Basler Zeitung

23.09.2016

Eine Frage der Moral

«Ich bin Gott»

Von Eugen Sorg

Am 20. April vor 17 Jahren erschossen die beiden Schüler Eric Harris (18) und Dylan Klebold (17) an der Columbine Highschool in ­Littleton, Colorado, zwölf ihrer Mitschüler und einen Lehrer und richteten sich anschliessend selbst. Die Nachricht vom bis anhin blutigsten Amoklauf an einer amerikanischen Highschool ging um die Welt. Erschreckend waren die Kälte und sadistische Erbarmungslosigkeit, mit denen die jugendlichen Killer vorgegangen waren. Während einer Stunde streiften sie durch die Schule auf der Suche nach Opfern, zielten auf Fliehende oder exekutierten Jugendliche, die sich unter Tischen versteckt ­hatten. Wie jene Schülerin, die von Eric Harris gefragt wurde, ob sie heute sterben wolle, und, als sie ihn anflehte, sie leben zu lassen, von ihm verspottet wurde, bevor er ihr in den Kopf schoss. Sogar den Selbstmord vollzogen sie kaltblütig. Harris hielt sich eine Schrotflinte in den Mund, Klebold einen Revolver an die Schläfe. Sie zählten bis drei, dann drückten sie ab.

Die beiden Freunde hatten die Tat seit einem Jahr minutiös vorbereitet. Geplant war eigentlich ein noch viel blutigeres Massaker. Die beiden ­hatten zwei Propangasbomben in der Schulcafeteria deponiert. Nach deren Detonation würden die Überlebenden nach draussen rennen, wo Harris und Klebold mit ihren geladenen Gewehren ­warteten, um schliesslich in einem finalen Akt noch die in den Autos gelagerten Rohrbomben zur Zündung zu bringen und die mittlerweile anwesenden Sanitäter, Journalisten, Polizisten, ­Neugierigen zu zerfetzen. Es sollte ein apokalyptischer Urknall werden, ein Albtraum mit der «höchsten Totenzahl in der US-Geschichte», wie Klebold auf einem Video schwärmte. Als aber die Propangasbomben aufgrund eines technischen ­Fehlers nicht explodierten, besprachen sich die beiden Freunde kurz und machten sich auf zur persönlichen Menschenjagd im Schulgebäude.

Bis heute wird über die Motive der jugendlichen Massenmörder spekuliert. Sie seien an der Schule gemobbt worden und hätten sich für die Demütigungen gerächt, so eine der trivialen, ­psychologistischen Erklärungen. Die verheerende Wirkung von Computerspielen und Gewaltkino wurde angeführt und der einfache Zugang zu Waffen angeprangert. Und auch die Eltern wurden beschuldigt. Was müssen das für gefühlsarme Mütter und Väter sein, so der Vorwurf, die nicht merken, wenn sich ihre Kinder zu Killern entwickeln. All dies sind jedoch eher hilflose Versuche einer kulturellen Selbstbeschwichtigung als ernst zu nehmende Gedanken zu einem verstörenden Ausbruch des Bösen.

Mehr Einblick geben jene Dokumente, die von den Tätern selbst hinterlassen wurden: Tagebücher, Videos, Aufzeichnungen. Sie zeigen zwei hochintelligente, sprachmächtige Jugendliche, die ein perfektes Doppelleben führten. Eintrag 29. September 1998 von Eric Harris in seinen Schulkalender: «Rohrbombe ausprobieren. Problem mit Rauch lösen. 2. Bunker finden.» Am Tag darauf: «Donuts backen für Oktoberfest.» Eine Woche zuvor: ­«Shakespeare lesen.» Sie zeigen aber vor allem auch, wie sich die beiden systematisch auf den ­grossen Tag des Weltenendes vorbereiten, unaufhaltsam, zwei begabte Jugendliche, die irgendwann die falsche Abzweigung gewählt und sich bewusst der Versuchung der Allmacht und dem Faszinosum der totalen Entgrenzung hingegeben haben.

«Ich bin eine Waffe. Eine halb automatische 45er-Wildey. Ich bin Gott. Ich töte Menschen», schrieb Klebold. Und Harris, voller Vorfreude auf das Gottesgericht: «Wir werden ganz schwarz angezogen sein. Wir werden Messer und ­Schwerter haben und Waffen am ganzen Körper. Es wird sein wie die Unruhen in Los Angeles, Oklahoma City Bombing, der Zweite Weltkrieg, Vietnam und Doom zusammen. Ich möchte einen bleibenden Eindruck auf der Welt hinterlassen. Und wenn wir durch irgendeinen scheissverrückten Zufall überleben und fliehen können, dann werden wir ein Flugzeug entführen und es über New York City abstürzen lassen.»

Harris und Klebold wussten, was sie tun. Es war ihr rätselhafter, aber freier Entscheid. Die Mutter von Dylan Klebold, eine warmherzige und gescheite Frau, die ihren Sohn über alles liebte und sich seit 17 Jahren mit Schuldgefühlen martert, meinte neulich in einem Interview, Dylan habe nicht getötet, «weil er von uns so erzogen wurde. Er tat es, obwohl er von uns so erzogen wurde.» Dylan und sein Komplize würden ihr recht geben.

Nach oben scrollen