Basler Zeitung

12.06.2015

Eine Frage der Moral

Das Matratzen-Girl/Teil2

Von Eugen Sorg

Während fast einem Jahr schleppte die junge Kunststudentin Emma Sulkowicz auf dem Campus der amerikanischen Eliteuniversität Columbia eine Matratze mit sich herum (s. BaZ 15. 5. 2015). Sie wollte mit diesem «mattress ­project» gegen eine angebliche Vergewaltigung durch ihren ehemaligen Liebhaber und ­Mitstudenten Paul Nungesser protestieren. Dieser war zwar sowohl von den Universitätsbehörden als auch von der Polizei von den Vorwürfen ­freigesprochen worden, aber Sulkowicz foutierte sich um diese Entscheide und verkündete, sie werde die Matratze so lange mit sich herum­tragen, bis «Serienvergewaltiger» Nungesser von der Uni verschwunden sei.

Ihre als «performance art» erklärte Rache­aktion, akzeptiert als akademische Abschluss­arbeit, fand bald nicht nur landesweit, sondern auch international grosse Beachtung. Die ­allermeisten Medien übernahmen ungeprüft ihre Vergewaltigungserzählung, die Kunstwelt ­reagierte mit Enthusiasmus, «eines der ­wichtigsten Kunstwerke des Jahres» (Artnet), und feministische Lobbygruppen feierten sie als neue weibliche Hoffnungsfigur. Dies, obwohl sich ­herausstellen sollte, dass Sulkowicz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Vergewaltigungsgeschichte erfunden hatte und Nungesser zu Unrecht an den Pranger gestellt worden war.

Neues Projekt

Beflügelt vom plötzlichen Ruhm und von den Lobhudeleien einer überspannten und dekadenten Kulturelite, trat die mittlerweile graduierte Frau vor einer Woche mit einem neuen ­«Kunstprojekt» vor die Welt: Ein achtminütiges Video zeigt ein Paar, das Sex miteinander hat. Eine Frau mit blauen Haaren und unsportlichem Körper, es ist Emma Sulkowicz, und ein ­übergewichtiger Mann, dessen Gesicht ­unkenntlich gemacht worden ist, betreten einen Raum und entledigen sich ihrer Kleider. Sie ­stimuliert ihn mit dem Mund, rollt ihm ein ­Kondom über, reitet ihn, sie wechseln die ­Stellung, er ist jetzt oben und sie unten, es wird ein wenig gewalttätig, sie sagt «schlag mich», er ohrfeigt sie zweimal, sie wimmert vor Schmerz, er hält sie an den Armen fest, penetriert roh und mit maschinellem Furor, fasst sie grob am Hals, lässt schliesslich von ihr ab, packt seine Kleider vom Boden und verlässt wortlos den Raum. Die Frau bezieht das Bett und krümmt sich in Fötalstellung unter das Laken. Es ist eine ungemütliche, seelenlose Begegnung, gefilmt von vier wie Überwachungsgeräte fix montierten Kameras, ein präzis inszeniertes Rencontre, ­aufgenommen in einem einzigen Take, dessen pornografische Trostlosigkeit durch das kalte Licht und die Unpersönlichkeit des Raumes ­verstärkt wird. Die Handlung entspricht der Schilderung, wie sie Sulkowicz von jener Nacht gegeben hat, in der sie angeblich ­vergewaltigt worden war. Dieser direkte Bezug wird im Video unterstrichen durch die blaue Matratze, auf der das Paar zu Werke geht. ­Dieselbe, die Sulkowicz herumgetragen hat.

Trotzdem schreibt sie in einer Einführung zu ihrem Video, das Gezeigte möge zwar «wie eine Vergewaltigung aussehen», sei aber keinesfalls ein «reenactement», keine Nachstellung tatsächlicher Ereignisse. Und sie gibt dem Werk den Titel «Ceci N’est Pas Un Viol» («Dies ist keine Vergewaltigung»), in Anlehnung an das berühmte Bild des Surrealisten René Magritte «Ceci n’est pas une Pipe». Eine Referenz, die ihre schmuddelige ­Performance adeln und in eine anerkannte ­künstlerische Tradition hieven sollte. Und um das Kunstwesen des Werks noch zusätzlich zu betonen, verfasste sie einen Katalog pseudotiefsinniger Fragen an den Zuschauer. Beispielsweise: «Wie gut glaubst du mich zu kennen?», «Sind wir uns jemals begegnet?», «Glaubst du, ich bin ein perfektes Opfer oder das schrecklichste Opfer der Welt?»

Warum tut sich Sulkowicz all dies an? ­Geltungssucht? Rechthaberei eines masslos ­verwöhnten Kindes? Verwirrtheit? Exhibitionismus? Sie selber antwortet einem fiktiven ­Fragesteller, warum sie sich so «verletzbar» mache: «Schau – ich will die Welt verändern, und das beginnt mit dir, indem du dich selber anschaust.» Etwas nüchterner beurteilt es eine Fachfrau für Erwachsenenfilme, der Pornostar Mercedes Carrera. Nachdem sie das Video ­gesehen hatte, meinte sie: «Ein schlechtes ­Amateur-Sextape von einer aufmerksamkeitssüchtigen Histrionikerin».

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