Kanaken» bezeichnet; hätte geschrieben: «Der türkische Hass auf Deutsche und die Paranoia vor einer – was immer das sein soll – Verwestlichung der türkischen (wortwörtlich) Dreckskultur hält Kanaken davon ab, eine schöneres Leben zu führen»; oder weiter, «Kanaken» hätten «lieber Bremsspuren in den Unterhosen» und würden «ein erhöhtes Risiko für Geschlechtskrankheiten verteidigen, als ein sauberes, westliches Sitzklo zulassen». Hätte Kanaken pauschal als «ignorant, geschichtsverdrossen und besserwisserisch» abqualifiziert, um schliesslich den Türken zu wünschen: «Sie schaffen sich selber ab. Ich hoffe, sie beeilen sich.»

Ein derart primitives und abstossendes Elaborat hätte zu Recht rundum Empörung und Zurückweisung hervorgerufen. Die grossen nationalen Zeitungen und TV-Stationen hätten darüber berichtet, Anti-Rassismus-Gruppen vor einer Wiederkehr des Faschismus gewarnt und bundesweit Demonstrationen gegen Hass von Rechts organisiert, im Bundestag wäre der Artikel der konservativen Jungen Freiheit ein Thema für mahnende Wortmeldungen und Diskussionen über verschärfte juristische Werkzeuge gegen Hetze in den Medien gewesen. Und wahrscheinlich hätte sich auch Präsident Erdogan die Chance nicht entgehen lassen, sich als Beschützer seines im angeblich rassistischen Deutschland bedrohten türkisch-muslimischen Volks in Szene zu setzen.

Nun ist ein quasi identisches Elaborat tatsächlich erschienen, nämlich in der linken Berliner taz vom 22. Oktober letzten Jahres. Geschrieben hatte die Kolumne nicht ein weisser Mann, sondern eine junge Frau, die aus Iran stammende, in Deutschland aufgewachsene Hengameh Yaghoobifarah. Und Objekt ihrer Verachtung sind nicht die Türken, sondern die Deutschen. «Deutsche, schafft Euch ab», lautet die Überschrift ihres Beitrags, in dem sie ihre deutschen Mitbürger konsequent als «Kartoffeln» tituliert, Erfolgsautor Thilo Sarrazin als «rechter Lauch, der gerne viel Scheisse labert», beschimpft und die Abschaffung der «Kartoffeln» und ihrer «deutschen (wortwörtlich) Dreckskultur» herbeiwünscht: «Sie schaffen sich selbst ab. Ich hoffe, sie beeilen sich.»

Yaghoobifarahs Schmierenstück erregte kaum Aufsehen. Die Initiative «No Hate Speech», vom Europarat ins Leben gerufen und vom Bundesfamilienministerium unterstützt, erklärte auf Anfrage zur taz-Kolumne: «Wir sehen da keine Menschenfeindlichkeit, höchstens satirisch zugespitzte Kritik, ergo auch keinen Handlungsbedarf.» Und vor Kurzem entschied der Presserat über eine Beschwerde von zehn Beschwerdeführern, die Yaghoobifarahs Artikel als von enormem Rassismus getragene Hassrede qualifizierten und die darin Tatbestände der Volksverhetzung, Beleidigung und Angriff auf die deutsche Gesellschaft ausmachten. Der Presserat dagegen sah keinen Anlass zur Rüge. Es handle sich um ein «Meinungsstück», in dem die Verfasserin ihre Meinung «sehr pointiert und überspitzt» äussere. Dies sei «im Rahmen der Meinungsfreiheit jedoch zulässig».

Und was meint die Autorin zur Kritik? Ihre Kolumne könne schon rein juristisch keine Volksverhetzung sein, erklärte sie mit Verweis auf einen Gerichtsfall in Hamburg, bei dem der Deutsch-Türke und Grünenpolitiker Malik Karabulut vom Vorwurf der «Volksverhetzung» freigesprochen worden war. Er hatte auf Facebook die Deutschen als «Köterrasse» bezeichnet und den Wunsch gepostet, «möge Gott ihren Lebensraum zerstören».

Aber auch moralisch und intellektuell fühlt sich Yaghoobifarah über jeden Verdacht erhaben. Denn als «linke, feministische, post-migrantische, queere, also insgesamt aus einer Marginalisierungsperspektive schreibenden Journalistin» glaubt sie sich gefeit vor rassistische Einstellungen. Tatsächlich ist sie nur immunisiert gegen Selbsterkenntnis und gegen die Einsicht, dass es keinen guten Hass und keinen bösen Hass gibt. Sondern nur Hass, ermutigt durch Ideologie und Dummheit.

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