Die Weltwoche

12.12.2003

Prinzip Luftibus

Dieter Meier startete mit künstlerischen Absurdaktionen und wurde nebenbei zum Weltstar. Doch dann begann das verbissene Basteln am epochalen Werk.

Von Eugen Sorg und Tom Haller (Bilder) ·

Wie wird man zu dem, der man ist? Wie wird zum Beispiel ein bekennender Dilettant, einer, der nichts richtig gelernt hat, der seine beruflichen Aktivitäten auch schon «umeblööterle» genannt hat, der zudem noch schlicht Meier heisst, wie wird so einer zum Weltstar, zum internationalen Unternehmer, zum «Cultural Leader» auf Lebzeiten, als den ihn das World Economic Forum vor vier Jahren geadelt hat?

Alles Zufall, sagt dieser ernst in seiner Villa am Zürichberg, es hat einfach immer alles geklappt. Bis auf eine Sache. Die späte Nachmittagssonne bricht durch das Herbstlaub in den Salon, und der ganze grosse Raum mitsamt seinen Gegenständen scheint in dem warmen, kupfergoldenen Licht zu schweben. Nur Dieter Meier, 58, wirkt eigentümlich geerdet und erinnert mit seinem dichten Schnauz, seinen Tränensäcken und dem strengen Blick an einen dieser Polizisten aus den alten Stummfilmen. Natürlich ist die Behauptung mit dem Zufall eine gewaltige Untertreibung – Meier ist einer der bisher erfolgreichsten Schweizer Künstler und Entrepreneurs überhaupt, und von allein wird dies niemand. Aber sie ist nicht falsch.

Immer wieder taten sich in seinem Leben überraschende, unwahrscheinliche Gelegenheiten auf. Meier hatte sie nicht gesucht, er hat überhaupt nie etwas angestrebt, behauptet er. Aber er ergriff sie, als sie sich ihm boten. Mit der Geistesgegenwart des ehemaligen Profi-zockers, mit der Überheblichkeit des Unwissenden, mit der Neugierde des Weltsüchtigen. Oder, wie Meier sagt, mit einem gewissen Leichtsinn und relativ schlecht vorbereitet. Sozusagen mit Lackschuhen in die Steilwand.

Ernsthafte Besprechungen des Absurden

Wie zum Beispiel Mitte der siebziger Jahre, als ihn der damalige Vizedirektor des Zürcher Kunsthauses anrief und fragte, ob er eine Einzelausstellung machen wolle. Meier schwört, dass er bis heute nicht weiss, warum die gerade auf ihn kamen. Er konnte weder zeichnen noch malen, wusste nicht was ausstellen, hatte kein einziges Objekt. Zwar hatte er sich im kreativen Metier versucht, aber seine letzten entsprechenden Entäusserungen lagen einige Zeit zurück.

Anfang der siebziger Jahre war er mit einer Serie von Absurdaktionen an die Öffentlichkeit getreten. Er hatte sich vor dem Kunsthaus fünf Tage lang exakt acht Stunden auf den Boden gesetzt und Abertausende von Schrauben in Säcke abgezählt. Oder er hatte ein Industrieeisenband auf den Helvetiaplatz gelegt und die Leute aufgefordert, ihm ihren Gang zu widmen, indem sie darüber schritten. Oder er hatte an einem Nachmittag in New York jedem Passanten einen Dollar bezahlt, der ihm ein «yes» oder ein «no» auf ein Kassettengerät sprach. Oder er hatte die Bevölkerung Zürichs auf Plakaten aufgefordert, 10000 Franken auf sein Konto einzuzahlen, er werde damit ein Kunstwerk schaffen (Fr. 4828.11 wurden überwiesen, Meier zahlte sie den Spendern zurück).

Dies brachte ihm das Kopfschütteln der arbeitenden Bevölkerung ein. Aber auch ein paar Weihen. Der Kunstkritiker der NZZ widmete Meiers Sinn-Dada eine ernsthafte Besprechung, und er durfte bei Jean-Christoph Ammann in Luzern und 1972 an der Documenta 5 in Kassel ausstellen. Meiers Beitrag war eine auf den Boden vor dem dortigen Bahnhof montierte Eisenplatte mit der Ankündigung, dass er am 23. März 1994 von 15 bis 16 Uhr auf derselbigen in seine eigenen Fussstapfen treten werde. Was er dann wirklich tat.

