Die Weltwoche

18.09.2003

Italien

«In einem Land ohne Wahlen wäre ich wohl Terrorist»

Von Nicholas Farrel und Boris Johnson, Einleitung: Eugen Sorg ·

Silvio Berlusconi, Premierminister Italiens, beschimpfte die Richter seines Landes als geistesgestört und verharmloste die Diktatur Mussolinis. Das Skandal-Interview mit dem Meister der verbalen Entgleisungen.

Wieder einmal hatte es Silvio Berlusconi geschafft, mit seinem undisziplinierten Mundwerk einen mittleren Skandal zu provozieren. Und dies ausgerechnet anlässlich seines ersten Auftritts als EU-Ratspräsident Anfang Juli. Der deutsche Europa-Abgeordnete Martin Schulz, ein strammer SPDler, hatte ihm vor versammeltem Parlament mangelhaftes Rechtsbewusstsein und liederliches Demokratieverständnis unterstellt. Dies konnte der frisch gekürte oberste Repräsentant und ehemalige Entertainer nicht auf sich sitzen lassen. Die magistrale Würde seines Amtes wie schon so oft vergessend, reagierte er, als ob er sich in einer aufgekratzten Runde von Freunden und Schmeichlern befinden würde: Er verhöhnte den Deutschen, dieser würde eine perfekte Filmbesetzung als KZ-Aufseher abgeben.

Trotz tropischer Sommerhitze war die Empörung gross. Berlusconi sei nicht «Europa-kompatibel», so das vernichtend gemeinte Verdikt vieler Politiker und Leitartikler, und der deutsche Kanzler Gerhard Schröder sagte gar seinen traditionellen Italienurlaub ab. Anna Lindh hingegen, die kürzlich ermordete schwedische Aussenministerin, weitete den Bann auf die ganze Nation aus. Solange, so die Sozialdemokratin, in Italien Berlusconi regiere, gehöre das Land nicht mehr der westeuropäischen Wertegemeinschaft an.

Berlusconi, immerhin von einer Mehrheit der Italiener gewählter Premierminister, reichster Mann Europas, als wirtschaftlich-politischer Parvenü mit Ellbogen ausgestattet, konterte die geballte Entrüstung mit einer grinsenden Entschuldigung. Ernster nahm er die Kritik im britischen Economist. Das liberale Eliteblatt hatte in zwei Beiträgen eine Liste von 28 Gründen erstellt, warum Berlusconi ungeeignet sei, nicht nur Italien zu führen, sondern auch die EU zu präsidieren. Leicht nervös geworden, lud der Cavaliere umgehend zwei Reporter des britischen, konservativen Magazins The Spectator auf sein sardisches Anwesen ein.

Unter Aufbietung seiner ganzen mediterranen Herzlichkeit, seines clownesken Charmes und seiner instinkthaften Beredtheit breitete er seine Sicht der Ereignisse und der Welt aus. Die Spectator-Journalisten Boris Johnson und Nicholas Farrell waren laut eigenem Bekunden mit der Frage im Kopf hergereist, ob Berlusconi für Italien, für Europa und ja für die Welt eine alles in allem positive Kraft darstellen würde. Nach drei Stunden Vortrag war ihre Antwort ein «eindeutiges Ja»: Er sei ein Mann der in vieler Hinsicht an die Romanfigur Jay Gatsby erinnere, über die der Autor F. Scott Fitzgerald sagte: «…er ist besser als der ganze verdammte Haufen.»

Weniger schwärmerisch beurteilten die meisten anderen Berlusconis Ausführungen. Es waren vor allem zwei Äusserungen, welche grell hervorstachen, Kopfschütteln und giftige Kommentare generierten und die Runde durch die Weltpresse machten. An einer Stelle titulierte der Cavaliere die Richter Italiens als «geistesgestört», als «Spinner im Quadrat», als «antropologicamente anders geartet». An einer anderen bestätigte er die Zwischenbemerkung der Journalisten, die italienische Diktatur unter Mussolini sei viel «gutartiger» gewesen als jene Saddams. Mussolini habe «nie jemanden getötet», fügte er an, «Mussolini hat die Oppositionellen in die Grenzregionen in die Ferien geschickt».

