Basler Zeitung

06.05.2016

Eine Frage der Moral

Der schäbige Scheich

Von Eugen Sorg

Die muskulösen Türsteher des mondänen Nachtclubs «Avenue» in Manhattan, New York, wachen darüber, dass nur die richtigen Leute ins Innere gelangen. Frauen, die nicht jung, schlank, sexy sind, und Männer, die nicht den Eindruck vermitteln, als ob sie, ohne mit der Wimper zu zucken, 600 Dollar für den Auftaktdrink hinzublättern gewillt sind, werden erbarmungslos weggeschickt. Der gedrungene, dickliche Mittvierziger mit dem Bärtchen zum Beispiel, der in der Nacht vom Montag in seinem blau-weiss karierten Hemd, den sackartigen Jeans, den Billigsandalen und dem Spazierstock etwas verloren im Eingangsbereich herumstand, sah definitiv nicht so aus, als ob er zu den Richtigen gehörte. Doch der Schein trog. Der Mann im Outfit wie aus einer Heilsarmee-­Kleidersammlung war reich, so reich, dass er den Club ohne Weiteres hätte kaufen und alle Angestellten entlassen können, falls ihm der Zutritt verweigert worden wäre. Und dass er dies auch getan hätte, daran zweifelten die Türsteher keinen Moment. Sie hatten ihn gleich erkannt, als er mit seiner Flotte von fünfzehn Mercedes Sedan vorgefahren war. Der Mann war Abdul Aziz bin-Fahd, Lieblingssohn des 2005 verstorbenen saudischen Königs Fahd, und sein Vermögen wird auf zehn Milliarden Dollar geschätzt.

Er besitzt Liegenschaften in New York, Beverly Hills, London, der Schweiz, Paläste in Saudi-Arabien und anderswo, überall, wo es teuer und schön ist. Er ist Mitinhaber der global tätigen Bau- und Immobilienfirma Saudi Oger, des arabischen Medienunternehmens MBC, betreibt eine Zucht für Rennkamele, und wann immer ihn die Lust aufs Reisen überkommt, was häufig passiert, kann er in einen seiner diversen Privatjets mit jungem, weiblichem und westlichem Kabinenpersonal steigen oder er wählt die Seevariante auf einer seiner Jachten, zum Beispiel der «Prince Abdulaziz», der grössten im 20. Jahrhundert gebauten Super­jacht, die ihn sicher und komfortabel zu einem seiner zahlreichen Privathäfen trägt.

All diese märchenhafte Herrlichkeit erlangte er ohne sein Zutun, allein durch den Zufall der Geburt in einen arabischen Erobererclan, dessen wüstenhaftes Herrschaftsgebiet wiederum durch Zufall über ein gigantisches unterirdisches Lager von Erdöl zu liegen kam. Zum vierzehnten Geburtstag schenkte ihm sein königlicher Vater 300 Millionen Dollar. «Zum Spielen», soll dieser gesagt haben, der selber ein notorischer Casino-Gambler war. Später wurde dem Prinzen ein Bachelor in Verwaltungswissenschaften überreicht. Wie oft oder ob er überhaupt die Vorlesungen an der Universität von Riad, benannt nach ­seinem Grossvater und Staatsgründer König Saud, besucht hat, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass sich kein Professor getraut hätte, den Königssohn durch die Prüfungen fallen zu lassen.

Die grösste Gefahr

Keine weltliche Macht, kein Gesetz, keine Vorschrift konnten und können den Prinzen in die Schranken weisen. Er selber ist die Macht und das Gesetz. Stören könnten allenfalls bestimmte Kräfte der Aussenwelt: Gangster oder islamische Eiferer, die ihm ans Geld oder an den Kragen wollen. Etwas gefährlicher ist seine eigene Familie. Schon sein Grossvater Ibn Saud hatte 42 legitime Söhne und geschätzte 125 legitime Töchter hinterlassen. Mittlerweile sollen es zirka 7000 männliche Royals sein, die ihren als Naturrecht empfundenen Anspruch auf einen luxuriösen Lebensstil einfordern. Die saudische Petromonarchie, deren einziger Daseinszweck es ist, die Herrschaft des Clans der al-Saud zu sichern, hat nicht unbegrenzt Ministerposten zu vergeben. Es wird eng in Riad. Palastrevolten und Bruderkämpfe sind programmiert.

Die grösste Gefahr für Prinz Abdul Aziz bin-Fahd ist jedoch er selbst. Einer, der alles kaufen kann, für den hat nichts mehr einen Wert: die Freunde, die Frauen, die Annehmlichkeiten eines sorgenlosen Lebens, die eigene Person. Er stürzt ab in die innere Leere und in die Hölle der moralischen Sinnlosigkeit. Der übergewichtige Prinz macht keinen Schritt ohne Leibwächter, Ärztetross, Koffer voller Geld und Medikamente. Und warum besucht er verkleidet als Penner einen elitären Nachtclub in Manhattan? Vielleicht war dies der Versuch einer letzten Machtdemonstration. Jeder andere in solchen Sandalen wäre heraus­geworfen worden. Aber er, der gebürtige Prinz, stand über den Regeln. Welch armseliger Triumph einer armseligen Existenz.

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