Die Weltwoche / Eugen Sorg

21.12.2006

Nadja

«Mami war streng, du eher lieb»

Was geht im Kopf einer 16-Jährigen vor? Was sind ihre Wünsche, was ihre schlimmsten Befürchtungen? Wie sieht sie ihre Eltern? Ein Gespräch über Gott und die Welt zwischen Vater und Tochter.

Nadja, was war für dich das wichtigste Ereignis in diesem Jahr?

Dass ich die Schule beendet und zu arbeiten begonnen habe.

Jetzt ist ein völlig anderes Leben. Hast du dir das so vorgestellt?

Als ich mit der KV-Lehre bei der Publicitas anfing, war es schon ziemlich abrupt. Ich dachte immer, die nächste Woche gehst du wieder in die Schule, und alles ist wieder gut. Erst seit ein, zwei Monaten realisiere ich: Jetzt gehst du tagaus, tagein in die Lehre, es ist fertig lustig.

Was ist jetzt anders?

In der Schule hatte ich viel weniger Stunden und viel mehr Freizeit. Jetzt muss ich morgens um sieben los, habe zwei Tage pro Woche Schule und in diesen zwei Tagen so viel Stoff wie früher in einer ganzen Woche. Und unter der Woche mag ich nicht mehr lernen, das heisst, es ist nun normal, dass ich am Samstagmorgen und am Sonntag lerne.

Wie viele haben eine Lehrstelle gefunden?

Wir waren am Schluss eine kleine Klasse von fünfzehn. Drei oder vier haben nichts gefunden und machen jetzt ein zehntes Schuljahr.

Wieso haben sie nichts gefunden? Sind sie ein wenig selber schuld, oder haben sie den falschen Namen, oder waren sie in der Schule nicht so gut?

Ich glaube, bei uns waren’s welche, die nicht so viel Unterstützung bekommen haben.

Ausländerkinder?

Nur zum Teil. Aber man könnte es trotzdem schaffen. Du und Mami habt mir zwar geholfen, aber im Endeffekt habe ich ja den Steckbrief geschrieben. Ich habe die Briefe geschickt und mich überall beworben. Meine Freundin Zara begann früh, eine Bewerbung nach der anderen zu schreiben, und ich war deswegen irgendwann schockiert und dachte, jetzt muss ich ebenfalls loslegen. Ich musste es tun, weil ich mit jeder Woche ein schlechteres Gewissen bekam. Wenn du aber mit Leuten zusammen bist, die nicht so denken, dann kommst du auch nie in diese Paniksituation, dass du meinst, du bist die Einzige, die sich noch nicht beworben hat. Wie zum Beispiel Sofia, die mit Kollegen verkehrte, die nicht gerade schulorientiert waren. Sie hatte auch viel den Unterricht geschwänzt und lebte nach dem Motto «Schauen wir mal, was passiert, vielleicht ergibt sich etwas», und als sie realisierte, dass sie etwas unternehmen sollte, war es sehr spät, und sie dachte, jetzt hat es es keinen Sinn mehr. Enver hatte zwar Bewerbungen geschrieben, fand aber auch keine Stelle. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, hätte er Meier geheissen, aber er hatte nicht das beste Zeugnis. Zwei Mädchen in der Klasse über mir waren ebenfalls albanisch, doch sie haben gute Lehrstellen bei der Bank gefunden. Sie hatten gute Noten. Ich verstehe ein Unternehmen, wenn es die Leute mit den guten Noten nimmt. Ein Geschäft ist ja nicht wie die Heilsarmee, oder?

Was hast du für berufliche Pläne für die Zeit nach der KV-Lehre?

Momentan sieht es so aus: Ich mache ja die Berufsmittelschule, die BMS, und will danach die Matura nachholen. Es lohnt sich, wenn man die richtige Matura hat.

Worauf freust du dich?

Reisen könnte ich mir vorstellen. Ich verdiene jetzt etwas Geld, und vielleicht gehe ich mit Zara über das Neujahr nach Mailand. Oder mit Floria nach Paris, sie hat mir Bilder gezeigt, es ist extrem schön. Und meine Tante Sabine lud mich nach New York ein, früher hätte ich immer ein wenig Angst gehabt und habe auch heute noch ein wenig. Aber New York, das ist riesig, man kennt es aus all den Filmen und Serien, ich möchte es schon einmal sehen. Ein Jahr wäre zu viel, da bin ich noch zu jung und hätte Heimweh, aber einige Monate wären gut.