Die Richterbeschimpfung war eine typische, berlusconiesk grobe Flegelei an der Grenze zur Obszönität, selbstverständlich total unangebracht für einen Premierminister – sogar wenn jemand als mildernden Umstand anführen würde, dass die italienischen Richter mittels eines Sperrfeuers juristischer Verfahren einen im Grunde politischen Kampf gegen Berlusconi führen. Die Mussolini-Sentenz wiederum war eine historische Unflätigkeit, geeignet, die Gefühle der Angehörigen von Opfern der Diktatur zu verletzen. Sie war jedoch auch eine mit untrüglichem Gespür platzierte Provokation.

Mussolinis Regime war tatsächlich viel weniger blutig als dasjenige Hitlers oder Stalins. Der Duce war bei seinem Volk extrem populär, Terror im grossen Stil zur Herrschaftssicherung war nicht notwendig. Die Liebe der Italiener erkaltete erst, als er Schwäche zeigte und den Krieg zu verlieren begann. Dies war das Verdienst der amerikanischen und britischen Alliierten – nicht der einheimischen kommunistischen Partisanen, welche isoliert und militärisch schwach waren. Das offizielle Italien aber pflegt den erhebenden Mythos des heroischen Befreiungskampfes und verschweigt die weniger schmeichelhafte Tatsache des Wohlbehagens in einem faschistischen Staat. «Achtung, ich bin der Duce», feixte Berlusconi an einer Pressekonferenz. Er ist immer besonders gut gelaunt, wenn er ein Tabu erfolgreich angekratzt oder die seiner Meinung nach kryptokommunistische Meinungselite geärgert hat.

Herr Präsident, haben Sie sich mit Bundeskanzler Schröder wieder versöhnt, nachdem Sie das deutsche SPD-Mitglied des Europäischen Parlaments Martin Schulz mit einem KZ-Kommandanten verglichen haben?

Ich war es, der beleidigt worden war, meine Regierung und mein Land. Ich reagierte mit einem Scherz, wollte das Ganze ins Lustige ziehen. Das ganze Parlament lachte. Man hat meine Antwort genommen und gegen mich verwendet. Aber wissen Sie was? Ich konnte kaum widerstehen, weil ich damals 120 Episoden von «Hogan’s Heroes» gesendet habe, in denen dieser Feldweibel Schulz vorkommt. Erinnern Sie

sich? Das geschah, ohne nachzudenken. Schulz schrie mich an, nicht wahr? Und da kam das einfach so aus mir raus. Ich versuche bei meinen Reden immer ironisch zu sein. Wie auch immer, ich habe mit Schröder telefoniert und ihm gesagt, ich hätte niemanden beleidigen wollen und es tue mir Leid, dass mein Scherz ein paar Leute geärgert hat.

Was hat Sie provoziert?

In jener Parlamentssitzung waren alle Reden von langer Hand vorbereitet worden unter der Führung der Parlamentsmitglieder der italienischen Linken. So dass dieses Bild Italiens dabei herauskam: Erstens gebe es in Italien einen Mann, der 85 Prozent der italienischen Presse kontrolliert. Das Gegenteil ist der Fall: Ich bin der liberalste Verleger der Geschichte. Zweitens kontrolliere dieser Mensch auch das ganze italienische Fernsehen – dabei habe ich einen einzigen Freund beim italienischen Fernsehen, der einen Anteil von 7 Prozent hat. Drittens trample ich auf den italienischen Richtern herum, so dass Italien, wenn es sich heute um die Aufnahme in die EU bewerben würde, abgelehnt würde. Das war der Inhalt all der Reden der Linken an jenem Tag.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Realität aus?

In Wirklichkeit ist Italien eine absolute Demokratie mit zwei Anomalien. Die eine ist, dass unsere Opposition alles andere als demokratisch ist, weil sie nämlich aus denselben Leuten besteht, die Protagonisten der kommunistischen Partei Italiens waren, die stalinistischen Ursprungs war. Eine weitere Anomalie, die man im Ausland nicht kennt, ist, dass wir einen extrem politisierten Richterstand haben. Und die dritte Anomalie ist, dass die Presse aufs heftigste desinformiert. Lesen Sie die Repubblica oder die Unità: Das sind Zeitungen, die total im Dienste der Linken stehen. Wenn Sie die Unità lesen, haben Sie das Gefühl, wir leben in einer Tyrannei.

Beweise, dass der Richterstand politisiert ist?

Die Aussagen der Richter selbst. In einer ihrer Organisationen – der Magistratura Democratica – haben sie öffentlich erklärt, ihre Mitglieder müssten das Rechtssystem dazu verwenden, den bourgeoisen Staat zu stürzen.

