Basler Zeitung

29.07.2016

Eine Frage der Moral

Kriminell und kinderreich

Von Eugen Sorg

Vor Kurzem musste sich Tony Henderson, 53-jährig, vor einem Gericht im nordostenglischen Hull wegen Handels mit harten Drogen verantworten. Die Polizei hatte seine Wohnung durchsucht und in Kindereiern versteckte Briefchen mit Crack und Amphetamin, sechs Mobiltelefone, eine Elektrowaage und einige Hundert Pfund Sterling in bar gefunden und konfisziert. Henderson, 53 Vor­strafen, stritt ab, je Drogen verkauft zu haben. Das Crack gehöre seiner Freundin Jenny, eine 32-jährige Ex-Prostituierte und Drogensüchtige, der er helfe, von den Drogen loszukommen.

Die Auswertung der Handys zeigte unmissverständlich, dass er eine zentrale Rolle im illegalen Drogengeschäft der Region spielte. In einer der Nachrichten hatte er geprahlt: «Sie verkaufen kein Crack mehr in Hull – die Leute kommen zu mir.» Er lebte in der Kleinstadt Withernsea, eine Busstunde entfernt von Hull.

Völlig ungerührt spielte er weiter den Unschuldigen. Nur zwei der sechs Handys gehörten ihm und eines seiner Freundin Jenny, behauptete er. Andere Leute, Besucher müssten die Nachrichten in seiner Abwesenheit verschickt haben, er sei oft ausser Haus, um sich um seinen kranken Vater zu kümmern. Es kam auch zur Sprache, dass er Sozial­hilfe bezieht. Er leide unter Blackouts und epilep­tischen Anfällen, versicherte er, sei arbeitsunfähig, und nur schon einen Rasenmäher zu schieben, sei für ihn eine Überforderung. Trotzdem helfe er in der Nachbarschaft für ein Sandwich und eine Tasse Kaffee gelegentlich bei leichteren Garten­arbeiten aus, und dabei würde ihm auch mal eine Fünf-Pfund-Note aufgenötigt. Wirkliche Einkünfte seien dies ja nicht, weshalb er sie beim Sozialamt nicht deklariert habe. Er sei also ein «barmherziger Samariter», meinte der Richter, was Henderson mit ernster Miene bestätigte, «ja, das bin ich», als habe er den Sarkasmus in dessen Stimme nicht gehört.

Am Ende der Verhandlung wandte sich der Richter an den Angeklagten: «Sie sind ein scham­loser Lügner. Sie haben gelogen und gelogen und gelogen, Ihre Unehrlichkeit war atemberaubend. Aber das Gericht verurteilt Sie nicht wegen Ihrer Unehrlichkeit, sondern wegen Handels im grossen Stil mit Heroin, Crack und Amphetamin.» Nachdem der Richter das Urteil verkündet hatte, zwölf Jahre Gefängnis, fragte er Henderson, wie viele Kinder er habe, die er nun anrufen müsse, um sich zu verabschieden. «27», antwortete dieser. «Sie haben 27 Mobiltelefone?», fragte der Richter ungläubig zurück. «Nein, Euer Ehren, ich habe 27 Kinder.»

Der Fall des berufskriminellen Sozialhilfeschwindlers Henderson, unverfroren, hemmungslos, kinderreich, bewegte für ein paar Tage die Gemüter. Schnell hatte die Tabloid-Presse ehemalige Frauen und Freundinnen ausfindig gemacht. «Noch nie hat er etwas für die Kinder bezahlt», meinte eine. «Er hat keinen Kontakt zu seinen Kindern», erzählte eine andere. «Er hat ein geschliffenes Mundwerk, nur so lässt sich die enorme Zahl Mädchen erklären, die er rumkriegte», so eine dritte. Kollegen berichteten von Hunderten Ex-Partnerinnen Hendersons, «bevorzugt junge». Auch Tony Hendersons Vater Reg, ein pensionierter Schleppnetzfischer, der sich die Namen seiner vielen Enkelkinder längst nicht mehr merken kann, gab Auskunft. «Tony war immer ein ‹ladies’ man›», erklärte er, «die Frauen fliegen ihm zu.» «Er hält nichts von Verhütung», fuhr er fort, um mit dem unsentimentalen Pragmatismus der einfachen Leute zu folgern: «Er hätte unterbunden werden sollen, als er noch ein Junge war.»

Henderson hat seine verdiente Strafe bekommen, zumindest für diejenigen Delikte, die man ihm nachweisen konnte. Ungesühnt bleiben die ausgebliebenen Unterhaltszahlungen, welche via Sozialamt hauptsächlich von den Steuerzahlern übernommen werden müssen. Und ungesühnt bleiben jene Verletzungen, die er seinen Kindern zufügte, indem er sie in die Welt setzte und sich dann als Vater davonmachte.

Und was ist mit den Frauen? Sogar das dümmste Geschöpf versteht, dass ein notorischer Krimineller wie Henderson mit einem epischen Vorstrafenregister kein geeigneter Partner für eine Familiengründung ist. Selbst wenn er von Hallodri-Charme strotzt. Sich von ihm ­schwängern zu lassen und auf die Fürsorge des Staates zu bauen, ist egoistisch und verantwortungslos gegenüber dem werdenden Kind. Auf den Besucherrängen des Gerichts sass übrigens Jenny, Hendersons aktuelle Freundin, schwanger mit dessen 28. Spross.

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