Basler Zeitung

15.02.2013

Die Jagd auf den iranischen Schakal

Der schmutzige Krieg

Von Eugen Sorg

Geheimdienste sind dazu da, dass wir ruhig schlafen und ohne ungutes Gefühl Tram fahren, ein Kino oder Restaurant besuchen können. Arbeiten sie gut, merkt man nichts von ihnen – oder man liest allenfalls von der Vereitelung eines Mordkomplotts oder von der Festnahme oder Tötung eines gesuchten Extremisten. Hört man in den Nachrichten jedoch von Bombenattentaten oder Selbstmordanschlägen, haben die Dienste versagt.

Eine meisterhafte Arbeit vor allem von Israels Geheimdienst Mossad war die Liquidierung von Imad Mughniyah vor fünf Jahren, im Februar 2008. Vorausgegangen war eine epische Jagd nach dem islamistischen Terrorstrategen der libanesischen Hizbollah, eine Jagd, die ein Vierteljahrhundert dauerte und quer durch alle Kontinente führte. Eine Jagd, die nach vielen Rückschlägen dank altmodischer Spionage, Geduld, Zufällen und modernster Überwachungstechnologie schliesslich zum Erfolg führte.

Der 1962 in einem südlibanesischen Dorf geborene Imad Mughniyah alias Hajj Radwan alias der iranische Schakal gab seinen Einstand als Heiliger Krieger gegen Israel und den Westen Anfang der 1980er-Jahre. Er gilt als einer der Drahtzieher der verheerenden Autobombenanschläge auf die US-Botschaft in Beirut 1983 und auf die Truppenunterkünfte der Franzosen und Amerikaner im selben Jahr mit Hunderten Toten. Kidnapping, Flugzeugentführungen und Morde folgten. Nach 1990 orchestrierte er die Anschläge auf die israelische Botschaft und das jüdische Kulturzentrum in Argentinien, war verwickelt in Bombenanschläge auf das World Trade Center in New York (1993), auf die Khobar-Türme in Saudi-Arabien, US-Botschaften in Kenia und Tansania, auf den Frachter USS Cole in Jemen.

Der schiitische Libanese soll 1993 in Khartum auch den Sunniten Osama bin Laden getroffen und eine Zusammenarbeit über die Sektengrenzen hinweg beschlossen haben. 2005 informierte der Mossad die CIA und den kanadischen Geheimdienst, dass Mughniyah in Montreal eine Schläferzelle der Hizbollah gegründet habe, die im Falle eines US-Angriffs auf iranische Atomanlagen mit Terrorattacken auf US-Einrichtungen reagieren sollte. Und im Libanonkrieg von 2006 sah man ihn als hervorragenden Strategen der Hizbollah-Milizen, der Israels Armee in Bedrängnis brachte. Anhänger wie Feinde bewunderten sein Talent, die Schwachstellen der von ihm ausgewählten Angriffsobjekte zu erkennen.

Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer bezeichnete Mughniyah als den «intelligentesten, fähigsten Akteur, mit dem wir es jemals zu tun hatten, inklusive dem KGB oder sonst wem. Er kommt durch die eine Türe rein und geht durch eine andere hinaus, wechselt jeden Tag das Auto, verabredet sich nie über das Telefon, ist vollkommen unberechenbar.» Es gab ausserdem kaum Fotos von ihm, und er hatte sich zusätzlich Gesichts­operationen unterworfen. Der Mann, auf den ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt worden war, schien ungreifbar wie ein Phantom. Er wurde auch Abu Dokhan genannt, Vater des Rauchs – wegen seiner Kunst, sich immer wieder in nichts aufzulösen.

Erst 2007 gelang ein erster Fahndungsdurchbruch. Der Mossad operierte mit einem Spitzelnetzwerk, das von Ali Jarrah, einem in israelischer Haft umgedrehten Libanesen, geführt wurde. ­Dieser genoss in arabischen Kreisen höchstes ­Vertrauen, da er ein Cousin von Ziad Jarrah war, einem der Selbstmordattentäter von 9/11. Er fand Zugang zu Mughniyahs Familie und konnte den Israelis bald berichten, dass der Gesuchte seinen Angehörigen regelmässig Postkarten von seinen wechselnden Verstecken in europäischen Städten schrieb.

Ein weiteres Mosaiksteinchen kam von einem ehemaligen Stasi-Agenten. Dieser hatte wie viele seiner Kollegen nach dem Zusammenbruch der DDR Unterlagen mitgehen lassen, darunter eine Akte über Mughniyah mit einem aktuelleren Bild. Der Mossad soll dem Ex-Stasi-Spion bei der ­Übergabe in Berlin 250 000 Dollar bezahlt haben.

Bei einem tollkühnen Einbruch in das Haus des Chefs der syrischen Atombehörde und der Verwanzung dessen Computers fielen den Mossad-Agenten nicht nur die Pläne über das Atomwaffenprogramm Assads in die Hände, ­sondern sie entdeckten auch Dokumente von ­Waffenlieferungen Syriens an Mughniyah.

Die Schlinge um dessen Hals zog sich immer enger zu, und als die Spione um Ali Jarrah ­meldeten, dass der Hizbollah-Grande eine Geliebte habe, mit der er sich jeweils in einem Luxushotel in Damaskus treffe, machte sich ein Team von Mossad-Spezialisten auf den Weg in die syrische Hauptstadt. Sie mieteten sichere Häuser mit Garagen für Fahrzeuge, Kleider, falsche ­Ausweise, Elektronikgeräte, Sprengstoff, Waffen, und ein israelischer Satellit garantierte ihnen Realzeitinformationen rund um die Uhr.

Es muss für die Mossad-Agenten ein spezieller Moment gewesen sein, als sie zum ersten Mal den Mann erblickten, gross, schlank, elegant, den sie so lange vergeblich gejagt hatten und der so viele ihrer Landsleute auf dem Gewissen hatte.

Am 12. Februar 2008 schlugen sie zu. Mughniyah stieg um neun Uhr abends aus seinem silbernen Mitsubishi, um die paar Schritte zum Iranischen Kulturzentrum zu spazieren, wo eine Feier zum Jahrestag der iranischen Revolution stattfand. Wenige Sekunden später detonierte eine vom Mossad-Vollstrecker ferngezündete Autobombe. Imad Mughniyah war sofort tot. Die Explosion hatte ihm den Kopf abgerissen.

Geheimdienste lügen, erpressen, täuschen, stiften zum Verrat an, töten Menschen aus dem Hinterhalt, ohne Gerichtsverfahren, ohne dass Verurteilte eine Chance gehabt hätten, sich zu erklären. Geheimdienste führen einen schmutzigen Krieg, aber solange die Welt noch keine andere ist, und solange es Organisationen gibt wie die Hizbollah und Leute wie Mughniyah, so lange wird der Krieg schmutzig geführt werden.

eugen.sorg@baz.ch

Die Schlinge um Mughniyah zog sich immer enger zu, als Spione meldeten, der Hizbollah-Grande treffe eine Geliebte in Damaskus.

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