Basler Zeitung

25.10.2016

Randnotiz

Kind mit Bart

Von Eugen Sorg

Wieder einmal versuchen die französischen Behörden den «Dschungel», die berüchtigte Hütten- und Zeltsiedlung in Calais am Ärmelkanal, zu schliessen. Seit Jahren hausen im von Gesetzlosigkeit, Gewalt und Schmutz geprägten Dschungel Tausende von Migranten. Sie kommen aus Afrika, dem Nahen Osten, Afghanistan und sie alle wollen um jeden Preis nach England weiterreisen. Sei es, weil sie dort Verwandte haben, weil sie sich mehr Sozialhilfe oder bessere Jobchancen versprechen als in Italien oder Frankreich oder aus noch banaleren Gründen, wie ein Sudanese einem Reporter erklärte: «France is not good. I cannot speak French.»

Daher wehren sich viele handfest gegen die Räumung und gegen die angebliche Zumutung, in behördlich kontrollierten Zentren im Lande untergebracht zu werden, um dort einen ordentlichen Asylantrag zu stellen. Unterstützt werden sie dabei von linksextremen jungen Aktivisten aus England, die der Auffassung sind, nicht schwarz einreisende Migranten, sondern Staatsgrenzen seien illegal.

Die englische Regierung hat angeboten, aus humanitären Gründen «unbegleitete Minderjährige» aus dem Dschungel aufzunehmen. Letzte Woche kamen die ersten von ihnen in England an. Unter den «Kindern» befanden sich solche mit kräftigem Bartwuchs und muskulösem Körperbau, militärfähige Erwachsene in den 20ern und 30ern, wie die Bilder in der Boulevard-Presse zweifelsfrei zeigten. Die Migranten hatten gelogen und die Sozialarbeiter in den Immigrationsbüros beide Augen zugedrückt. Aufsehen und Unmut erregte soeben auch ein Bericht in der Sun. Eine gutherzige Familie mit drei eigenen Kindern zwischen 12 und 14 hatte den afghanischen Jungen Jamal in ihre Familie aufgenommen, ein 12-jähriges Waisenkind, wie der Sozialarbeiter versicherte. Der anfänglich bescheidene und höfliche Jamal erwies sich als 21-jähriger, waffengeübter Jungmann, der Taliban-Propaganda und Kinderpornografie auf seinem Handy gespeichert hatte und wegen Körperverletzung verhaftet wurde.

Mitleid und Hilfsbereitschaft gehören zu den wertvollsten menschlichen Impulsen. Wer ihren Missbrauch aus politischen oder ideologischen Gründen zulässt, treibt ein gefährliches Spiel. Er gefährdet den immer prekären inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Nach oben scrollen