Basler Zeitung

01.04.2014

«Musst du direkt im Herz schauen»

Autorin Güzin Kar über ihren Seelenverwandten und das gemeinsame Buch «Hüsnü hilf!»

Von Eugen Sorg und Daniel Szpilman

BaZ:

Frau Kar, Sie haben zusammen mit Hüsnü Haydaroglu, BaZ-Ratgeber-Kolumnist und Callcenter-Mitarbeiter, ein Buch geschrieben. Wie kamen Sie dazu?

Güzin Kar:

Hüsnü hatte ein Angebot vom Verlag bekommen, ein Buch zu schreiben, und es aber abgelehnt. Als er mir davon erzählte, überredete ich ihn doch noch dazu, weil viele Menschen doch froh sein würden, sein Buch zu lesen. Wir schrieben es dann zusammen.

Wieso hatte er zuerst abgelehnt? War es ihm zu intim?

Er will nicht berühmt werden. Für ihn ist es fast schon zu intim, dass ein Foto von ihm in der BaZ drin ist.

Es ist aber kein schlechtes Foto.

Er wird auf der Strasse erkannt, und das gefällt ihm nicht. Hüsnü hat eine generelle Abneigung gegen alles, was den Einzelnen von den anderen abhebt. Für ihn sind alle Menschen gleich.

Ist er eine Art Kommunist?

Ganz und gar nicht. Seine Haltung ist keine politische, eher eine spirituelle. Er ist ein moderner Mystiker.

Ein Sufi?

Ein moderner Sufi, der jeglichen ­Klerus und jegliche Hierarchie ablehnt. Hüsnü glaubt daran, dass jeder Mensch aus sich selber heraus zu Erleuchtung und Weisheit gelangen kann. Er sieht sich selber dabei nur als Wegweiser.

Sind Sie nun eine Art Ghostwriterin von Hüsnü oder nicht?

Ich bin keine Ghostwriterin, sondern eine Chronistin. Irgendwann schaffte ich es, Hüsnü zum Reden zu bewegen, und schrieb auf, was er mir erzählte. So entstand das Buch.

Was hat er für Qualitäten? Was für Eigenschaften sind Ihnen besonders aufgefallen?

Zum Beispiel seine Höflichkeit und sein tiefer Respekt, besonders gegenüber Frauen. Er kommt einem auch körperlich nie zu nahe und gab mir bei unserer ersten Begegnung nicht einmal die Hand. Er bezeichnet sich als Feminist, natürlich nicht im poli­tischen Sinne, aber seiner Meinung nach werden Frauen oft benachteiligt, weshalb man Gegensteuer geben muss.

Hüsnü wuchs zu Hause mit sieben Schwestern auf, richtig?

Ja, sie unterdrückten ihn. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Trauma?

Gewissermassen sein spätes Trauma, ja (lacht).

In seinen Ratschlägen findet sich immer eine Lebensweisheit. Wo lernt man das? Hüsnü ging nicht lange in die Schule.

Doch, er ging aufs Gymnasium.

Wo?

In der Türkei. Was aber nichts heisst, da Schuldbildung ja nicht gleich Bildung ist. Er ging nicht studieren, hielt sich mit diversen Jobs über Wasser, bis er irgendwann in die Schweiz kam.

Wieso in die Schweiz?

Weil irgendein zwielichtiger Typ aus Köln das ganze Familiengeld an sich genommen hatte und damit verschwunden war. Als einziger Junge der Familie sollte Hüsnü das Geld zurückholen. Auf dem Weg nach Köln blieb er in Basel hängen. Das Geld ist bis heute nicht wieder aufgetaucht, dafür lebt Hüsnü jetzt hier.

Und später fing er an mit der BaZ-Kolumne. Darauf gab es zum Teil heftige Reaktionen. An was lag das? Bestimmt nicht nur an seinem nicht ganz perfekten Deutsch.

Doch, ich glaube, es liegt sehr wohl an der Sprache, die Hüsnü ja «Tiefdeutsch» nennt. Es gibt zwar viele ­Unterhalter, die auf einer Bühne stehen und «Kanaken-Deutsch» reden, aber dass einer komplett falsches Deutsch in einer Zeitung schreibt, ist neu. Die letzte Domäne des Bildungsbürgertums ist die Schrift. Dadurch grenzt es sich vom «Pöbel» ab, wenn man so will. Hüsnüs «Tiefdeutsch» ist daher ein Affront. Und dann ist er auch noch Ratgeber. Einer, der nicht die geringste Ahnung hat von unserer Kultur und unserer Sprache, berät uns. Super!

Und so einer sitzt jetzt mitten im Salon.

Ja. Deswegen verstehe ich die Reaktionen. Stünde er auf der Bühne, ­wären diese nicht so heftig ausge­fallen.

Sind die Schweizer besonders sensibel? Neulich gab es eine Welle von Rassismusklagen, wie jene gegen Birgit Stein­egger und ihren Oprah-Winfrey-­Sketch. Sie hatte sich ihr Gesicht schwarz angemalt und machte Oprah Winfrey nach. Eine solche Klage könnte man ebenso bei Hüsnü erwarten.

