Basler Zeitung

17.10.2014

Eine Frage der Moral

Das Gespenst des Rassismus

Von Eugen Sorg

Vor Kurzem wurde in Hollywood ein Paar von einem Polizeisergeant aufgefordert, seine ­Ausweise zu zeigen. Während der Mann seine ID hervorholte, weigerte sich die Frau, und erst als ein Kollege des Beamten ihr Handschellen anlegte, konnte auch ihre Identität überprüft ­werden. Darauf verabschiedeten sich die Cops und das Paar durfte wieder gehen. Die ganze Begegnung hatte eine halbe Stunde gedauert und wäre als vollkommen bedeutungsloses Geräusch im Getöse der Welt untergegangen, hätte das Paar nicht auf Facebook seine Version der Geschichte publik gemacht.

Die Frau, eine 29-jährige schwarze ­Schauspielerin namens Danièle Watts, die in Tarantinos Sklavenwestern «Django Unchained» eine kleinere Rolle als Hausmädchen Coco hatte, teilte der Social-Media-Gemeinde mit, dass sie von der Polizei ohne Grund in ­Handschellen gelegt worden sei, nur weil sie in der Öffentlichkeit ihren Freund geküsst habe. Für sie ein demütigender, rassistisch motivierter Polizeiübergriff. «Scham und Wut» habe sie ­empfunden, schrieb die Mimin und postete ein Bild, auf dem sie herzerweichend weint.

Ihr weisser Freund Brian Lucas, Raw-Food-Aktivist und Nutrition-Guru einiger Hollywood-Prominenter, bekräftigte Freundin Danièle in deren Opferschmerz. Die Beamten hätten sie für eine «Prostituierte» ­gehalten. «Eine junge Schwarze in sexy Shorts und ein tätowierter Weisser, die im Auto ­Zärtlichkeiten austauschen: ein klarer Fall für die Cops.»

Watts wurde auf Facebook mit heisser ­Anteilnahme überschüttet,

CNN

übernahm die Story, andere Medien zogen nach und bald konnte auch der Rest der Welt mit wohliger ­Entrüstung lesen, wie rassistische amerikanische Polizisten einen Hollywoodstar für eine Hure gehalten hatten. Das Bild des gewaltbereiten, negerverachtenden Sheriffs gehört zu den ­Lieblingsmotiven des globalen kulturellen Antiamerikanismus.

Damit aber war die Story noch nicht zu Ende. Der Polizist hatte das Rencontre auf Band ­aufgenommen, die

LA Times

publizierte es, und darauf konnte man hören, wie er im Gegensatz zur zunehmend hysterischer und ausfälliger ­werdenden Watts die ganze Zeit ruhig blieb. Keine verletzenden Anspielungen, keine ­diskriminierenden Bemerkungen. Er erklärte geduldig, man habe einen Anruf erhalten, ein Paar würde sich in einem Auto allzu freizügig ­vergnügen. Und es sei sein Job als Polizist, Beschwerden aus der Bevölkerung nachzugehen.

Und Watts hatte noch einmal Pech. Kurz ­darauf veröffentlichte das Promi-Magazin

TMZ

Bilder, die jemand vom Paar im silbernen ­Mercedes gemacht hatte. Sie zeigten Lucas, ­rücklings auf dem Beifahrersitz ausgestreckt, die Füsse aus der offenen Vordertür ragend, und auf ihm sitzend mit gespreizten Beinen Watts, die sich vor- und rückwärts bewegte, das T-Shirt über die blanken Brüste hochgerollt, und nach ­vollbrachter Anstrengung Papiertaschentücher aus der Konsole fischte, mit denen sie zuerst ihn und dann sich abwischte. Das war weit mehr als Küsschen austauschen.

Diese Fortsetzung wurde aber nur noch von den wenigsten Medien erzählt. Die ­Journalisten verzichteten lieber auf die ganze Wahrheit, um ihr Lieblingsgespenst des weissen Rassisten in Uniform weiter ­herumspuken lassen zu können. Und Watts, statt sich zu entschuldigen, stilisierte sich im Nachhinein zur Heldin des zivilen Ungehorsams. Warum? Weil sie Sex in der Öffentlichkeit gehabt hatte? Nein, weil sie ihre ID nicht gezeigt habe. Selbstgerechtigkeit und Opfermentalität ­korrumpieren die Moral.

«Eine junge Schwarze in sexy Shorts und ein tätowierter Weisser, die im Auto ­Zärtlichkeiten austauschen: ein klarer Fall für die Cops.»

Brian Lucas

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