Basler Zeitung

05.04.2013

«Die Bedrohung wird auch zu Ihnen kommen»

Der Kopenhagener Journalist Lars Hedegaard zahlte für die freie Meinungsäusserung fast mit seinem Leben

Von Eugen Sorg

Am 5. Februar dieses Jahres, um elf Uhr morgens, klingelte die Hausglocke bei Lars Hedegaard. Der 70-jährige Journalist öffnete das Fenster im ersten Stock seiner Wohnung in einem ruhigen Kopenhagener Wohnquartier. Vor der Türe stand ein Postbote. Er habe ein Paket abzugeben, rief er Hedegaard zu. Er war zirka 25-jährig, schien von arabischen oder pakistanischen Eltern abzustammen, sprach aber akzentfreies Dänisch. Hedegaard ging nach unten, öffnete die Haustüre, und als er das Paket in Empfang nahm, zog der Postbote plötzlich eine Pistole und feuerte auf seinen Kopf. Die Kugel verfehlte Hedegaard knapp. Während der Postbote an der Waffe hantierte, um einen zweiten Schuss abzugeben, schlug ihm der 70-Jährige aus einem Reflex heraus die Faust ins Gesicht, worauf die Waffe zu Boden fiel. Der Attentäter hob sie auf, versuchte nochmals vergeblich zu feuern und rannte schliesslich davon.

Der Attentäter blieb bis heute unauffindbar. Sowohl Hedegaard als auch die Fahnder, die Politiker jeder Couleur und die Medien waren sich einig, dass es sich bei jenem um einen islamistischen Extremisten handeln muss. ? Hedegaard ist Präsident der Free Press Society und Chefredaktor der Zeitung «Dispatch International», beides neuere Gründungen, die vor dem wachsenden Einfluss eines rabiat antidemokratischen, antiwestlichen Islam in Skandinavien und Europa warnen.

Islamkritiker leben gefährlich, seit 1989 Ayatollah Khomeini mit seiner Blutfatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie den Mord an angeblichen Feinden des Glaubens zur religiösen Pflicht jedes Muslims, wo immer auf der Welt dieser sich gerade befinden möge, erklärt hat. Hedegaard lebt seit dem 5. Februar an einem geheimen Ort, 24 Stunden bewacht von Polizeikräften. Kontakt mit ihm kann nur über seine E-Mail-Adresse hergestellt werden. Es ist gut möglich, dass er bis an sein Lebensende im Versteckten leben muss.

BaZ:

Sie stehen rund um die Uhr unter Bewachung. Wie muss man sich ein solches Leben vorstellen?

Lars Hedegaard:

Ich schreibe Artikel, beantworte E-Mails und kümmere mich um die Herausgabe meiner Zeitung «Dispatch International». Ich bin beschäftigt.

Haben Sie Kontakt mit Ihrer Familie und Ihren Freunden?

Über Computer und Telefon.

Wie lange wird dieser Zustand dauern?

Ich habe keine Ahnung. Es hängt davon ab, was die Ermittler herausfinden werden.

Alle waren sich nach der Tat einig, dass es sich beim Attentäter um einen Jihadisten, um einen muslimischen Extremisten handelte. Warum?

Weil nichts anderes Sinn machte. Natürlich kann man es nicht mit absoluter Gewissheit sagen, solange man den Mann nicht gefasst hat. Aber wer könnte es sonst sein? Ich bin weder in organisierte Kriminalität verwickelt noch in Verschwörungen oder Sexskandale. Also hat es mit meiner Arbeit als Autor und als Präsident der Free Press Society zu tun.

Warum wurden Sie zur Zielscheibe? Haben Sie früher schon Todesdrohungen erhalten?

