Basler Zeitung

19.09.2017

Randnotiz

Ein zähes Luder

Von Eugen Sorg

James Lovelock ist ein Gigant unter den Wissenschaftlern, ein eigentlicher Renaissance-Gelehrter: Naturforscher, Philosoph und Erfinder. Der Autor von über 200 Publikationen entwickelte in den 70er-Jahren die Hypothese, dass sich die Erde mit ihrer Biosphäre als selbstregulierendes System im Gleichgewicht hält – vergleichbar mit einem Lebewesen. Auf Anregung des Freundes und Schriftstellers William Golding gab er diesem Organismus den Namen Gaia, nach der Erdgöttin der griechischen Antike. Lovelock wurde zur Ikone der sich damals entwickelnden Bewegung der Grünen. Neben seinen theoretischen Arbeiten tüftelte er in seinem Heimlabor an Erfindungen herum. 50 Patente hat er bis heute angemeldet, darunter einen Elektroneneinfangdetektor, der auch kleinste Substanzen nachweisen kann. 2006 bestätigte er mit dem Buch «Gaia’s Rache» seinen Ruf als grüner Gottvater. Er warnte vor einem Hitzetod der Humanzivilisation aufgrund der industriell produzierten Kohlendioxid-Emissionen. Milliarden Menschen würden bis Ende des Jahrhunderts sterben, ausser einigen wenigen in der Arktis, wo das Klima erträglich wäre. 2012 allerdings widerrief er seine Prognose. Er habe einen Fehler gemacht, entschuldigte er sich, er habe übertrieben. Nicht nur sei im letzten Jahrzehnt trotz CO2-Anstieg keine Erwärmung gemessen worden, man wisse auch sonst noch kaum, wie das Klima funktioniere. Überhaupt sei es eine «grössenwahnsinnige Idee», das Klima des Planeten kühlen zu wollen. Zudem pries er die Nuklearenergie als «billig und sicher», im Gegensatz zur «ineffizienten, kostspieligen und umweltverschandelnden Windenergie». Die internationale rot-grüne Klima-Kongregation bestrafte diese Aussagen mit indigniertem Beschweigen. Sie gefährdeten ihr lukratives Angst- und Ablass-Geschäftsmodell. Lovelock nimmt den Liebesentzug seiner ehemaligen Verehrer gelassen. Er ist jetzt 98-jährig und war sein Leben lang frei und unabhängig genug, seine Theorien zu ändern, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen. Noch immer betrachtet er die Welt, «ein wunderbarer Ort», mit «kindlichem Staunen». Er glaubt an die kreative Intelligenz des Menschen, sich an neue Lebensbedingungen anzupassen. Und er vertraut auf die Hunderte Millionen Jahre alte Selbstorganisation des Lebens auf unserem Planeten: «Gaia ist ein zähes Luder.»

Nach oben scrollen