Basler Zeitung

12.12.2014

Eine Frage der Moral

Giftige Geheimnisse: Die Dunkelkammer der USA

Von Eugen Sorg

Der Report des Geheimdienstausschusses des amerikanischen Senats über die Verhörmethoden der CIA hat die Gemüter aufgewühlt. Er öffnete die Tür zur Dunkelkammer der Nation und berichtet auf knapp 500 Seiten detailliert von abstossenden Praktiken, die Geheimdienstmitarbeiter nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anwandten, um Informationen von Verdächtigen zu bekommen. Es ist die Rede von Schlafentzug, von simuliertem Ertrinken, von hungerstreikenden Gefangenen, die über eine Rektalinfusion zwangsernährt wurden, von einem anderen Gefangenen, einem ehemaligen Leibwächter bin Ladens, der während 22 Stunden an den Händen aufgehängt wurde, nackt, nur mit Windeln bekleidet, da ihm ein Toilettenbesuch verboten war.

Diese Vernehmungen, eigentliche Folter, von der CIA technokratisch «erweiterte Befragungen» genannt, seien, so das Fazit, nicht nur brutaler und zahlreicher gewesen als bisher angenommen, sondern auch unwirksam. «Das Bildnis einer kaum fassbaren Verderbtheit», fasste die New York Times den Report zusammen.

Der in fünfjähriger Arbeit erstellte Bericht, der den legendären Geheimdienst wie eine gesetzlose Verschwörung gegen die Zivilisation aussehen lässt, wurde aber auch kritisiert. Er sei einseitig und politisch motiviert. Ausschliesslich von Demokraten verfasst – die Republikaner hatten sich schon bald zurückgezogen –, habe man aus den 7,5 Millionen Seiten Unterlagen nur jene Stellen herausgepickt, die das vorgefasste negative Urteil bestätigten. Bezeichnend dafür sei, dass man keinen der Verantwortlichen für das Verhörprogramm befragt habe.

Diese meldeten sich denn umgehend, unter anderem mit einem längeren Beitrag im renommierten Wall Street Journal. Sechs ehemalige CIA-Direktoren legten dar, wie sich ihre Tätigkeit jederzeit im Rahmen des Gesetzes und mit der informierten Zustimmung der politischen Behörden, also des Präsidenten, des Justizministeriums, des Kongresses abgespielt habe. Und sie wiesen die Unterstellung zurück, ihr Verhörprogramm sei erfolglos gewesen. Anhand des Beispiels von Al-Qaida-Chefplaner Khalid Sheikh Mohammed versuchten sie zu zeigen, wie nützlich es im Gegenteil gewesen sei. Die «erweiterte Befragung» habe ihn zum Reden gebracht und so Menschenleben gerettet.

Tatsache ist, dass seit 9/11 auf amerikanischem Boden kein weiterer Grossanschlag mehr verübt wurde. Das ist bemerkenswert und ein Verdienst der CIA, denn der aktuelle Feind des freien Westens, der radikale Jihadismus, kämpft nicht mehr als sichtbare konventionelle Armee, sondern operiert global in kleinen Gruppen fanatischer, todesbereiter Terrornomaden. Um diese zu stoppen, muss man sie erst identifizieren mittels Informationen, Befragungen, Überwachung  – eine Aufgabe für Geheimdienste. Deren Bedeutung ist gestiegen, aber damit auch die Gefahr des Machtmissbrauchs.

Kein Land, ausser es ist selbstmörderisch, wird auf ein Mittel verzichten, das ihm hilft zu überleben. Egal ob es den Menschenrechten entspricht oder nicht. Dies ist das giftige Geheimnis, das unausweichliche und unlösbare moralische Dilemma der freiheitlichen Demokratien in einer gefährlichen Welt. Die CIA-Debatte macht es deutlich. Präsident Obama verurteilte Folter als unamerikanisch und als falsch, sogar wenn sie genützt hätte. Gleichzeitig schickt er Drohnen los, die irgendwo in der Welt mutmassliche Feinde eliminieren. Kein Protest vonseiten der Demokraten. Die Selbsterhaltung heiligt die Mittel.

Kein Land, ausser es ist selbstmörderisch, wird auf ein Mittel verzichten, das ihm hilft zu überleben.

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