Die Weltwoche

10.09.2020

Eine Frage der Moral

Eugen Sorg

E in «geopolitisches Erdbeben» habe den Nahen Osten heimgesucht, schrieb New York Times -Kolumnist Thomas Friedman vor kurzem. Er bezog sich dabei auf die Ankündigung von Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Beziehungen ihrer Länder zu normalisieren. Premier Benjamin Netanjahu und Kronprinz Mohammed bin Zayed, MbZ, hatten unter Supervision der Trump-Administration in jahrelanger Kleinarbeit das «Abraham-Abkommen» ausgehandelt, einen Friedenspakt, der endlich Sicherheit und Prosperität in eine von sektiererischen Leidenschaften und chronischer Gewalt umgepflügte Region bringen sollte.

Der Zorn der «arabischen Strasse» blieb aus: keine «Allahu akbar» schreienden Menschenmassen, keine brennenden Israel- oder Emirat- oder US-Fahnen, keine Kritik anderer arabischer Potentaten. Dies war ein Hinweis darauf, dass sich weitere arabo-islamische Staaten nach über sieben Jahrzehnten des amtlichen Israel-Hasses dem neuen Kurs der Annäherung anschliessen würden. Neben Friedman mussten auch andere langjährige und illusionslose Beobachter der Gegend einräumen, dass hier «Geschichte geschrieben» werde.

Den materiellen Unterbau dieser Entwicklung lieferte ein energiestrategischer Wandel. Die USA sind dank neuen Förderungstechnologien wie Fracking zum führenden Erdölproduzenten aufgestiegen. Als Energie-Selbstversorger entfiel für sie die kostspielige Notwendigkeit, Weltpolizist spielen zu müssen, um den Fluss des lebenswichtigen Rohstoffs Öl aus fernen, leicht entzündbaren Stammesgebieten sicherzustellen. Mit seinem Motto «America first» zog Präsident Trump die Konsequenzen aus dieser veränderten Lage und zwang damit die mehrheitlich sunnitischen arabischen Petro-Protektorate, sich auf eigene Kräfte zu besinnen.

Diese standen ohnehin schon unter Druck. Seit Jahrzehnten treibt ein feindlicher Verwandter, der Gottesstaat Iran, den Plan voran, ein schiitisches Imperium zwischen Hindukusch und Mittelmeer zu errichten. Terrormilizen werden ausgerüstet, ganze Länder destabilisiert. Das Unterfangen ist ruinös, das Volk blutet aus, doch gerade der Niedergang macht das Regime umso gefährlicher.

Die Mullahs in Teheran arbeiten fieberhaft am Bau einer Atombombe. Sie würde ihren Machtzerfall bremsen und ihnen ein gewaltiges Erpressungsinstrument an die Hand geben. Und sie wären auch bereit, die Bombe zu zünden. Die chomeinistische Staatsideologie ist ein apokalyptischer, nihilistischer Kult. Seine Statthalter sind überzeugt, dass das ersehnte Reich der Rechtgläubigen aus dem Chaos und den Flammen der brennenden alten Welt hervorgehen werde.

D ie Geschichte folgt keinen Gesetzen, keinem Sinn. Doch es gibt immer wieder Situationen, in denen ihr Lauf durch menschliches Eingreifen geändert werden kann. Voraussetzung dafür sind Akteure, die diesen Moment erkennen und die sich eröffnenden Möglichkeiten zu nutzen wissen:

1 _ wie Trump, ein Mann ohne Vorurteile und Ideologie, dafür mit der Witterung und der Menschenkenntnis eines ehemaligen Immobilientycoons, der sich mit Welt, Halbwelt und Unterwelt herumgeschlagen hat und nicht die Menschheit verbessern, sondern nur gute Deals abschliessen will;

2 _ wie Netanjahu, ein Politiker mit untrüglichem Gespür für Macht, intelligent und flexibel, der intuitiv erfasst, wann man einlenken und wann man Härte zeigen muss;

3 _ wie bin Zayed, der wohl klügste der arabischen Petro-Scheiche, der früh realisierte, dass die Golfstaaten neue Verbündete finden müssen, weil sie die Gefahren, die vom todessehnsüchtigen Teheran und sonstigen Radikalislamisten ausgehen, nicht alleine eindämmen können.

Das emaskulierte Europa mit seinem Hang zum Appeasement war für die Emirate keine Option. Die USA wiederum hatten sich unter Barack Obama, dessen naiver Atomdeal den Iran gestärkt hatte, als unzuverlässig erwiesen. Und ein möglicher Präsident Joe Biden würde dessen verfehlte Politik vermutlich wieder aufnehmen. Realistisch betrachtet kam nur ein Partner in Frage: Israel.

MbZs Allianz mit Jerusalem ist mutig, aber sie hat keine moralischen oder ideellen Gründe. Sie verdankt sich der Einsicht, dass Sicherheit und Handel lukrativer sind als Ressentiments und konfessionelle Vorlieben. Trägt dieser Pragmatismus dazu bei, den Albtraum eines nuklearen Nahen Ostens zu verhindern, dann verdienen dessen Protagonisten die moralische Krönung. Nicht die Gesinnung zählt, sondern das Resultat.

Das emaskulierte Europa mit seinem Hang zum Appeasement war für die Emirate keine Option.

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