Eine linke Verschwörung?

Die Situation in Italien kann von einem Ausländer nicht verstanden werden, es sei denn, er weiss Bescheid über die jüngere Geschichte. Ein halbes Jahrhundert lang wurde Italien von einer Koalition von fünf Parteien regiert, die von ihrem Ursprung her demokratisch und prowestlich orientiert waren: die Christdemokraten, die Sozialisten, die Republikaner, die Sozialdemokraten und die Liberalen. Unglücklicherweise hat dieses System in knapp fünfzig Jahren 57 Regierungen hervorgebracht. Ich bin die 57. Regierung, und zum ersten Mal seit fünfzig Jahren habe ich in beiden Kammern des Parlaments grosse Mehrheiten hinter mir. 1992, nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde die kommunistische Partei, die Linke, die von der Geschichte besiegt worden war, nicht etwa vor Gericht gestellt wegen ihrer moralischen Mitschuld an den Verbrechen der kommunistischen Regime von Stalin über Pol Pot bis Milosevic, die sie immer unterstützt hatte – sie hatte fatalerweise immer eine Vorliebe für Diktaturen.

Sie wurde nicht gerichtlich verfolgt, weil die Linke alle Knotenpunkte des Staates unterwandert hatte: die Schulen, die Zeitungen, die Fernsehsender, die Behörden – das zentrale Nervensystem des Staates. Und sie benutzte ihre Infiltration dazu, nicht vor Gericht zu kommen, sondern all jene Parteien vor Gericht zu stellen, denen die Geschichte Recht gegeben hatte.

Warum gingen Sie in die Politik?

Ich ging schweren Herzens in die Politik, aber 1994 dachte ich, die extreme Linke wäre eine schlimme Katastrophe für Italien. Die linken Parteien hatten nur 34 Prozent der Stimmen, aber mehr als 80 Prozent der Parlamentssitze, weil die anderen Parteien, die fünf Parteien, die Italien fünfzig Jahre lang regiert hatten, ausgelöscht waren. Ich war der beliebteste Mann Italiens, weil ich aus dem Nichts das kommerzielle Fernsehen aufgebaut hatte, und ich war ein wichtiger Geschäftsmann, weil ich ein Mann des Sportes war mit vielen Siegen. Mir gehörten fünf Teams – Fussball, Hockey, Volleyball, Rugby -, und die gewannen alle italienischen und Weltmeisterschaften. Ich hatte kleine Städte aufgebaut und besass die zweitgrösste Kette von Supermärkten. Das wussten alle Italiener. Ich führte eine Volksbewegung an, und die Leute sagten: «Sie sind unsere einzige Hoffnung gegen eine linke Regierung.»

Warum werden Sie von italienischen Kommentatoren angegriffen?

Ich glaube, bei all diesen Leuten steckt Eifersucht dahinter. Eine andere Erklärung finde ich nicht. All diese Journalisten, Biagi, Montanelli, waren älter als ich und glaubten, in unserer Beziehung die Wichtigeren zu sein, bis sich das Verhältnis umkehrte und ich das wurde, was sie selbst gern gewesen wären.

Warum haben Sie den Irak-Krieg befürwortet?

Wir hatten viele Zweifel, was die Notwendigkeit dieses Kriegs betraf, und wir versuchten, ihn zu vermeiden, aber als wir sahen, dass die USA und England, unsere traditionellen Verbündeten, zum Krieg entschlossen waren, zeigten wir uns mit ihnen solidarisch. Ein Beispiel: Ein Bruder von mir will in ein bestimmtes Geschäft einsteigen. Drei Monate lang sage ich ihm: «Ich bitte dich, tu’s nicht», und dann tut er es trotzdem. – Nun ja, er ist mein Bruder, und so unterstütze ich ihn, auch wenn ich bestimmt nicht für all seine Verluste aufkomme! Das Gleiche habe ich mit den USA getan. Wir sind heute am Leben dank den USA, die uns vom Nazismus und vom Kommunismus befreit haben und unser Wirtschaftswachstum förderten. Fünfzig Jahre lang haben wir unter ihrem Schutz gelebt, weil sie 4 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts ausgegeben haben, um uns gegen die Sowjetunion zu schützen, während wir nur 1,5 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts dafür ausgegeben haben. Wir sind ihnen also zu Dank verpflichtet, absolut, absolut. Es war schwierig, den Krieg zu befürworten, weil ich die ganze Linke gegen mich hatte, aber ich blieb dabei. Ich sagte Bush sogleich, dass es mir aufgrund der Verfassung nicht erlaubt sei, Truppen zu schicken ohne eine zweite Uno-Resolution, doch unterdessen haben wir 3000 Mann geschickt, um bei der Demokratisierung und der Friedenssicherung zu helfen.

