Die Weltwoche / Eugen Sorg

12.04.2007

Schlacht um Maogadischu

Um die somalische Hauptstadt tobt ein erbitterter Kampf. Unter dem Einfluss der rivalisierenden Clans gibt es von westlichen Medien und Hilfswerken erstaunliche Fehlinformationen.

Die Dachterrasse des Hotels «Shamo» im Süden Mogadischus gewährte einen exzellenten Überblick. Im Westen der Stadt, in der Industriezone, etwa zwei bis drei Kilometer entfernt, schlugen schwere Granaten ein. Man hörte ein kurzes, dumpfes Wummern, dann stieg ein dicker, dunkler Rauchpilz auf. Die Geschosse landeten meistens an den gleichen zwei Stellen, wenige hundert Meter voneinander entfernt, und sie wurden von zwei Orten abgefeuert: von der nördlich gelegenen Villa Somalia, dem massiv bewachten Sitz Abdullahi Yusufs, des Präsidenten der somalischen Übergangsregierung; im Südwesten vom ehemaligen Verteidigungsministerium, wo äthiopische Truppen Stellung bezogen hatten. Yusuf hatte die Äthiopier ins Land gerufen, um seinem leviathanischen Auftrag, das Land nach 16 Jahren Anarchie wieder unter eine staatliche Ordnung zu zwingen, Nachdruck zu verschaffen.

Die Woche zuvor war der Versuch, in die regierungsfeindlichen Stadtbezirke vorzudringen und die Bewohner zu entwaffnen, gescheitert. Von den Dächern und aus den Fenstern hatte es Kugeln und Panzerfäuste auf Yusufs Soldaten und die Äthiopier gehagelt. Einige Äthiopier waren in die Hände der Insurgenten gefallen, durch die Strassen geschleift, mit Benzin übergossen und angezündet worden. Die Männer hatten vor Freude in die Luft geschossen, und die Frauen um die Leichen getanzt.

Verlässliche Auskünfte sind Glückssache

Nun waren die Äthiopier zurückgekehrt, mit Artillerie, gepanzerten Fahrzeugen, zwei Kampfhelikoptern und der Wut der Gedemütigten. Der Innenminister hatte angekündigt, dass man in drei Tagen mit den «Terroristen» fertig sein werde, aber jeder wusste, dass die Dinge komplizierter lagen. Zwar hatten somalische Extremisten mit Al-Qaida-Verbindungen Einfluss auf die regierende Union islamischer Gerichte nehmen können. Nach deren Sturz im letzten Dezember waren ihre Milizen abgetaucht, unterdessen aber wieder in Mogadischu eingesickert. Das grössere Problem aber war die Ablehnung der Regierung durch wichtige Clans.

Mogadischu lässt sich grob in zwei Hälften unterteilen. Im Norden leben hauptsächlich Abgal. Der Süden wird dominiert von den Habir Gedir, unter denen der kriegerische Subclan der Ayr die aktivste Rolle spielt. Die Habir Gedir/Ayr sind noch nicht lange in der Hauptstadt. Zehntausende von ihnen hatten Anfang der Neunziger ihre Kamelherden im hitzeverglühten Zentralsomalia zurückgelassen, um unter der Führung von General Farah Aidid Mogadischu zu erobern. Langzeitdiktator Siad Barre aus dem Clan der Darod wurde verjagt. In die neoklassizistischen Villen und weiss leuchtenden Regierungsgebäude zogen nach einem grausamen Beutekrieg Aidids Nomaden ein. Mogadischu war seit da quasi Darod-frei.

Übergangspräsident Yusuf ist ein Darod. Für die Habir Gedir in den erbeuteten Liegenschaften ist es klar, was die wahre Absicht des starken Mannes aus Nordsomalia ist: Er will Rache nehmen für die Niederlage und seinem Clan wieder zu früherem Eigentum und Macht verhelfen. Er sei 1000 Kilometer zu Fuss hergekommen, hatte mir ein Ladenbesitzer gesagt, und er habe nicht vor, den gleichen Weg wieder zurückzugehen. Der Mann, ein Habir Gedir, hatte sein Geschäft vor sechzehn Jahren einem Darod abgenommen.