Meier freute sich immer riesig über offi-zielle Anerkennung. Wegen seiner Eltern. Sie machten sich Sorgen über ihren Sohn, der, anstatt Jurisprudenz zu studieren, das Leben eines Taugenichts führte und chronisch auf eigenartige Ideen verfiel. Der Vater war Direktor der noblen Bank Hofmann, und als ein Foto des vor dem Kunsthaus am Boden hockenden und Schrauben zählenden Sohnes in der Zeitung erschien, hing es am Tag darauf in sämtlichen Büros. Eine kleine Rache der Untergebenen. Der Meier mag ja unser Vorgesetzter sein, bedeutete dies, dafür hat er einen missratenen Sprössling. Die Auszeichnung durch die Kunstgranden aber verwandelte das Allotria in höhere Tätigkeit und elterlichen Schmerz in Stolz.

Das Angebot des Kunsthauses Zürich für die Einzelausstellung nahm Meier nach kurzem Schlucken an. Mit der Guillotine des Eröffnungstermins vor Augen überwand er Faulheit, Angst und Unvermögen und fabrizierte in kurzer Zeit ein Œuvre, gross genug, die Leere der Museumswände zu überdecken. Etwa mit einer 20-teiligen Serie, Fotostillleben von Bekannten. Er hatte diesen ein Stück Alteisen in die Hand gedrückt, sie irgendwo in der Landschaft aufgestellt und mit der Kamera porträtiert. An die übrigen Exponate kann er sich nicht mehr erinnern.

Die kaltblütigen Manöver in den Übergangszonen zur Scharlatanerie retteten immer wieder seinen Kopf. Aber sie lösten sein Problem nicht. Als junger Mann war mit Wucht die Sinnfrage über ihn hereingebrochen. Was fängt man mit den paar zehntausend Tagen an, die man auf diesem Planeten zur Verfügung hat? Er sah sich in eine Gesellschaft hineingesetzt, die nach den Mechanismen einer Pseudorationalität funktionierte und die jedes individuelle Leben dem Zweck unterwarf, den Leerlauf des Ganzen fortzuschreiben. Angesichts dieser Aussicht flüchtete er sich vorerst in die Spielleidenschaft, um sich drei Jahre später, gereift in der Lebensschule des professionellen Pokerns, erneut der grossen Frage zu stellen.

Schrauben zählen im Nichts

Novize Meier, vermessen, wollte nun etwas auf diese Welt setzen, das ausserhalb des grossen Schwachsinns stand, ausserhalb der herrschenden Zweckvernunft. Etwas, das nur existierte, weil er es geschaffen hatte. «Doch ich wusste nicht, wo beginnen», sagt Meier, «es fiel mir nichts ein, ich brachte nichts zustande, gar nichts.» Es gab keine äusseren Gründe für sein Scheitern, keine Ablenkung durch Broter-werb, keine Karriereverpflichtung. Er stammte aus vermögendem Hause und würde nie gezwungen sein, zu arbeiten oder etwas zu Ende zu bringen. Es gab keine Entschuldigung, es gab nur seine Kläglichkeit. «Ich fühlte mich total unfähig, wie einer, der probiert, aus Wasser etwas zu bauen.» Also setzte er sich hin und begann in dieses Nichts hinein Schrauben abzuzählen. Das war ebenfalls nichts, jeder konnte das, aber es war von ihm.

Daneben produzierte er Kurzfilme, Meier nennt sie Filmchen, experimentelle Streifen, spielerisch verfertigt, mit vagen Ideen von Bildkompositionen, rückwärts abgespielten Überblendungen, allerlei technischen Effekten. Er trat mit ihnen an Festivals auf und produzierte live dazu Lärm. Bald ging er dazu über, sie auch selber zu vertonen. Er besass eine Gitarre, die seit langem nur noch eine Saite hatte, und oft zupfte er sie während Stunden und summte dazu vor sich hin. Mit einem Kassettengerät begann er diesen indisch klingenden Freizeit-singsang aufzunehmen, und zusammen mit irgendwelchen anderen Geräuschen wurde es der Soundtrack seiner Kunstfilme. Überraschenderweise fanden sie in progressiven Cineastenkreisen durchaus Anklang.