Was sollte dir nie passieren?

Dass ich jahrelang dieselbe monotone Arbeit machen, mich nicht mehr weiterbilden, nur noch meine Fingernägel anmalen und von meinem Freund reden würde und mich damit zufriedengäbe. Wenn es so weit käme, müsstest du mich durchschütteln.

Abgesehen vom Beruflichen: Was wäre sonst noch schlimm?

Traurig wäre, wenn die alten Freundschaften aus der Schule mit Zara, Saskia, Meret auseinanderbrechen würden. Natürlich wäre auch ganz schlimm, wenn ihr sterben würdet, ich wüsste nicht, was machen, aber daran denke ich nicht, ihr seid ja noch jung und fit.

Und was war bisher das Schlimmste?

Als ihr, du und Mami, euch getrennt habt.

Habt ihr unter den Kolleginnen über die Gruppenvergewaltigung in Seebach geredet?

Minimal. Es ist ein ganz heikles Thema, und die Kolleginnen am KV kenne ich noch nicht so lange. Man hat oberflächlich darüber geredet, gesagt, es ist schlimm, aber sonst nicht viel mehr. Man möchte nicht eine falsche Meinung haben und dann das Gesicht verlieren.

Wieso ist es heikel?

Jeden Tag kursiert eine neue Meinung. Einmal sagt man, dieser ist schuld, dann sagt man wieder, das Mädchen ist selber schuld.

Was denkst du?

Sie ist sicher nicht selber schuld. Gut, das erste Mal ist sie freiwillig mitgegangen, und ich selber habe nicht das Gefühl, dass ich mitgehen würde. Aber es kann ja schon eine seltsame Situation geben, wenn dein Freund sagt, kommt mit, und du wirst irgendwie überrollt. Dass das Mädchen ein zweites Mal mitgegangen ist, verstehe ich nicht wirklich. Aber ich bin auch zu wenig informiert, um sagen zu können, so war es.

War das bisher völlig ausserhalb deiner Vorstellung, dass so etwas passieren kann?

Ich habe vorher noch nie über so etwas nachgedacht. Aber wenn ich so jemanden wie diesen Freund des Mädchens kennen würde, dann habe ich das Gefühl, dass ich merken würde, wer er ist. Ich glaube schon, dass es Menschen mit zwei Gesichtern gibt, aber ich glaube, ich würde das spüren. Ich hab irgendwie ein Gefühl für Menschen.

Kennst du Leute, die so wie die Burschen in Seebach sind?

Wir haben ja eben nicht so viel darüber geredet, aber zum Beispiel der Hakan und so und diese blöden Witze, die sie immer machten… Also ich glaube nicht, dass Hakan es machen würde, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er es cool findet, was die in Seebach taten. Aber dies tun ja auch nur Leute, die es wirklich nötig haben, die müssen ein gestörtes Verhältnis zu Frauen haben. Oder ist das ein abwegiger Gedanke? Hakan zum Beispiel ist nicht uncharmant, und er hat es nicht nötig, an einer Massenvergewaltigung teilzunehmen. Einer muss nicht intelligent sein, aber wenn er hübsch und ein wenig gewinnend und normal gestrickt ist, findet er doch eine Frau, die ihn lässig findet.

Die Seebach-Leute waren grösstenteils Albaner.

Ich weiss nicht, was alles stimmt, aber ich glaube schon, dass die ein anderes Frauenbild haben und anders darüber denken, was die Position der Frau ist. Aber das ist keine Erklärung für das, was sie in Seebach gemacht haben. Bei ihnen muss eine Frau ja jungfräulich in die Ehe gehen, das ist ein Widerspruch.

Was sind deine persönlichen Erfahrungen?

Mir ist aufgefallen, dass, wenn man Muslime, also Albaner oder Türken, kennenlernt und die fragen, woher man komme, und ich sage, ich sei Muslimin, sie dann sofort ein wenig anders sind.