Neben den Habir Gedir und den Islamisten, deren Ziel ein grosssomalisches Kalifat ist, stehen auch die Mooryan, notorische Banditen, und mächtige Geschäftsleute in Feindschaft zur Regierung. Letztere haben vom staatenlosen Zustand profitiert und sind mit Schmuggel, der Kontrolle von Häfen und Flughäfen, dem Drucken von Banknoten, mit steuerfreien Telekommunikationsgesellschaften reich geworden.

In Somalia ist es Glückssache, verlässliche Auskünfte zu bekommen. Realität ist ein biegsames Element, jeder gibt als Wahrheit aus, was ihm nützt oder was er denkt, der andere hören möchte. Dies erklärt die zum Teil erstaunlichen Verlautbarungen von internationalen Medien und Hilfswerksvertretern zu den jüngsten Ereignissen. Die allermeisten sind aufgrund der unsicheren Lage seit Jahren nicht mehr selber im Land präsent und müssen sich auf Informationen lokaler somalischer Mitarbeiter verlassen.

Schon am zweiten Tag der Offensive redete beispielsweise der Sprecher des IKRK in Nairobi von den «schlimmsten Kämpfen seit 15 Jahren» und von «Hunderten Verletzten, viele davon Zivilisten» ­ als ob nicht noch 1993 in mehrmonatigen Schlachten ganze Stadtviertel in Trümmer geschossen worden wären, als ob man einen verwundeten Clankämpfer von einem verwundeten «Zivilisten» unterscheiden könnte.

Eine gefragte Auskunftsperson ist der somalische Mitarbeiter von Reuters, ein energiegeladener, selbstbewusster Enddreissiger, der in den USA studiert hat. Ich hatte ihn am zweiten Tag auf dem Dach des Hotels «Shamo» kennengelernt. Ein äthiopischer Helikopter war von einer Panzerfaust getroffen worden, und wir sahen zu, wie der Pilot die rauchende Maschine Richtung Flughafen und Strand zu retten versuchte. Mit uns verfolgte auch eine Gruppe höchst agitierter Araber, medizinische Spezialisten einer islamischen Hilfsorganisation, das dramatische Manöver. Als der Helikopter in der Nähe des Flughafens notlandete und wenig danach explodierte, kreischten und jubelten die Mediziner, und der Mann von Reuters jubelte mit.

Kurz danach klingelte sein Handy. Ein Blutbad finde in Mogadischu statt, teilte er von der Hotelterrasse mit aufgeregter Stimme dem Anrufenden mit. Die äthiopische Armee richte ein Gemetzel unter der Bevölkerung an. Nein, beschwichtigte er die nun offensichtlich besorgte Person, er sei nicht in Gefahr, aber natürlich, beantwortete er die Nachfrage und senkte dabei betroffen seine Stimme, natürlich belaste es einen sehr. Als er aufhängte, strahlte er mich stolz an. Das sei die Zentrale in London gewesen. Wir trafen uns häufig in den nächsten Tagen. Meistens kam er von einem Flüchtlingscamp zurück, wo er Frauen mit traurigen Gesichtern fotografiert hatte, oder er erzählte von seinen Spitalvisiten, wo er mit dramaturgischem Instinkt die tragischsten Opfer der äthiopischen Invasoren aufspürte. Seine Bilder und Meldungen wurden in Dutzenden von Ländern publiziert. Als sogenannt authentische Zeugnisse von der somalischen Höllenfront bestätigten sie die in den urbanen Milieus des Westens beliebte Auffassung von der unheilvollen Rolle der amerikanischen Politik, als deren Erfüllungsgehilfen die Äthiopier agierten.

Als ich von ihm wissen wollte, warum viele Leute die umkämpfte Industriezone nicht verlassen hätten, obwohl die Regierung den Angriff vorher angekündigt hatte, antwortete er nicht. Ob sie von Clanmilizen zum Bleiben gezwungen worden seien, fragte ich, um die mögliche Zahl unschuldiger Opfer in die Höhe zu treiben, oder ob sie einfach blieben, um zu kämpfen? Er ging nicht darauf ein. Und als ich ihm von einem Treffen von Abgal-Notabeln aus sieben Distrikten Nordmogadischus erzählte, die in einer Presseerklärung festhielten, dass sie das Vorgehen gegen die Aufständischen begrüssten, musterte er mich einen Moment lang misstrauisch, bevor er verächtlich meinte: «Die sind alle geschmiert.» Der Reuters-Mann ist ein Habir Gedir. Was er aus Mogadischu berichtet oder nicht berichtet, gehorcht den Interessen seines Clans.

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