Ende der siebziger Jahre drehte Meier seinen ersten Spielfilm. «Weil ich nicht wusste, was ich sonst mit mir anfangen sollte, hatte ich immer mal wieder Drehbücher geschrieben, ohne ernste Absicht, sie jemals zu verfilmen. «Eines dieser Manuskripte lag bei mir herum, als es einem Besucher auffiel.» Ihm gefiel der Titel «Sehnsucht nach allem», er las das Drehbuch, einen Thriller, und darauf wollte er es unbedingt bei der Deutschen Filmförderung einreichen. Meier musste also zwanzig Kopien herstellen, was ihm bereits stank. Und als er noch erfuhr, dass von 110 Eingaben nur 3 ausgewählt würden und dass die meisten Bewerber zudem von Filmschulen kamen oder schon Fernsehfilme gemacht hatten, war ihm klar, dass er sich den Gang zum Postschalter hätte ersparen können. Er hakte für sich die Sache ab und verreiste für längere Zeit nach Sizilien.

Einige Monate später hing in einem kleinen Dorf am Zeitungsständer eine FAZ, vergilbt von der Sonne. Meier kaufte sie und las darin zu seinem Erschrecken, dass er den Filmförderungspreis gewonnen hatte und den Film drehen durfte. Er war noch nie auch nur in der Nähe eines Filmsets gewesen. Er ging für drei Monate als Hilfspraktikant zu einer Filmequipe, stellte ein eigenes Team zusammen und drehte einige Wochen später in Berlin seinen Thriller. Die NZZ besprach ihn sehr positiv. Meier, Hochseiltänzer, war einmal mehr heil auf der anderen Seite angekommen.

Eine Art Urmusiker

In diesen Jahren intensivierte er auch seine musikalische Performance. Er trat in verschiedenen Rockbands als Sänger auf. «Ich krähte wild von der Bühne runter, undiszipliniert, und erfand Texte.» Es war die Zeit des Punk, und dieser lehrte, dass man auch ohne die geringste Vorbildung enorm erfolgreiche Tanzmusik machen konnte. Gefallen an Meiers Auftritten fand ein gewisser Paul Wajsabel, ein Tscheche, der hinter dem Zürcher Volkshaus ein Musikgeschäft betrieb. Er produzierte 1977 Meiers erste Single, «Cry for Fame» (Schrei nach Ruhm), ein gewagtes Amateurstück, mitfinanziert vom hilfsbereiten Pornofilmer Edi Zulu Stöckli, einem Freund Meiers.

Die Platte verkaufte sich eher mässig, genau gesagt 270-mal. Aber sie ermutigte immerhin einen jungen schüchternen Musiker mit Menjoubärtchen und Pomadenfrisur namens Boris Blank, bei Wajsabel vorstellig zu werden. Wenn der solches Zeugs wie das von Meier herausgibt, hatte sich Blank gesagt, dann sind meine Sachen noch lange gut genug. Er spielte Wajsabel einige seiner Kompositionen vor, der machte ihn mit Meier bekannt, und aus der Bekanntschaft ging ein wenig später das Musikantenduo Yello hervor.

Blank jobbte bis frühmittags und ging dann direkt ins Badezimmer seiner Mietwohnung an der Zürcher Wehntalerstrasse, um für die nächsten acht Stunden an seinen Klanggebilden zu arbeiten. Allein, hochkonzentriert, mit einfachsten Mitteln. Er war eine Art Urmusiker, ohne ein Instrument zu beherrschen, ohne Noten lesen oder wenigstens singen zu können. Er sammelte Töne, die er auf Tonbandschnipseln über die Tonköpfe zog, veränderte, mit anderen Tönen überlagerte und damit neue, nie gehörte Sounds erfand. Er war ein Pantheist der Klänge, jedes Wesen, jedes Ding war für ihn beseelt, hatte einen einzigartigen Klang, egal ob Metallrohr, Löwenschrei, Wäscheleine, Muschel, Motor, Wind, Geige. Die Welt war ein gigantischer Resonanzkörper und Blank ihr staunender, demütiger Tonmeister.