Hüsnü ist nicht angemalt oder verkleidet. Er sieht halt einfach so aus.

Viele denken, seine Figur sei das abwertende Klischee eines türkischen Mannes, eine Art anatolischer Harry Hasler.

Menschen sehen nun mal unterschiedlich aus und Hüsnü eben noch etwas unterschiedlicher.

Anlässlich der Buch-Premiere wird es Lesungen geben. Kommt Hüsnü auch?

Er will, wie gesagt, nicht berühmt werden, er kommt aber und wird seinen Auftritt haben.

Wird man ihn erkennen können?

Ich bestehe darauf. Ich habe das Buch schliesslich zusammen mit ihm geschrieben. Ich fasste im Grunde nur zusammen, was er diktierte. Des­wegen finde ich es blöd, dass ich jetzt als die alleinige Autorin hingestellt werde. Das ist unser gemeinsames Werk.

Sind Hüsnü und Sie seelenverwandt? Wenn man Sie und Ihre Werke kennt, weiss man, dass Sie mit Ihren Figuren gerne gnadenlos sind. Man muss lachen, aber es ist keine Schadenfreude, keine Häme, sondern eher ein existenzielles Lachen, in dem man auch selbst vorkommt. Und Hüsnüs Beratungs­philosophie erscheint mir ähnlich. Wenn eine Frau zu Hüsnü kommt und klagt, sie sei hässlich, tröstet Hüsnü nicht, das stimme nicht. Er sagt viel eher: Ja, aber mach was draus.

Man kann sagen, dass Hüsnü Comedy auf einer anderen, einer schriftlichen Ebene macht. Er selber wäre irritiert oder gar beleidigt ob dieser Einschätzung, da er seine Texte sehr ernst nimmt. Aber das Ganze hat von ­aussen betrachtet eine stark komö­diantische Note. Und Komödien ­leben ­davon, dass sie in menschliche Abgründe blicken.

Wenn man denkt, jetzt ist der Tiefpunkt erreicht, wird es nochmals schlimmer.

Die Erbarmungslosigkeit ist wichtig, funktioniert aber nur dann, wenn der Leser oder Zuschauer sich nicht von der Figur abkoppelt. Es muss Identifikationsmomente geben, das gilt übrigens auch fürs Schreiben. Jede Figur, die ich entwerfe, steht für eine Seite in mir, auch wenn das nicht im autobiografischen Sinn gemeint ist.

Reagieren die Leute auch abgeschreckt auf Ihre Figuren?

Unterschiedlich. Der Grundtenor ist schon der, dass die Leute sich darüber freuen, dass man gleichzeitig belustigt und berührt sein kann angesichts der menschlichen Schwächen. Das ist natürlich ein grosses Kompliment an meine Arbeit.

Das war eine kleine humor-theoretische Vorlesung. Wie würde Hüsnü das formulieren?

Hüsnü würde wahrscheinlich sagen: «Wenn eine Mensch fragt etwas, musst du ehrlich antworten. Nicht schön machen und nicht gutreden. Musst du direkt im Herz schauen.» Ich glaube, er hat recht.

Sie waren Kolumnistin bei der «Welt­woche», Ihre «Gender Studies» wurden zur Kultkolumne. Sie schrieben erfolgreiche Drehbücher und arbeiteten an Film-Kassenschlagern mit. Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass die Leute lachen, wenn Sie etwas erzählen?

Ich hatte wohl immer einen Hang dazu, Dinge so zu erzählen, dass sie lustig wirken. Bevor ich jetzt wieder humor-theoretisch ­werde, sag ich lieber das: Das erste Mal merkte ich es wahrscheinlich, als ich mit fünf ­Jahren in die Schweiz kam und kein Wort Deutsch verstand. Ich dachte, dass man irgendetwas tun müsste, um dazuzugehören.

Und was taten Sie?

Ich fing an, meinen Mitmenschen nachzuplappern. Egal was sie sagten, ich sprach es nach. Es ist natürlich bescheuert, wenn ein kleines Mädchen dasitzt und alles nachplappert. Aber irgendwie kam es gut an.

Und die Menschen fanden das herzig, hatten Freude daran?

Anfangs waren die Leute genervt, fanden es daneben, und später fanden sie es komisch und lachten. Wie ein Echo sprach ich alles nach.

Ein Türken-Dialekt-Echo?

Das war im Fricktal im Aargau. Und alle sprachen Hochdeutsch, weil wir in einer Siedlung lebten, in der es praktisch nur Ausländerkinder gab.

Und da sprachen Sie Hochdeutsch untereinander?

Ja. Wir waren alles Kinder der ausländischen Angestellten des Spitals, in dem unsere Eltern arbeiteten.

Wie lernten Sie Hochdeutsch?

