Basler Zeitung

18.11.2016

Eine Frage der Moral

Red Bull verleiht Flügel

Von Eugen Sorg

Nichts sprach dafür, dass aus dem armen Bauernjungen aus Baan Khao Chang, einem kleinen Flecken irgendwo in Thailand, dereinst einer der reichsten Männer Südostasiens werden sollte. 1923 auf die Welt gekommen als drittes von fünf Kindern chinesischer Eltern, verliess Chaleo ­Yoovidhya mit zehn Jahren bereits wieder die Schule, um zu Hause anzupacken. Mit besonderer Freude soll er auf dem lokalen Markt gearbeitet haben, wo er Enten und Früchte aus der eigenen Hofproduktion anpries und verkaufte. Später ­heiratete er eine Frau aus dem Dorf und gründete mit dreissig eine Firma, die pharmazeutische ­Produkte vertrieb. Da seine Familie stetig wuchs (er sollte schliesslich stolzer Vater von elf Kindern werden) und er für deren Versorgung verantwortlich war, sann er immer wieder nach zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten.

Er arbeitete zwischendurch auch als Busfahrer, lernte dabei viel über sein Land und die ­Menschen und bemerkte unter anderem, dass Lastwagenfahrer und Schichtarbeiter verschiedene Tonic-Getränke konsumierten, um länger wach zu bleiben. Er begann, an einem eigenen Energy Drink herumzustudieren und zu tüfteln, und erfand schliesslich ein Gebräu aus Wasser, Zucker, Koffein und Taurin, das er Krating Daeng (Roter Bulle) nannte. Über seine Pharma-Firma lancierte Chaleo 1975 den neuen Wachmacher, der wegen des billigen Preises und des ­intelligenten und gezielten Marketings erfolgreich unter die Fernfahrer, Nachtarbeiter, Büezer in den Provinzen gebracht werden konnte. Energie für die Armen.

Chaleo war jetzt fünfzig Jahre alt und er konnte mit Genugtuung auf den weiten Weg zurückschauen, den er zurückgelegt hatte. Vom Bauernbub ohne Schuhe hatte er sich aus eigener Kraft zum national operierenden Geschäftsmann und Erfinder geformt. Aber der bescheiden lebende Frühaufsteher lehnte sich nicht zurück. Wie jeder Entrepreneur lebt er nur, wenn er tätig ist. Die Welt ist das, was er aus ihr macht. Stillstand und Musse sind wie der Tod. Und als sich 1982 der Österreicher Dietrich Mateschitz an ihn wandte, muss Chaleo sofort gespürt haben, dass er es mit einer verwandten Seele zu tun hatte, mit jemandem, der seinem Unternehmen nochmals einen gewaltigen Energieschub verleihen könnte.

Der zwanzig Jahre jüngere Mateschitz hatte in Wien die Hochschule für Welthandel absolviert und war danach als Marketingspezialist unterwegs, zuletzt für die Zahnpastafirma Blendax. Bei einem Aufenthalt in Bangkok geriet ihm eine Dose Krating Daeng in die Hände, als er ein Mittel gegen den Jetlag suchte. Nach einigen Schlücken kam ihm der Geistesblitz, dass dieses obskure Thai-Elixier bei geeigneter Präsentation eine grosse Zukunft im Westen haben könnte. Er stöberte den öffentlichkeitsscheuen Chaleo auf, der immer noch in seinem Dorf im Norden des Landes lebte, und zwei Jahre später gründeten sie zusammen die Red Bull GmbH. Die Familie des Thailänders sicherte sich 51 Prozent, der Österreicher 49 Prozent der Anteile. Mateschitz hatte ein umfassendes und globales Verkaufskonzept ausgearbeitet. Der Name Red Bull wurde beibehalten, die Dose erhielt eine schlanke und hohe Form im charakteristischen Blau und Silber, der Geschmack wurde dem westlichen Gaumen angepasst und Zielgruppe war nicht mehr der malochende Thai-­Unterschichtler, sondern die alternative westliche Jugend- und Clubszene mit ihren verschiedenen Milieus, Stils und Risikosport-Vorlieben.

In einem österreichischen Wintersportort ging Red Bull 1987 auf den Markt. Knapp ­zwanzig Jahre später ist das Unternehmen mit einem Markenwert von über sechs Milliarden Dollar hinter Coca-Cola und Pepsi der drittwertvollste Getränkebrand weltweit. Verkauft in 170 Ländern erzielt es heute einen Umsatz von über sechs Milliarden Euro. Der koffeinhaltige Drink hat nicht nur seine Erfinder reich gemacht (Chaleo ist 2012 als Multimilliardär gestorben), er hat auch Tausende von Arbeitsplätzen auf mehreren Kontinenten geschaffen und das Leben von unzähligen Familien verbessert. Was ist das Geheimnis? Ein leidenschaftlicher Unternehmer trifft auf einen genialen Marketingmann, und beide nutzen die Möglichkeiten, die ein anarchischer kapitalistischer Markt jedem bietet, ­ungeachtet von Herkunft oder Stellung. Wirtschaftlicher Mehrwert und moralischer Mehrwert liegen sehr nahe zusammen.

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