Mehr Respekt?

Ja. Saskia ist Christin, und ich bin Muslimin, und sie haben mir gegenüber plötzlich mehr Respekt. Das finde ich krass.

Siehst du dich als richtige Muslimin?

Wenn ich an etwas glaube, dann an das. Lach nicht, du bist gemein.

Gut, das Grosi, die Mutter von Mami, ist sehr gläubig, und wenn du sie besuchst, betest du mit ihr.

Ich kann beten und ich tue beten. Und wenn ich etwas bin, dann am ehesten Muslimin. Ich kann zwar nicht sagen, ich bin Muslimin und stolz darauf, es zu sein. Aber wenn jemand einen blöden Muslim-Witz erzählt, dann sage ich ihm: «Hey, du bist ganz ein Lustiger.» Ich kann es nicht haben, wenn jemand solch blöde Witze macht.

Aber du feierst Weihnachten, gehst ins Schwimmbad, und du betest vor allem dem Grosi zuliebe.

Das ist auch Beten. Und ich sage nicht, dass ich streng muslimisch bin.

Aber strenger als die Mutter.

Ich weiss es nicht.

Du kennst sie ja.

Aber ich kann nicht in ihr Innerstes schauen. Mami regt sich über das ganze muslimische Getue auf und findet es heuchlerisch, oder nicht? Und ich finde es nicht nur blöd. Was man momentan vom Islam denkt, ist nicht sehr positiv. Aber er hat ja auch ein paar gute Aspekte, wie sie die Bibel auch hat, also man soll nicht lügen, und man soll die Eltern ehren. Obwohl der Koran wahrscheinlich schon lange eine Erneuerung brauchte.

Wie? Er ist von Gott diktiert.

Die Bibel ist aber auch kürzlich neu für die Frauen umgeschrieben worden. Gott ist dort jetzt scheint’s eine Frau, das hast du mir erzählt. Und so wie der Koran jetzt ist, ist er schon ein wenig veraltet.

Gott ist doch nie veraltet.

Du bist gegen mich. Doch, der Koran ist veraltet. Ich kenne den Koran zwar nur wenig. Ich habe ihn neulich mal angefangen zu lesen. War das langweilig. Das darf man jetzt nicht veröffentlichen. Aber ich quälte mich nur so durch.

Hat dich Grossmutter dazu angehalten?

Sie hat es mir immer wieder gesagt. Aber jetzt hatte ich aus eigenem Willen begonnen, Betonung auf eigenem. Mami wurde eben, wie sie sagt, geplagt mit dem Koran. Mir ging Grossmutter auch schon auf die Nerven, als sie verhindern wollte, dass ich in die Badi ging. Heute ist das Leben anders als früher, und man müsste den Glauben moderner machen und ihn anpassen. Es gäbe aber trotzdem ein paar Regeln, die ich nicht befolgen würde.

Welche?

Dass man sich bedecken soll, beispielsweise.

Und du hast auch einen Freund.

Ja, das ist auch nicht ganz erlaubt. Aber wichtig ist ja, und das tönt jetzt etwas blöd, wichtig ist, was man innen glaubt. Und ich finde es eigentlich eine gute Idee, wenn man denkt, es gibt noch etwas über uns. Wenn ich mir vorstelle, dass es nirgendwo etwas gibt ausser dem Weltall, dann finde ich dies etwas beängstigend. Findest du nicht? Hast du dich damit abgefunden?

Ich bin bis jetzt damit durchgekommen. Wenn es nichts Höheres gibt, dann bin ich für das, was ich tue, selber verantwortlich.

Wenn es einen Gott gibt, bist du ebenfalls selber verantwortlich. Ich finde es schon gut, dass es jemanden gibt, bei dem sich ein paar Leute fragen, ob er nun einverstanden ist mit dem, was sie machen, ob sie diese Bank ausrauben sollen oder nicht. Oder findest du das blöd?

Überhaupt nicht. Ich sage nur, dass ich keine solche Person habe, die ich anfrage, was ich tun darf, und trotzdem ist etwas in mir drin, das mir sagt, was schlecht ist und was gut.

Das bin ich.