Wo sind die Massenvernichtungswaffen?

Ich bin es gewohnt, mich in andere hineinzudenken, und so dachte ich, wenn ich Saddam wäre, würde ich mir sagen: «Lassen wir alle Massenvernichtungswaffen verschwinden, dann gibt es keine zweite Uno-Resolution, und greifen wir die USA nicht an.» Saddam hat also die Massenvernichtungswaffen eliminiert, weil ihm jemand, jemand, vor dem er grossen Respekt hatte, gesagt hat, ohne Uno-Resolution gibt es keinen Angriff. Ich glaube also, dass er sie zerstört oder ins Ausland geschafft hat.

Wurde die Öffentlichkeit getäuscht?

Das kann ich nicht sagen. Ich weiss nicht, wie das alles gelaufen ist. Ich halte sehr viel von Tony Blair, und wir sind in unserer persönlichen Beziehung sehr ehrlich. Ich glaube Blair und Bush, weil ich ihnen in die Augen schauen kann und ihnen glaube. Ich habe nicht direkt mit Bush oder Blair darüber gesprochen, wie unmittelbar die Bedrohung durch den Irak sei.

Wie geht es weiter?

Ich will etwas ausholen: Egal ob der Krieg nun opportun war oder nicht – es gibt ein grosses Problem in den Beziehungen zwischen dem Westen und der muslimischen Gemeinschaft. Tatsache ist, dass im Nahen Osten keine Demokratie herrscht, und es wäre wichtig, dass dem so wäre; ich schätze die Intervention im Irak als positiv ein, weil sie einer Diktatur ein Ende bereitet hat und für die ganze Region paradigmatisch wirken kann. Mir ist klar, wie schwierig es ist, einem Volk Demokratie beizubringen, das fast vierzig Jahre in einer Diktatur lebte…(*)

…wie Italien…

Lassen wir das, die italienische Diktatur war viel…

…gutartiger?

Ja, Mussolini hat nie jemanden getötet, Mussolini hat die Oppositionellen in die Grenzregionen in die Ferien geschickt.

Orte, die heute exklusive Ferienziele sind…(**)

Aber abgesehen davon sehen wir uns einer neuen Weltlage gegenüber. Die Konfrontation zweier Blöcke ist vorbei, weil der russische Bundesstaat unter der Führung von Herrn Putin beschlossen hat, zu Europa und zum Westen gehören zu wollen. Das ist eine sehr gewichtige Tatsache. Ich durfte 2001 das G-8-Treffen in Genua präsidieren und war Gastgeber des Abendessens und habe alle ins Gespräch zu bringen versucht und wie immer meine Scherze gemacht. Ich fragte Schröder nach seinen Erfahrungen mit Frauen, denn er ist ja zum vierten Mal verheiratet, und brachte ihn zum Lachen. Nach einer Weile entschied ich mich, zurückzulehnen und die anderen reden zu lassen, und ich sah Blair mit Chirac scherzen, und Putin scherzte mit Bush, und ich scherzte mit allen, und plötzlich fiel mir ein: «Da bin ich, ich habe den Zweiten Weltkrieg hautnah erlebt.» Ich wurde nämlich 1936 geboren. Ich habe meinen Vater in Uniform gesehen. Und ich dachte: «Was für eine wunderbare Welt.»

Die Welt ist besser geworden?

Was für eine veränderte Welt vererben wir unseren Kindern zu Beginn unseres Jahrhunderts, unseres Jahrtausends! Was für ein Wunder! Es kam mir fast unglaublich vor, denn als ich ein Junge war, kannte ich den Kommunismus bereits. Ich ging in eine Salesianerschule in der Nähe von Mailand, und Priester, denen die Flucht hinter dem Eisernen Vorhang hervor gelungen war, kamen uns besuchen und erzählten vom dortigen Terror, so dass ich schon mit zwölf wusste, dass der Kommunismus die unmenschlichste und kriminellste Unterdrückung in der Geschichte der Menschheit war. Dann kam der 11. September und damit die gegenwärtige Lage mit Terrorismus und Fundamentalismus.

