Basler Zeitung

15.03.2016

Randnotiz

Schüch-Ammann

Von Eugen Sorg

1939 wurde in der Schweiz der «Tag der Kranken» vom gleichnamigen, gemeinnützigen Verein eingeführt und seit da hält der jeweilige Bundes­präsident alljährlich zu diesem Tag eine Rede. Die meisten Menschen in diesem Land dürften nichts von der Existenz dieses Anlasses gewusst haben, bis am vorletzten Sonntag Bundespräsident Johann Schneider-Ammann an der Reihe war. Der Magistrat wählte das Thema Humor, und was wahrscheinlich ein tiefsinnig-launiger Auftritt hätte werden sollen, missriet gründlich. «Lachen ist gesund», las der steif-biedere Bernbieter in breitem Français fédéral vom Teleprompter ab und machte dazu ein betrübtes Gesicht, als müsste er den nationalen Notstand verkünden. Am französischen Fernsehen spottete man alsbald über die Rede, sogar die Washington Post berichtete darüber, «ungewollt urkomisch», und hierzulande diagnostizierte man einen «Kommunikations-GAU» und plädierte für die sofortige Entlassung von Schneider-Ammanns Kommunikationsteam. «Die Schweiz», fasste der Blick zusammen, «steht nach diesem Auftritt in den Unterhosen da.»

Doch die sich fremdschämenden Medienprofis und smarten Kommunikationsexperten übersehen einen wichtigen Aspekt. Schneider-Ammann erinnert stark an die Comicfiguren Papa Moll und Herr Schüch. Beide, der tollpatschige, aber liebenswürdige Moll, und noch mehr der gehemmte, höfliche, überkorrekte Schüch, sind schweizerische ­Archetypen. Deren Ungelenkheit verleitet dazu, sie zu unterschätzen, aber aus dieser Unterschätzung erwächst gerade ihre Stärke. Man macht lieber mit den pingelig-ehrlichen Schüchs und Ammanns Geschäfte als mit Marktschreiern. Der selbst verdiente Ruf der Harmlosigkeit und der langweiligen Verlässlichkeit hat die kleine und rohstoffarme Schweiz zum reichsten Land der Welt gemacht. Doch die Biederkeit ist auch Tarnung, hinter der sich Schlauheit versteckt. Wer hätte Ammann zugetraut, dass er als Unternehmer zielstrebig lukrative Verwaltungsratsmandate gesammelt und Firmengelder auf der Kanalinsel Jersey steueroptimiert hatte? Anticharismatiker Ammann leide unter dem medialen Gespött, verlautet es aus ­seinem Umfeld, und er wirke noch gehemmter. «Kopf hoch, Herr Schüch!», wollen wir ihm hier in ­Anlehnung an eines der Schüch-Bücher zurufen.

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