Basler Zeitung

26.08.2016

Eine Frage der Moral

Innerer Feind

Von Eugen Sorg

Der grösste Feind eines Mannes lauert in ihm selbst. Es ist sein Sexualtrieb, sein archaisches, ­hormonell befeuertes Verlangen nach Sex. Wie ein streunender Köter auf der ewigen Jagd nach einem Happen Fleisch treibt sich auch der rohe erotische Instinkt in Körper und Fantasien des Mannes herum, egoistisch, amoralisch, gierig. Wer nicht lernt, die Instinkte an die Leine zu nehmen, seine Impulse zu kontrollieren, ist nicht Herr im eigenen Haus. Er ist gefährdet, alles, was er vielleicht in ­langen Jahren für sich und die seinen aufgebaut hat, in wenigen Sekunden zu zerstören. ­Prominente Beispiele gibt es viele, eines der ­neueren ist der Fall von Anthony Weiner.

Der Politiker aus New York war ein aufgehender Star der demokratischen Partei. Mit 27 Jahren jüngster Stadtrat in New York wurde der ehrgeizige Schaffer ein paar Jahre später Kongressabgeordneter. 2010 heiratete er Huma Abedin, eine enge ­Vertraute von Hillary Clinton. Die Trauung war ein stark beachtetes gesellschaftliches Ereignis und wurde von Bill Clinton selbst vollzogen. In den Neuvermählten konnte sich die demokratische Elite selber feiern. Weiner ist der Sohn eines ­jüdischen Anwalts aus Brooklyn, die schöne und elegante Araberin Abedin stammt aus einem ­muslimischen Elternhaus und hatte die Kindheit in Saudi-Arabien verbracht. Das Paar war eine ­glamouröse Neuauflage des Camp-David-Friedensvertrags, ein Symbol für die Weltoffenheit und moralische Überlegenheit der urbanen Progressiven. Weiner hatte alles richtig gemacht, sein Weg nach oben schien unaufhaltsam.

Ein Jahr später passierte ihm ein Malheur. Er verschickte an eine College-Studentin von seinem amtlichen Twitter-Konto aus ein Foto. Es hätte eine private Nachricht sein sollen, stattdessen war das Bild für seine 56 000 Follower sichtbar. Es zeigte den Unterleib eines Mannes in Boxershorts, unter denen sich ein erigierter Penis abzeichnete. Der Unterleib gehörte zu Weiner.

Dieser versuchte sich in Schadensbegrenzung, leugnete und behauptete, er sei das Opfer von Hackern geworden, was seine Lage nur noch schlimmer machte. Mehr schlüpfrige Weiner-Fotos tauchten auf, Sex-Chat-Partnerinnen meldeten sich, und es wurde klar, dass der aufstrebende Abgeordnete lange ein virtuelles Sex-Doppelleben geführte hatte, auch nach der Heirat mit der ­anmutigen Huma. Er wurde zur Lachnummer. Sein Name half ihm dabei nicht wirklich. Weiner wird im Englischen «wiener» ausgesprochen, was Penis bedeutet. Im Netz freute man sich über die Wortspiele der Spötter: «Weiners Gurke», «Entblösster Weiner», «Fass meinen Weiner an» et cetera.

Der Politiker musste sich schliesslich entschuldigen und trat bald darauf als Abgeordneter zurück, erniedrigt und entehrt. Präsident Obama hatte ihn dazu aufgefordert.

Er verschwand aus der Öffentlichkeit, meldete sich aber 2013, nach zwei Jahren, wieder zurück. Er wolle für das Amt des Bürgermeisters von ­ New York kandidieren, verkündete er, und bat die ­Wählerschaft um eine zweite Chance. Zum ­Kampagnenauftakt posierte er zusammen mit Huma und ihrem Baby Jordan auf der Frontseite des Gesellschaftsmagazins People. «Ich fühle mich wie ein völlig neuer Mensch», zitierte ihn das Blatt mit grossen Lettern.

Die New Yorker schienen ihm zu vergeben, und er führte in den Umfragen, bis ein Beitrag auf dem Sex-Blog The Dirty publiziert wurde. Darin erzählte eine Pornodarstellerin namens Sydney Leathers von ihrer virtuellen Sex-Beziehung mit einem gewissen Carlos Danger, der ihr nebst ­dampfenden Texten auch Bilder seiner stolzen Männlichkeit gepostet hatte. Carlos Danger, verriet The Dirty, war Anthony Weiner.

Er bekam weniger als fünf Prozent Wählerstimmen und zog sich wieder in die Privatheit zurück. Und dann geschah, was man nicht erwartet hätte. Er wurde erneut beim Sexting erwischt. Ein junger Republikaner nahm online Kontakt mit Weiner auf, indem er sich als Frau ausgab, und jener lud die Konversation schnell mit sexuellen Anspielungen auf. Er sei «unheimlich stark», prahlte Weiner bald vor der vermeintlichen Frau, «wie ein Mungo».

Die New York Post brachte die Geschichte, und im Netz überboten sich die User mit Häme und Gelächter über den unbelehrbaren «Mungo». Der Mann hat seine Chancen gehabt, er hat sie alle verspielt. Er hat seine Impulse nicht im Griff. Ihm ist nicht zu helfen. Ein Rätsel bleibt, warum seine gedemütigte Frau immer noch an seiner Seite ist.

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