Wie führt man Krieg gegen Fundamentalismus?

In Anbetracht des enormen und paradoxen Erfolgs des Fundamentalismus sage ich: Warum sprechen wir nicht offener über eine Gemeinschaft der Demokratien? Ja, warum reformieren wir nicht die Uno? Sagen wir Herrn X oder Y aus dieser oder jener Diktatur: «Sie müssen in Ihrem Land die Menschenrechte anerkennen. Wir geben Ihnen sechs oder zwölf Monate Zeit, sonst greifen wir ein.» Das können wir jetzt tun, weil es keine Gegenkraft mehr gibt. Früher haben Amerika oder Russland kein Land gefragt, ob seine Bürger Menschenrechte haben oder ob die Opposition sich äussern könne. Sie fragten sich nur: «Ist der auf unserer Seite oder auf der anderen? Wenn er auf unserer Seite ist, dann ist das gut, egal ob er ein Diktator ist.»

Warum soll Politik heute anders funktionieren?

Jetzt, unter den neuen Umständen, müssen wir sehen, was Diktaturen anrichten, müssen wir verstehen, warum es einen Bin Laden gibt und warum Fundamentalismus Terrorismus hervorbringt. Ich sage Ihnen, wie es ist: Würde ich in einem Land leben, wo es keine Wahlen gibt, dann würde ich zum Revolutionär, ja vielleicht sogar zu einem Terroristen. Das kommt daher, dass ich die Freiheit zu sehr liebe; ohne Freiheit ist ein Mann kein Mann, hat er keine Würde. Und so können wir heute gemeinsam mit Russland und Amerika alle Staaten der Welt anschauen, die Würde aller Völker abschätzen und ihnen Demokratie und Freiheit geben. Jawohl! Wenn nötig mit Gewalt! Denn nur so wird klar, dass das kein Scherz ist. Wir sagten zu Saddam: «Tu das, sonst kommen wir!», und wir kamen und haben es getan. Ich darf nicht sagen, aus welchem Land er war, aber neulich hat mich einer angerufen und gesagt: «Ich mache alles, was die Amerikaner wollen, weil ich gesehen habe, was im Irak passiert ist, und das macht mir Angst.» (Ein Sprecher Berlusconis gab zu verstehen, dass der betreffende Staatschef Oberst Gaddafi war.)

Warum glaubt der Economist, Sie sollten Italien nicht regieren?

Der Economist hat einen grossen, fundamentalen Fehler gemacht: Er verwechselt die Räuber und die Gendarmen. Er hält die Beschützer von Demokratie und Freiheit – also uns – für die Räuber und hält die Räuber für die Gendarmen. Er bringt einfach alles durcheinander. Mein Leben lang habe ich an der Politik keinen Pfennig verdient. Vielmehr habe ich Geld in die Politik gesteckt, indem ich Forza Italia finanzierte. Ich wage es nicht, meine Gruppe anzurufen, aus Angst, eine einzige Telefonistin könnte sagen: «Berlusconi ruft an.» Und was die Interessenkonflikte betrifft, da verhält sich die Sache genau umgekehrt: Ich musste mein ganzes System von grossen Läden verkaufen, weil die Kommunisten nicht bei mir einkaufen wollten und eine BB(Boykottiert Berlusconi)-Strategie entwickelten. Die linken Behörden gaben mir keine Bewilligungen für den Bau neuer Läden mehr, und die Rechte fragte ich nicht, weil es sonst geheissen hätte, ich verfolge eigene Interessen, und so beschlossen meine Söhne, alles zu verkaufen.

Ist es rechtens, ein Gesetz zu erlassen, das einen selbst vor Strafverfolgung schützt?

