Die Weltwoche

23.01.2020

Eine Frage der Moral

«Bitte tötet uns nicht»

Von Eugen Sorg

Die Liquidierung Qasem Soleimanis durch die US-Drohne «Sensenmann» hat nicht das Weltende eingeläutet. Sie könnte im Gegenteil der Auftakt einer Gesundung sein.

Es gibt absolut nichts, was ich dagegen tun könnte», höhnte Ajatollah Chamenei, Oberhaupt des iranischen Gottesstaates, anlässlich des Freitagsgebets in Teheran an die Adresse von Donald Trump. Soeben hatte ein paramilitärischer Mob die amerikanische Botschaft in Bagdad angegriffen, und vier Tage zuvor war ein amerikanischer Vertragsarbeiter auf einer US-Basis im Nordirak durch eine Rakete getötet worden. Beide Attacken, ebenso wie viele frühere, waren vom Iran orchestriert gewesen.

Doch Chamenei irrte sich. Nur wenige Stunden nach seinem Diktum zerfetzte eine amerikanische Drohne namens «Sensenmann» die Nummer zwei des Mullah-Regimes, Qasem Soleimani, auf dem Flughafen im irakischen Bagdad. Die Liqui-dierung muss für die iranische Führung ein gewaltiger Schock gewesen sein. Auf einen Schlag wurde den Mullahs bewusst, dass jeder von ihnen überall und jederzeit getötet werden konnte. Ihre Geheimdienste waren offensichtlich infiltriert, und die Amerikaner verfügten nicht nur über eine tödlich überlegene Militärtechnologie, sondern sind unter Trump auch willens, sie gegen höchste Regierungsvertreter einzusetzen.

Seit vierzig Jahren hatte die obskurantistische Dritte-Welt-Diktatur in Teheran im Namen der Islamischen Revolution eine Politik des internationalen Schreckens betrieben: Auftragsmorde und Selbstmordattentate in der halben Welt, von Beirut über Berlin, Paris bis nach Buenos Aires; Geiselnahmen und Entführungen; Destabilisierung des Mittleren Ostens durch Unterwanderung ganzer Länder wie Libanon, Syrien, des Jemen, des Irak mittels Finanzierung und Bewaffnung von Teheran-treuen Kampfverbänden; systematisches Belügen der internationalen Atombehörde, um den Bau einer eigenen Atombombe voranzutreiben; und als Basso continuo permanente Drohungen und Aktivitäten, Israel, diese «schwarze und dreckige Mikrobe», als ein «Geschwür von der Weltkarte zu tilgen».

Schon mehrmals hätten die Amerikaner die Gelegenheit gehabt, Top-Figuren wie Soleimani, das düstere militärische Gehirn der Terror-Diplomatie, zu eliminieren. Aber keiner der bisherigen US-Präsidenten wollte das Risiko eingehen, die Wut der Mullahs heraufzu beschwören. Stattdessen setzte man auf Dialog, Beschwichtigung und Appeasement, als sei Politik eine Form von Gruppentherapie. Die Mullahs freuten sich. Sie deuteten die Verhandlungsfrömmigkeit des Westens als Schwäche und nützten sie dazu aus, ihre Provokationen und Aggressionen langsam, aber immer kühner zu steigern. Sie fühlten sich sicher, dass ihnen nichts passieren würde.

Die amerikanische Todesdrohne setzte diesem gefährlichen Spiel jäh und unerwartet ein Ende. Teheran tobte und donnerte und schwor «Rache, schwere Rache». «80 Millionen Dollar» setzte es als Belohnung für den Kopf des «Clowns» Donald Trump aus und versprach die Vernichtung von «6236 amerikanischen Zielobjekten». So viele Verse hat der Koran. Die uneinlösbare Masslosigkeit der Drohungen verriet Teherans Ohnmacht. Dort hatte man realisiert, dass man an einen Stärkeren geraten war.

In den westlichen Mainstream-Medien wurde mit entfesselter Angstlust über die Ereignisse berichtet. Die Kommentatoren und Experten zeigten sich wie immer bei Zornausbrüchen in der islamischen Welt auch diesmal schwer ein-geschüchtert von der schwarzen Prophetie der Ajatollahs und sagten eine «Eskalationsspirale» voraus, ein «explodierendes Pulverfass», einen «Flächenbrand», einen «Triumph des Iran», den «dritten Weltkrieg.» Terrorgeneral Soleimani wiederum erhielt viele schmeichelnde Charakterisierungen. Er sei eine «weltweit bewunderte» Persönlichkeit gewesen, schrieb beispielsweise die New York Times, ein «Nationalheld», ein islamischer «Richelieu», ein «de Gaulle». Trump hingegen sei ein «Kriegstreiber», ein «Kriegsverbrecher», «Hitler». Antiamerikanismus, Trump-Gestörtheits- und Stockholm-Syndrom flossen ineinander und führten zum Kollaps des politischen Analysevermögens und zur Perver-sion des moralischen Urteils.

Die Hollywoodschauspielerin und MeToo-Frontfrau Rose McGowan brachte diesen geistigen Bankrott in einem Tweet perfekt zum Ausdruck: «Lieber Iran, die USA haben euer Land, eure Fahne, euer Volk missachtet. 52 Prozent von uns bitten demütig um Entschuldigung. Wir wollen Frieden mit eurer Nation. Wir sind Geiseln eines terroristischen Regimes. Wir wissen nicht, wie wir fliehen können. Bitte tötet uns nicht.»

Trump hatte nach Soleimanis Ausschaltung gewarnt, dass auf jeden getöteten Amerikaner ein schrecklicher Gegenschlag folgen würde, hatte aber gleichzeitig auch Gespräche angeboten. Die herrschenden Mullahs mögen religiöse Extremisten sein, aber sie sind nicht lebensmüde oder dumm. Sie wissen, dass «der grosse Satan» Amerika in der Lage wäre, ohne einen Fuss auf iranischen Boden setzen zu müssen, alle wichtigen militärischen und wirtschaftlichen Anlagen innerhalb von dreissig Minuten zu zerstören. Und vor allem wissen sie jetzt auch, dass der gegenwärtige Präsident nicht zögern würde, seine Warnungen wahrzumachen.

Die Drohne «Sensenmann» hat nicht das Weltende eingeläutet. Sie könnte im Gegenteil der Auftakt zu einer Entwicklung gewesen sein, welche die apokalyptischen Mullahs zum Wohle der ganzen Welt daran hindern wird, in den Besitz von Atombomben zu gelangen.

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