Basler Zeitung

01.03.2016

Randnotiz

Nenn mich Caitlyn

Von Eugen Sorg

Die Natur ist ungerecht und mitleidlos. Sie würfelt, wenn sie ihre Gaben an die Menschen verteilt. Die einen beschenkt sie mit Schönheit und Charme, andere bestraft sie mit einem trüben Gemüt oder mit ewiger Unruhe. Scheinbar ein Glückslos ­gezogen hatte der Amerikaner Bruce Jenner. Der 1949 in New York geborene Junge wuchs zu einem Modellathleten heran, zu einem Symbol der Männlichkeit, der in der Königsdisziplin Zehnkampf Olympiagold für sein Land holte und einen Weltrekord aufstellte. Nach seiner Sportkarriere reüssierte er als Filmschauspieler und in seinem privaten Leben zeugte er sechs gesunde Kinder in drei Ehen. Mit Kris, seiner bislang letzten Frau, war er 24 Jahre verheiratet. Zusammen mit den zwei gemeinsamen Töchtern und den Kindern aus Kris’ erster Ehe mit Robert Kardashian, einem Strafverteidiger, wurden sie weltbekannt als Protagonisten der TV-Reality-Soap «Keeping Up with the Kardashians».

Vor einem Jahr nun aber gab Bruce Jenner öffentlich bekannt, dass er zeit seines Lebens eine Lüge mit sich herumgetragen habe und er dieses Versteckspiel, diese Existenz in Falschheit endlich aufgeben wolle. In Wirklichkeit fühle er sich als Frau, und er, das heisst sie wolle künftig auch als solche leben. Hollywood, alle Medien, auch Präsident Obama lobten «den Mut» Jenners, und das Glamourmagazin Vanity Fair kürte ihn zum Covergirl. «Nenn mich Caitlyn» flötet und räkelt sich der in ein eierschalenfarbenenes Satinkorsett gezwängte Jenner dem verwirrten Betrachter entgegen.

Und vor wenigen Tagen gab die Kosmetikfirma MAC bekannt, dass Caitlyn Jenner das Gesicht ihrer Kampagne für einen neuen Lippenstift mit dem Namen «Endlich frei» sein wird. «Wir bewundern ihren Mut und ihre Schönheit», so die Firma und präsentiert Caitlyn als Diva in einem golden ­glitzernden Ballkleid. Trotz Perücken, Schminke, Bildretuschen, zehnstündiger Gesichtsoperation, Brustimplantaten, Hormonbehandlungen, heuchlerischen Komplimenten – der 66-jährige, 1,88 Meter grosse, ehemalige Superathlet Bruce wird nie wie eine attraktive Caitlyn aussehen, sondern eher wie ein Freak, ein erwachsener Wechselbalg mit Make-up. Gender ist keine Wahl, sondern biologisches Schicksal. Die Natur hat gewürfelt, Jenner ist im falschen Körper geboren worden. Dies ist ihre ­Tragik, daraus führt kein Weg.

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