Über Monate arbeitete er an jeder seiner musikalischen Fresken, mit klösterlicher Disziplin und pointillistischer Präzision. Hatte er das Gefühl, eine vollendet zu haben, stellte er sie dem neuen Kompagnon vor. Meier war der Sänger des Duos, und er sollte den Songskulpturen Gesicht, Stimme und Melodie verleihen. Singen konnte er nicht, aber er vertraute auf sein Rhythmusgefühl. Also skandierte er seine Texte, trug sie vor als sonoren Sprechgesang, Staccato-Geschichten mit rudimentärer Melodie. Ohne es zu wollen, aus der simplen Not einer fehlenden Begabung heraus, hatte Vokalist Meier den Rap erfunden.

Die Zusammenarbeit der lustigen Zürcher Projektanten entband alchemistische Kettenreaktionen. Sie schufen nicht nur eine neuar-tige Musik, sie hatten damit auch schwindel-erregenden Erfolg. Gleich ihr erstes Album, «Solid Pleasure», wurde 1980 von New Yorks Dance-Radiostation WBSL rund um die Uhr gespielt, bald liefen die Stücke der Minikapelle in den Trenddiscos aller Metropolen. 1983 stellte sich Yello der härtesten Prüfung: Sie traten live im New Yorker «Roxy» auf. Den legendären Klub frequentierte das exzentrischste, erlebnissüchtigste, anspruchsvollste Publikum. Schlawiner Meier und Badezimmergenie Blank wurden von den 3000 Besuchern frenetisch gefeiert. Als in den Neunzigern der Technosound die tanzende Zivilisation eroberte, sicherte sich Yello endgültig einen Platz als Ikone in der Heilsgeschichte der Popkultur. Das Duo, das bis heute mehr als zehn Millionen Alben verkauft hat, wurde als einer der Stifter des neuen Grosstrends inthronisiert.

Meier begleitete den eigenen Aufstieg staunend und belustigt, ohne ihn je ganz ernst zu nehmen. Wie ein Simplicissimus der pazifierten Moderne bewegte er sich durch die aufgeregte Welt des Ruhms und Glamours. Er sah deren Schein und Vergänglichkeit. Doch er verurteilte sie nicht, sondern bediente sich daraus, amoralisch wie ein spielendes Kind, für seine Einfälle und mannigfaltigen Basteleien. Wirkte er in der Schraubenzählerphase häufig noch verkrampft, so strahlte nun fast alles, was er machte, eine gewisse Leichtigkeit aus und eine zuweilen komödiantenhafte Selbstironie – seine Videoclips für Yello (die vom Museum of Modern Art in New York schon Mitte der Achtziger für die Sammlung Gegenwartskunst erworben wurden); ausgeprägt seine Kolumnen und Essays; und sogar seine späteren Aktivitäten als Unternehmer und Investor. Wichtiger als das künstlerische Ergebnis selber war die Haltung, das Statement, das mitschwang. Du bist frei, drückte es aus, die Welt ist kein Gefängnis, kein starrer ontologischer Block, sondern ein Feld unendlicher Möglichkeiten. Meier wich dem Scheitern, der Lächerlichkeit, den Selbstzweifeln, dem Dilettantismus nicht aus, sondern machte sie zum Bestandteil seiner eulenspiegelnden Inszenierungen. «Ich habe das Glück, ein heiterer Joggeli Buume zu sein», sagt er. Und dichtet ein Verslein: Niemals wird Herr Meier wissen / Wer Herr Meier wirklich ist / Und wenn ihn mal die Musen küssen / Ist das auch nur eine List.

Geschmolzener Schneeball

Viele Künstler leiden unter der Obsession, das eigentliche, wahrhaft bedeutende Werk noch nicht geschaffen zu haben. Das bisher Geleistete erscheint ihnen daneben als vorläufig, unfertig, als Fingerübung auf dem Weg zur perfekten Kreation. Flauberts Buch über die menschliche Dummheit etwa, «Bouvard und Pécuchet», das er schon im Alter von neun Jahren zu schreiben begonnen hatte, blieb unvollendet. Joseph Conrad empfand sein «Herz der Finsternis», von vielen als sein Meisterwerk gefeiert, als misslungen. «Der Idiot der Familie», Sartres monumentales Lebenswerk über Flaubert, blieb ein Torso – das Hauptkapitel über Emma Bovary, auf das hin das ganze literarische Unternehmen zielte, schrieb er nie. Ebenso wie die meisten Filmer noch jenes grosse Opus im Sinn haben, mit dem sie endlich zeigen können, was ihnen wirklich am Herzen liegt – aber keinen Produzenten finden, weil ausser ihnen selbst niemand das Drehbuch und Konzept gut findet.