Wahrscheinlich. Nochmals zu Seebach: Was müsste man mit den Jugendlichen machen, die dort dabei waren?

Selbst wenn das Mädchen sogenannt freiwillig mitgegangen ist, haben die etwas gemacht, das man nicht darf. Wer einen Schweizer Pass hat, wird hier bestraft, nach unseren Gesetzen. Er gehört ja zu diesem Land, und man kann ihn nicht wegschicken. Diejenigen, die nicht Schweizer sind, sollen wieder in ihr Land zurück. Wieso sollen wir Gerichtskosten, Gefängnis und Besserungsanstalt bezahlen? Oder was findest du? Sie sind Gast hier, und darum sollte ihr Land für die Strafe aufkommen.

Werdet ihr im Ausgang eher von Schweizern oder Ausländern angesprochen?

Eher von Ausländern.

Sind sie mutiger, selbstsicherer?

Eher, ja. Aber in unserer Klasse zum Beispiel mischten sich die Schweizer mit den Ausländern, und man konnte nicht mehr so genau unterscheiden. Aber die Schweizer sind schon eher schüchterner. In der Sek B hatte es jedoch mehr Ausländer als Schweizer, und dort war zum Beispiel Hakan der Held.

Wie ist es bei Schweizer und Ausländermädchen? Mit welchen bändelte Hakan zum Beispiel eher an?

Wenn du etwas von einem türkischen Mädchen aus einer muslimischen Familie willst und dein Kollege ist dessen grösserer Bruder, dann kannst du das vergessen. Er wacht über sie. Wobei sich die Mädchen eher der Umgebung hier anpassen. Sie haben ja kein Mackergehabe. Ein türkischer Junge beispielsweise ist Patriot und extrem stolz, dass er Türke ist. Egal ob er einen Schweizer Pass hat. Die Mädchen hingegen sind uns anderen Mädchen eher ähnlich.

Was möchtest du auf keinen Fall wie wir Eltern machen? Und was gleich?

Mami war jeweils ja eher streng, und du warst eher lieb. Oder nicht?

Du musst es wissen.

Dies ist eigentlich ein guter Mix. Ich finde, ich bin relativ gut herausgekommen. Komm, sag ja.

Das muss ich mir nochmals überlegen.

Sei nicht so gemein. Ich denke auch, dass ich mit meinem Kind einmal relativ streng sein muss. Vielleicht etwas weniger als Mami. Aber Strengsein bringt dem Kind mehr.

Inwiefern?

Dass es sich in der Gesellschaft zu benehmen weiss. Neulich hat eine Freundin von Mami über eine Mitarbeiterin gesagt, dass dieser der Grundanstand fehle. Es wäre schrecklich, wenn das jemand über meine Kinder sagen würde. Schlimmer noch, als wenn das jemand über mich sagen würde. Und ganz schlimm wäre es auch, wenn mein Kind ein Aussenseiter wäre.

Aber gibt es nichts, was du anders als wir machen willst? Das Allerschlimmste bei meinen Eltern fand ich beispielsweise, dass sie immer gestritten hatten. Die ganze Ehe ein zermürbender Krieg.

Dies fand ich eher bei den Eltern von Mami. Es hat mich immer etwas beelendet, wie sich Grosi und Grosspapi nicht verstehen. Ich bin aber auch nicht dafür, dass alle ihre Kinder, auch Mami, sagen, Grosi bete ständig nur. Das ist gemein. Ich finde, man sollte dies mehr wertschätzen. Sie betet ja für uns alle. Sie hat alle vier Kinder aufgezogen, und jetzt ist sie alleine in diesem grossen Haus, weit weg von ihrer Familie in Indien.

Sind Kleider für dich wichtig?

Ich will nicht wie Struwwelpeter aussehen. Aber Markenkleider? Es wäre schön, sie zu haben. Aber ich habe kein Geld, um mich überhaupt damit zu befassen.

Sind bei den Kolleginnen die Kleider wichtiger?

