Basler Zeitung

16.12.2016

Eine Frage der Moral

Jean Ziegler, Hofschranze

Von Eugen Sorg

Wenn sich jemand wiederholt und grundlegend irrt in der Einschätzung der Leute, mit denen er es zu tun hat, und der realen Verhältnisse, in denen diese leben, dann sollte er sich irgendwann Gedanken machen über die Ursachen seines offensichtlich ungenügenden Urteilsvermögens. Dies gilt für den Normalbürger und erst recht für den Intellektuellen, der von Berufs wegen mit Analysen und Prognosen gesellschaftlicher Prozesse befasst ist. Nun weiss jeder aus eigener Erfahrung, wie hartnäckig einmal gefasste Meinungen und Deutungsmuster mitunter verteidigt werden, auch wenn die Realität etwas völlig ­anderes zeigt, wie ideenreich Offensichtliches ­verleugnet wird, nur um die lieb gewonnene Sichtperspektive auf die Welt zu retten.

Ein besonders auffälliges Beispiel von Unbelehrbarkeit gibt der ehemalige Langzeit-Nationalrat, emeritierte Soziologieprofessor und UNO-Berater Jean Ziegler. Als junger Mann bekehrte sich der 1932 als Hans geborene Sohn eines calvinistischen Thuner Richters in Paris zum Kommunismus, dem er bis heute treu blieb. «Ein stahlfestes Glaubenssystem» nennt er selber seine politische Philosophie. Seit über fünfzig Jahren trommelt er für den bewaffneten Aufstand der Völker der Dritten Welt gegen den «Killer-, Raubtier-, Casino-, Dschungelkapitalismus» der USA, gegen die «kannibalistische Weltordnung». In jedem ­Putschisten, der irgendwo auf der Welt antiimperialistische Parolen schrie, sah er einen Menschheitsbefreier, dem er alsbald die Aufwartung machte. Ziegler avancierte zur Hofschranze der übelsten Machthaber des Trikont. Er lächelte mit Saddam Hussein, mit Kim Il Sung, er wurde vom «schwarzen Stalin» Oberst Mengistu, dem ­massenmörderischen äthiopischen Diktator, auserkoren, an einer Verfassung für sein Einparteien­regime mitzuarbeiten, und als der «strong man» von Zimbabwe, Robert Mugabe, 2002 nach gewaltsamen Enteignungen von Farmland Hungersnöte verursachte, lobte Ziegler: «Die Geschichte und die Moral sind auf Mugabes Seite.»

Auch Libyens Gaddhafi hatte für Ziegler offenbar die Moral auf seiner Seite. Kurz nach dem Ende 1988 von dessen Agenten verübten Terror­anschlag von Lockerbie, bei dem alle 259 Passagiere des Flugs 103 der Pan Am ums Leben kamen, stellte der Beduinen-Herrscher zehn Millionen Dollar für einen neu gegründeten «Internationalen Muammar-al-Gaddhafi-Menschenrechts­preis» zur Verfügung. Der Preis sollte seinen angeschlagenen Ruf etwas aufbessern. Ziegler war nicht nur in der Jury, sondern fungierte auch als Gaddhafis Sprecher, indem er die Neuschöpfung eines «Anti-Nobel-Preises der Dritten Welt» verkünden durfte. Als Menschenrechtspreisträger erwählt wurden in der Folge nebst den «Steine werfenden Kindern des besetzten Palästina» ­Figuren wie Fidel Castro, Hugo Chávez oder Louis Farrakhan, der antisemitische und schwarzrassistische Leader der amerikanischen Nation of Islam. Und 2002 wurden dreizehn «intellektuelle und literarische Persönlichkeiten» ausgezeichnet. ­Darunter Roger Garaudy, islamischer Konvertit und Holocaust-Leugner. Und Jean Ziegler.

Ein Menschenrechtsorden von Gaddhafi: Dies war sogar für die Ziegler ansonsten wohlgesonnenen Schweizer Journalisten moralisch zwie­spältig. Worauf Jean einfach abstritt, die Auszeichnung angenommen zu haben. «Ich habe noch nie Preise akzeptiert und fange auch jetzt nicht damit an.» Dies wiederholte er immer ­wieder, bis 2013 ein Video auftauchte, das ihn zeigte, wie er in ­Tripolis stolz den Preis in Empfang nahm. Der charmante und fabulierfreudige Soziologe mit dem Faible für Dritte-Welt-Despoten parierte schamlos: «Ich habe ihn 48 Stunden später wieder zurückgegeben.»

Von 2000 bis 2008 war Ziegler UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Er ­politisierte das honorige Amt und nutzte es für seine antiamerikanischen und antiisraelischen Obsessionen. Zum kürzlich verstorbenen Fidel Castro, dem greisen Caudillo-Diktator, der das einst vergleichsweise wohlhabende Kuba in eine tropische Gefängnisruine verwandelt hat, fiel ihm hingegen nichts Negatives ein. Ziegler, dessen literarische Karriere sich nicht zuletzt seinem exzessiven Einsatz von Schimpfwörtern verdankt, für den die Schweiz beispielsweise ein «korruptes Alpenalbanien» und dessen Banker und Politiker «Halunken», «Mörder», «Blutsauger» sind, mochte dem verehrten Insel-Tyrannen nichts vorwerfen: «Nein, das wäre arrogant.»

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