Meiers Prinzip Luftibus schützte ihn vor dieser Gefahr, der Ewigkeit genügen zu müssen. Bis eines Morgens wieder mal das Telefon läutete und am anderen Ende ein Herr von der Schweizerischen Bankgesellschaft fragte, ob Meier jemanden wüsste, den die Bank zu ihrem 100-Jahr-Jubiläum sponsern könnte. Meier wusste jemanden. Er hatte seit Jahren diese Idee einer Bühnenshow für Yello, mit einer kitschigen Riesenkugel, aus der es schneit, und diversen szenischen Umsetzungen ihrer Musik. Diese Show, Arbeitstitel «Snowball», kombinierte Meier fix, liesse sich gut auch als Spielfilm machen. Schliesslich bezeichnete Yello ihre Musik als «Soundtrack für imaginäre Filme». Zwei Wochen darauf hatte er finanzielle Zusagen von Plattenfirma und Fernsehen, 350000 Franken vom Bund und grosszügige 2,5 Millionen von der Bank. Einzige Bedingung: Zum Jubiläum in vier Monaten musste Meier erste Kostproben des Streifens vorführen können.

Die überhastet, ohne brauchbares Drehbuch durchgeführten Dreharbeiten in Zürich brach Meier nach zwei Wochen ab, sie waren ein Desaster, das Geld war verpulvert, und die verdutzten Jubiläumsgäste bekamen seltsame Filmfragmente zu sehen. Zum ersten Mal regte sich etwas wie eine zielhypnotisierte Verbissenheit in Meier. «Ich wusste, ich muss jetzt diesen Film machen.» Er zahlte dem Bund das Geld zurück und nahm drei Jahre später, nach einem zweiten, ebenfalls gescheiterten (er war einem polnischen Betrüger in die Arme gelaufen), einen dritten Anlauf. Das Drehbuch, ein opulentes Opernmärchen, hatte er komplett umgeschrieben. Es handelte von einem Geiger, der in die Unterwelt verbannt wird, sich dort in die Königstochter verliebt und mit seinem Spiel Licht, Farben und Leben erzeugen kann. Das ganze Jahr 1990 drehte er mit einer 150-köpfigen Crew im schlesisch-polnischen Breslau. Meier hatte ein heruntergekommenes Filmstudio vom besten polnischen Theaterarchitekten zur neubarocken Capri-Grotte umbauen lassen, Perückenmacher der Breslauer Oper fertigten Haartrachten an, die üppigen Kostüme stammten aus dem Zürcher Seidengeschäft seiner Frau Monique. Eine Verschwörung der Fantasie, verkündete Autor-Regisseur-Produzent-Darsteller Meier euphorisch.

Mit 200000 Meter belichteten Filmrollen und dem tollen Gefühl, das Licht wieder laufen gelehrt zu haben, flog Meier nach Los Angeles. Er hatte dort eine Firma gegründet, ein Haus gekauft und baute ein Film- und Tonstudio auf. Die Fertigstellung des Films – Schnitt, Vertonung – sollte im Umfeld von Hollywood, der wichtigsten Filmindustrie, geschehen.

1992 gab Meier bekannt, dass man mit dem Film, der unterdessen «End of Darkness» (Ende der Dunkelheit) hiess, im Endspurt sei. Drei Jahre darauf, im Frühjahr 1995, verneinte er eine Reporterfrage, ob sein Film eigentlich ein Phantom sei. Er sei am Feinschnitt. Fantastische Bilder. Kritiker, die Ausschnitte gesehen hätten, würden von einer Ästhetik «Fritz Lang meets MTV» reden. Es sei wie bei einem Edelstein: Je präziser man ihn schleife, desto schöner leuchte er. Aber nur immer lustig sei dies nicht, fügte er hinzu. Sondern so, wie wenn man in acht Monaten über den Atlantik rudern wolle und nach vier Jahren immer noch unterwegs sei. Abgesehen von der finanziellen Irrsinnsbelastung. Der Name des Filmes war jetzt «Once Upon a Dream» (Es war einmal ein Traum).