Sie müssen wissen, dass meine Gruppe über 500-mal von den Guardie di Finanze [Zollbehörde] besucht worden ist, dass es mehr als 90 Untersuchungen gegeben hat. Sie müssen sich fragen, was lässt sich dagegen unternehmen, dass die gesamte «procura» [Staatsanwaltschaft] von Mailand und Palermo nichts anderes zu tun hat, als hirnrissige Theorien über mich auszuschwitzen? Was lässt sich dagegen tun, dass die mich immer wieder vor Gericht zerren und zu Sitzungen mit meinen Anwälten zwingen? Soll ich regieren oder die ganze Zeit nur auf diese Anschuldigungen reagieren? Es ist unmöglich. Blosse acht Prozent der Italiener trauen dieser «magistratura». Das muss man kapieren, und das hat der Economist noch nicht kapiert. Blosse acht Prozent. Also schien das der einzig mögliche Ausweg zu sein. Das heisst nicht, dass der Fall ad acta gelegt wird, sondern so lange aufgeschoben, wie ich im Dienste des Staates stehe. Ich war dagegen. Aber dann sagt man mir (ich habe alle Prozesse gewonnen, äh, bis auf einen, einen einzigen), dass die Richter in Mailand genau das wieder tun, was sie 1994 getan haben. 1994 wurde meine Regierung gestürzt, weil man mich der Korruption beschuldigte, und sechs Jahre später wurde ich freigesprochen. Aber sie haben meine Regierung gestürzt, sie haben den Lauf der italienischen Geschichte verändert – nicht durch die Wahrheit, sondern durch falsche Beschuldigungen. Und jetzt machen dieselben Richter von denselben Gerichten dieselben falschen Anschuldigungen!

Hat Ihre Firma nicht zumindest einen Richter namens Squillante bestochen?

Was Geld betrifft, so ist überhaupt nichts bewiesen, denn was uns betrifft, meine Firma, so ist einzig erwiesen, dass «parcelle» [Rechnungen] bezahlt wurden an die Anwälte, die in Rom ein System von Bankkonten hatten mit Verbindungen zur Schweiz, Konten, an denen alle römischen Richter beteiligt waren. Ich will nicht behaupten, das sei korrekt gewesen, ich sage nur, wir haben nichts damit zu tun gehabt. Überhaupt hatte dieser Squillante gar keinen Prozess laufen, der mich betraf. Warum sollte meine Firma Squillante Geld geben, wenn er mit keinem einzigen meiner Prozesse etwas zu tun hatte? All meine Prozesse waren in Mailand, nicht in Rom. Warum sollte meine Firma Squillante Geld zahlen?

Aber haben Sie nicht versucht, den Verkauf von SME an Buitoni zu verhindern, Craxi zuliebe?

Squillante war als Richter an keinem unserer Prozesse beteiligt, ich verstehe deshalb nicht, warum das passiert ist. Die Italiener glauben das nicht. Die glauben mir.

Die glauben nicht dem Economist?

Nein! Das wussten die doch alles, ich habe die Wahl gewonnen, als dieser Prozess schon lief und ich das ganze Fernsehen gegen mich hatte. Die Italiener haben mir geglaubt und nicht den Richtern.

Warum begreift dies das Ausland nicht?

Ich glaube, achtzig Prozent aller Journalisten sind links und haben sehr enge Kontakte zur ausländischen Presse, und alle haben einen Klub in Rom. Ich gebe keine Pressekonferenzen für die ausländische Presse, weil die sie nur benutzen würde, um mich anzugreifen. Die nehmen nicht wahr, was ich sage oder tue. Die schreiben nur, was sie schon in den Köpfen haben. Die verstehen nicht, was es mit unserem Richterstand auf sich hat. Schauen Sie nur, was Andreotti passiert ist, der zu zwanzig Jahren verurteilt wurde.

War Andreotti, der siebenmal Präsident war, denn kein Mafioso?

Aber nein. Aber nein. Ma no. Andreotti ist troppo intelligente. Der ist zu schlau. Schauen Sie, Andreotti ist nicht mein Freund. Er ist ein Linker. Die haben dieses Hirngespinst geschaffen, um zu demonstrieren, dass die Democrazia Cristiana, die fünfzig Jahre lang die wichtigste Partei in unserer Geschichte war, keine ethische Partei sei, sondern Verbindungen zur Verbrecherwelt habe. Aber das stimmt nicht. Non è vero. Das ist una follia! Diese Richter spinnen im Quadrat! Einerseits in politischer Hinsicht und dann weil sie überhaupt spinnen. Um diesen Beruf auszuüben, muss man geistesgestört sein, muss man psychische Schäden haben. Der Grund, warum die diesen Beruf ausüben, ist, weil sie antropologicamente anders geartet sind! Und deshalb bin ich dabei, alles zu reformieren. (*)

(*) Aus The Spectator

(**) Aus La voce di Rimini

Aus dem Englischen von Thomas Bodmer

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