Der KV ist eine riesige Modeschau, es gibt ziemlich viele schöne Frauen. Aber wenn ich am Abend mit der Schule fertig bin, bin ich völlig kaputt. Nach elf Stunden tut dir alles weh. Wenn ich mit Riesenabsätzen und knappen Blusen über all die Treppen und Korridore laufen müsste, würde ich zusammenbrechen. Ich schaue schon genau darauf, was ich trage. Aber ich bin eher der schlichte Typ. Nicht aufdonnern oder grell anmalen. Jetzt sind zum Beispiel gerade dicke Ketten und auffällige Designs Mode. Dies entspricht mir nicht. Mir genügt es, wie ich bin.

Wenn du dir drei Wünsche erfüllen könntest, was würdest du wollen?

Wenn ich wirklich ehrlich bin, dann das: Immer, wenn meine Uhr 13.13 oder 14.14 anzeigt, wünsche ich mir etwas. Nämlich, dass ich die Matur schaffe.

Ziemlich egoistisch.

Ja.

Von wem hast du das? Sicher nicht von mir.

Bilde dir nichts ein. Natürlich wünsche ich mir wie jeder andere Mensch auch, dass es keinen Krieg gibt auf der Welt, niemand mehr krank oder hungrig ist. Oder soll ich sagen, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau? Aber ich liege nicht jeden Abend im Bett und denke an so etwas. Wäre ich Gott, wäre alles anders. Aber ich bin realistisch und wünsche mir nur das, was möglich ist.

Du bist also realistisch und egoistisch.

Ich bin kein Egoist, du weisst das genau, ich bin hilfsbereit.

Wie oft siehst du Niccolo, deinen Freund?

Immer am Dienstag, dann vielleicht am Donnerstag und einmal am Wochenende. Das tönt schlimm, ist aber praktisch. Er muss ebenfalls viel lernen.

Wie wichtig ist dir ein Freund?

Zuerst muss ich sagen, dass ich nie einen gesucht habe. Ich wurde jeweils eher überrumpelt. Niccolo ist mir wichtig, aber meine Freundinnen sind es auch. Es sollte nicht so sein, dass man sich zu fest an jemanden hängt und alles andere dabei vergisst. Besonders schlimm finde ich Frauen, die ständig und überall von ihrem Freund reden.

Wie hast du Niccolo kennengelernt?

Er war eine Klasse über mir und hat mich, wie er später zugab, immer hübsch gefunden. Was ich ja auch bin.

Schön, dass du so bescheiden bist. Hat er dir auch gefallen?

Ich muss gestehen, er ist mir nie aufgefallen. Wobei er in einer höheren Klasse war, und die dürfen die Kleinen anschauen. Ich dagegen war in der ersten Klasse, und da achtet man nicht so auf die Grossen, sondern hat eher ein wenig Angst vor ihnen. Das erste Mal gesprochen miteinander hatten wir viel später, als er mir einmal die Bustüre offen hielt. Bei einer Schulkollegin trieb er meine Natelnummer auf und schrieb mir eine SMS. Im letzten Sommer, als ich mit der Schule fertig war, machten wir zum ersten Mal ab. Und dann passierte etwas, das ein wenig peinlich ist, aber auch lustig. Beim Abschied wollte er mich küssen. Das heisst, er sagte, er wolle gerne wissen, wie meine Lippen schmecken. Also, wir kannten uns kaum und hatten nur etwas geredet, und er kam mit so einem Satz. Auf so etwas musste ich eine Antwort geben. Ich sagte ihm, aus welchem billigen Heftli er diesen Spruch herhabe, und ich glaube, er war ziemlich baff.

Du bist frech. Das hast du auch nicht von mir.

Es kam spontan, ich hatte dies noch nie vorher gesagt. Dann sahen wir uns erst nach den Sommerferien wieder. Ich hatte den Zwischenfall bereits wieder vergessen und erinnerte mich erst wieder daran, als er mir davon erzählte.

Niccolo war aber recht mutig. Ich hätte mich in diesem Alter nie getraut, so einen Satz zu bringen.

Bei mir soll sich auch niemand getrauen, so etwas zu sagen, und dies gar beim ersten Treffen.

Nadja Grenacher, 16, KV-Lehrtochter im ersten Jahr, hört R&B, Soul, Pop, interessiert sich für Geschichte und andere Kulturen und schaut gerne Liebeskomödien.

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