Drei Jahre später vermeldete Meier, sie seien täglich am Schneiden. Im März 1999 würde der Film, der nun «The Lightmaker» (Der Lichtmacher) hiess, der Öffentlichkeit präsentiert werden. 25 Prozent des Materials seien in einem deutschen Labor zerstört worden, und wegen der gerichtlichen Auseinandersetzung habe man nicht weiterarbeiten können. Im März 1999 sagte Meier, im August sei der Film vorführbereit. Ebenso erzählte er von der Arbeit am Roman «Director’s Cut», einem Thriller über einen Regisseur, der sehr tief falle.

Besser liefen alle anderen Vorhaben.Meier lancierte eine aus rezyklierten Aludosen gefertigte Armbanduhr. Er importierte das tschechische Bier Lobkov. In Argentinien kaufte er das Gut «Ojo de Agua» (Auge des Wassers), eine 2100 Hektaren grosse Farm, und begann sich der biologischen Landwirtschaft sowie der Aufzucht von Rindern, Schafen und Polopferden zu widmen. Ausserdem beteiligte er sich an einem Weingut in Mendoza. Und seine Firma Euphonix im Silicon Valley gewann im Jahre 2002 für ihre Mischpultsoftware einen Oscar für den besten Sound.

Leicht aggressiver Grössenwahn

Daneben sammelte er Auszeichnungen, unter anderen den Türler-Medienpreis für seine im NZZ-Folio publizierten Kolumnen, und 1997, zusammen mit Boris Blank, den Kunstpreis der Stadt Zürich. Letzteres Preisgeld von 40000 Franken wolle er für den literarischen Nachlass von Stefan Sadkowsky verwenden, meinte damals Meier. Er kannte Sadkowsky, der vor nicht allzu langer Zeit im Tessin in ein Tobel gestürzt und gestorben war, seit er 18 war. Er galt als extrem begabter Schreiber, der seit Ewigkeiten an einem epochalen Roman arbeitete, dessen Erscheinen er auf die jeweils kommende Buchmesse ankündigte, wobei er nach jeder Verschiebung die eigenen Ansprüche an Vollkommenheit etwas steigerte, bis hin zum leicht aggressiven Grössenwahn, der es ihm schliesslich verunmöglichte, überhaupt noch eine einzige vernünftige Zeile zu verfassen, wie sich später herausstellte, als man den Nachlass sichten konnte.

Wenn sein Buch herauskäme, hatte Sadkovsky als Letztes angedroht, bevor er sein Lebensprojekt begrub und den völlig absurden und unleserlichen Roman «Weiss» schrieb, in dem die Hauptfigur über Hunderte von Seiten nichts anderes tat, als alles weiss anzustreichen, wenn sein Buch herauskäme, würden sämtliche Schweizer Schriftsteller ihre Schreibmaschinen durchs geschlossene Fenster werfen und nie mehr etwas schreiben. Meier hatte Sadkowsky, der notorisch pleite war, diskret finanziell unterstützt. Er war wie ein Robert Walser, meint Meier, nur dass er es leider nie schaffte, diese Sucht nach dem endgültig Grössten irgendwie mit dem tiefen Zweifel in Balance zu bringen. Er konnte aus dem Zweifel nichts machen, diese Kurve hat er nicht gekratzt.

Im Jahre 2001, 14 Jahre nach dem ersten Drehversuch und Ausgaben in unbekannter Millionenhöhe, wurde Meiers «The Lightmaker» an der Berlinale uraufgeführt. Das Premierenpublikum spendete höflichen Applaus, und der Filmkritiker der Zürcher Sonntagszeitung schrieb von einem «langweiligen und geschwätzigen» Streifen.

«Manchmal überlege ich mir», sagt Meier im Herbst 2003 in seiner Villa am Zürichberg, «bist du eigentlich wahnsinnig, du hast so viele Platten verkauft, damit könnte man ein komfortables Leben führen. Also warum machst du zum Beispiel so einen Film, der viel kostet und nur Sorgen macht?» Meier hat sich eine neue Drehbuchversion ausgedacht. Und er arbeitet mit einem neuen, ganz tollen Cutter zusammen, der ebenfalls findet, dass in diesem Material mehr steckt, als bisher rausgeholt wurde. «Und jetzt ist dann der Feinschnitt fertig, da sind einfach grossartige Bilder vorhanden, die man heute gar nicht mehr machen kann, und dann gehen wir wieder in die Vertonung, und Anfang nächsten Jahres gehe ich mit dem Cutter nochmals zwei Monate dran, und dann ist Schluss. Auf jeden Fall.» g

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