Basler Zeitung

21.10.2016

Eine Frage der Moral

«Palast des Sexismus»

Von Eugen Sorg

Feministinnen haben es nicht leicht. Ihre Grund­überzeugung, die Frauen als Opfer patriarchaler Strukturen und männlichem Gorillagehabe sieht, erfährt keine Bestätigung in der Wirklichkeit. Der misogyne Skandal ist eine Mär. Zumindest in den westlichen Kulturen. Frauen steht heute jeder Beruf und jede Tätigkeit offen, sie sind Staatenlenkerinnen, Richterinnen, steuern Flugzeuge, suchen sich ihren Lebenspartner aus, bestimmen über ihre Sexualität. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist institutionell festgezimmert und kulturell akzeptiert. Noch nie in der Geschichte gab es Gesellschaften, in denen Frauen nur annähernd so frei und selbstbestimmt waren wie in der unsrigen.

Versuche, dies zu bestreiten, wirken zwangsläufig verkrampft, unglaubwürdig und seltsam weltfremd, wie dies die neulich von Gender­aktivistinnen lancierte Sexismus-Debatte unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei wieder zeigte. Als Beleg für den grassierenden Sexismus gegenüber dem weiblichen Geschlecht führte etwa die junge Nationalrätin Mattea Meyer Komplimente an, die sie von Ratskollegen erhalten habe. Zum Beispiel, dass sie «hübsch» sei und «charmant» oder dass sie «schöne Stiefel» trage. Wie die Sozial­demokratin all dieses Lob in eine Abwertung ihrer Persönlichkeit umdrehen konnte, bleibt ihr privatlogisches Geheimnis. Oder die aus dem Nationalrat abgewählte Grünenpolitikerin Aline Trede: Für sie ist das Bundeshaus gar «der Palast des Sexismus». Der Beweis? Der Berner Stadt­präsident Alexander Tschäppät habe ihr vor zwei Jahren die Hand aufs Knie gelegt. Wieso sie mit dieser Enthüllung zwei Jahre gewartet hatte, verriet sie nicht. Und auch nicht, warum sie die unerwünschte Hand nicht umgehend zurückbefördert hatte. Begleitet von einem deutlichen und lauten Kommentar. Der Sozi Tschäppät ist ein notorisch lustiger Vogel, der Krawatten liebt, die vorne rot sind und auf der Rückseite eine nackte Frau zeigen und der sich unter anderem damit gebrüstet hat, «den schnellsten Finger von Europa» zu haben. Ihn in die Schranken zu weisen, wäre einfach gewesen. Trede ist erwiesenermassen nicht schüchtern und sie hätte die Unterstützung aller Anwesenden gehabt. Aus der schlüpfrigen Hand eines stadtbekannten Festbruders einen Fall ­konstruieren zu wollen, der die ideologische These von der Gefährdung und Schutzbedürftigkeit der Spezies Frau durch patriarchale Dominanz unterlegen soll, ist dümmlich und unehrlich.

Wirklich angemessen aber wäre ein gewaltiger Aufschrei angesichts der Lage Tausender von Mädchen und Frauen im Nahen Osten. Nur wenige Flugstunden von hier, im 21. Jahrhundert, hat das Kalifat des Islamischen Staates (IS) die Sklaverei wieder eingeführt. Ein kürzlich von der Uno als echt anerkanntes Dokument des IS mit dem Titel «Im Namen von Allah, dem Allergütigsten und Barmherzigsten / Verkaufspreise der Kriegsbeute» enthält eine vom «Ausschuss des Schatzamtes» festgelegte und verbindliche Preisliste für «Frauen» und sonstige «Kriegsbeute». Am teuersten ist ein «Jesiden- oder Christenkind» ­zwischen «1 und 9 Jahren» für umgerechnet «169.21 Dollar». Eine «Jesiden- oder Christenfrau» zwischen «10 und 20» kostet «126.91 Dollar» und zwischen «40 und 50» schliesslich nur noch «42.30 Dollar». Der Erlass hält unter anderem fest, dass ein Käufer nur drei Stück der Ware erwerben darf, ausser er kommt aus der «Türkei, Syrien oder den Arabischen Emiraten».

Wie es auf den neuen Menschenmärkten des islamischen Kalifats zu- und hergeht, wo um die Sexsklavinnen gefeilscht wird, konnte man auf Videos sehen, die schon vor zwei Jahren im Umlauf waren und zum Beispiel vom linken englischen Independent (3. 11. 2014) gezeigt wurden. Man hört dort Männer diskutieren, die ein Mädchen mit «blauen Augen» oder «eine 15-Jährige mit grünen Augen» kaufen wollen oder die bereit wären, eine «Glock» (österreichische Qualitäts­pistole) gegen eine Sexsklavin einzutauschen.

Es geht nicht darum, die einen sexuellen ­Übergriffe abzutun, weil andernorts noch ­unendlich schrecklichere stattfinden. Aber es lohnt sich, ab und zu über den eigenen Bauch­nabel hinauszublinzeln. Es hilft, die Welt etwas besser beurteilen zu können, macht demütiger und gescheiter und bewahrt einen vielleicht vor Peinlichkeiten wie derjenigen, archaisch-religiöse Männerpraktiken nicht weit entfernt von hier zu übersehen und stattdessen im Bundeshaus den «Palast des ­Sexismus» zu erblicken.

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