Wir lernten es von den vier deutschen Kindern, die in der Siedlung ­lebten. Das war unsere erste Sprache. Ich war später sehr froh darüber, ­­da ich problemlos zwischen Hochdeutsch und Dialekt switchen konnte. Sogar die Schweizer Kinder, die in unsere Siedlung kamen, um mit uns zu spielen, fingen an, Hochdeutsch zu reden.

Nachher kamen die Pointen hinzu. Ihr Hirn ist ein «Pointen-Feuerwerk». Aber das kann auch schiefgehen. Manchmal erstarrt das Gegenüber bei Humor, und dann weiss man, dass eine Nuance danebengegangen ist.

Ja, in der direkten Konfrontation ist es etwas anderes als in Filmen, ­Büchern und Texten. Wenn man das Publikum unmittelbar vor sich hat, kann man darauf reagieren. Ein Film oder eine Kolumne hingegen sind abgeschlossene Dinge und gehen ihren Weg ohne die eigene Präsenz. Man darf aber beim Schreiben oder Filmen nie ans Publikum denken und sich fragen, ob das wohl ­jemandem in den falschen Hals geraten könnte. Das passiert eh jedes Mal.

Zurück zu den Rassismus-Anzeigen. Ein sensibler Lyriker erstattete Anzeige. Was meint Hüsnü dazu?

Hüsnü würde sicher gerne mal mit Birgit Steinegger etwas trinken gehen und sagen: «Im persönlichen Gespräch man muss reden mit die ­Frauen.» Er würde mit ihr über ­Humor reden und sie fragen, ob sie es wirklich lustig findet, was sie da gemacht hat. Vielleicht würde er sie auch eher aufbauen und ihr Mut ­machen.

Man bekommt den Eindruck, dass es in der Schweiz ein empfindliches Kultur­milieu gibt, das sofort aufheult, wenn es etwas Rassistisches entdeckt zu haben glaubt. Doch im End­effekt geht es doch darum, ob etwas lustig ist oder nicht. Steineggers Sketch war einfach schlecht und nicht lustig. Aber mit Rassismus hatte das doch nichts zu tun.

Doch ich finde schon. Oder zumindest kann man das doch mal diskutieren. Gabriel Vetter schrieb neulich, dass sonst jedes noch so unbedeutende kulturelle Werk ausgiebig kritisiert würde und nur der Humor davon ausgenommen sein wolle. Der Humor findet, dass er ganz grundsätzlich von inhaltlicher Kritik verschont bleiben müsse. Es ist aber wichtig, dass auch über den hiesigen Humor diskutiert wird. Was verlieren wir Komödianten, wenn wir uns auf ein Gespräch einlassen?

Es geht doch aber nur um die Frage, ob eine Pointe oder ein Sketch funktioniert und komisch ist.

Ich muss nur Sie zitieren. Sie sagen selber, dass ich meine Figuren nicht schone und sie in peinliche Situationen bringe, sie aber nicht vorführe. Das ist der Punkt. Man sollte über ­guten und schlechten Humor reden, und zwar jenseits der Frage, ob die Pointe sitzt oder nicht. Es geht auch um Menschenbilder, die wir vermitteln. Angenommen, ich habe Behinderte beleidigt, dann will ich erst recht mit Behinderten an einen Tisch sitzen und mir anhören, was sie zu sagen haben.

Sind sich einige Humoristen zu gut, um zu diskutieren?

Sie sind zu schlecht, glaube ich. Ich kann nicht in Köpfe hineinschauen, aber man sollte doch offen durch die Welt gehen und der Kritik nicht ausweichen. Ich meine echte Kritik und nicht blosse Nörgelei oder Besserwisserei. Es ist ein schlimmer Moment, wenn man merkt, dass man nicht gut genug für etwas ist. Aber dieser Punkt, an dem jemand einen darauf aufmerksam macht, ist von unschätzbarem Wert. Kritik nervt im Moment selber sehr, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass sie ein Geschenk ist. So auch die Ratschläge von Hüsnü.

Güzin Kar:

Hüsnü hilf! – Sofortglück für alle». Kein & Aber 2014, 192 Seiten, ca. Fr. 25 .–.

Lesung/Buch-Vernissage:

Unternehmen Mitte, Basel. Mi, 2. 4., 19.30 Uhr. Eintritt frei, Platzreservation empfohlen (061 264 26 55), Gratistickets im Vorverkauf bei Thalia.

Die Ratgeber-Kolumnen

von Hüsnü ­Haydaroglu erscheinen jeden zweiten Freitag in der BaZ.

Drehbücher, Filmregie und Kolumnen

Erfolgreich. Güzin Kar wurde 1971 in Iskenderun, Türkei geboren. Im Alter von fünf Jahren kam sie mit ihren Eltern in die Schweiz, später besuchte sie die Filmakademie Baden-Würtemberg. Zu den bislang grössten Erfolgen der Autorin zählen das Drehbuch zum deutschen Spielfilm «Die Wilden ­Hühner», die Kolumne «Gender Studies», sowie ihre Bücher «Ich dich auch» (2008) und «Leben in Hormonie» (2010). Heute lebt Kar in Zürich.

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