Nicht so offen, nein. Aber ich wurde zum Zielobjekt, weil ich mich als Publizist und Historiker in der Beschreibung des Islam und dessen Geschichte vernehmlich ausgedrückt habe.Und ich bin kein schlechter Schreiber. Wahrscheinlich hat dies bestimmten Leuten nicht gefallen. Wir wissen, dass in der Vergangenheit eine ganze Reihe Leute getötet wurden oder knapp einem Mordanschlag entgingen. Dies ist der Modus operandi der Jihadisten gegen ihre Kritiker. Gerade in Kopenhagen war dies nicht der erste Tötungsversuch. Die Redaktoren der «Jyllands-Posten» hätten schon einige Male getötet werden sollen. Einmal fing die Polizei im letzten Moment eine Gruppe ab, die aus Schweden eingereist war, um die Hinrichtung auszuführen. Der Zeichner Kurt Westergaard war das Ziel einer Axt­attacke, der er knapp entging. Und vor wenigen Tagen wurde der Besitzer einer Galerie in Jutland, die Westergaards Kunst verkauft, von zwei Männern angegriffen. Aber nicht nur in Kopenhagen, sondern in ganz Europa und auf allen Kontinenten verüben Islamisten Anschläge und Hinrichtungen. Es ist ein unheilvoller Trend.

Stellt der Jihadismus eine militärisch-politische oder gar eine zivilisatorische Bedrohung für Europa dar? Oder reichen übliche polizeiliche Mittel für die Eindämmung?

Der Jihadismus ist von einem polizeilichen Problem zu einem strategischen geworden, das die Zukunft unserer Zivilisation betrifft. Sie leben in der Schweiz und daher möglicherweise wie auf einer Insel. Aber die Bedrohung, die wir anderen erleben, wird schliesslich auch zu Ihnen kommen. Es geht um einen Kampf, um die Zukunft Europas und der westlichen Zivilisation. Im April 2006, nach dem Aufruhr um die Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard, schrieb der grosse Historiker Bernard Lewis in einer deutschen Zeitung einen bemerkenswerten Artikel. Er meinte, im Moment erlebten wir, dass die muslimischen Kräfte die Scharia als Gesetzessystem für Europa als bindend erklärt hätten. Dies war eine der klügsten Bemerkungen zu diesem Problem. In den letzten 40 oder 50 Jahren konnten Sie überall in der west­lichen Welt sagen, was Sie wollen, ohne befürchten zu müssen, dass ein bewaffneter Muslim vor Ihrer Tür auftaucht. Es gab diese Übereinkunft, dass wir hier unsere Gesetze haben und die anderen im Haus des Islam die ihren. Nun scheint es so, als ob sie denken würden, ihr Gesetz gelte auch für das Land, in dem wir leben. Und dies ist eine bedrückende Entwicklung. Ich bin sicher, sie wird nicht stoppen, sondern weitergehen von Generation zu Generation.

Was sind die Ursachen der muslimischen Wut, der Entschlossenheit der Jihadisten, zu zerstören und zu töten?

Dies ist Teil des Islam, es ist der Ruf des Islam. Wenn Sie sich mit islamischen Texten befassen, dann sehen Sie, dass die Gewalt Teil der Ideologie ist, die den Gläubigen verpflichtet, das Gesetz Allahs überall auf der Welt durchzusetzen. Die ganze Welt gehört Allah und jeder Mensch wird als Muslim geboren. Wenn es trotzdem Nichtmuslime gibt, dann wurden sie dies durch Verrat, und es ist obligatorisch für Muslime, die Ungläubigen ihrem Gesetz zu unterwerfen. Der Nichtmuslim hat drei Möglichkeiten: Er bekehrt sich, oder genauer: Er kehrt zum Islam zurück. Oder er weigert sich und bezahlt dafür eine Unterwerfungssteuer, die Dschizya. Oder er verweigert auch die Steuer, worauf er getötet werden muss. Dies sind die drei Optionen für den Nichtmuslim. Natürlich befürworten nicht alle Muslime diese Lösung. Aber so schreibt es der orthodoxe, klassische Islam vor. Und hier liegen die Gründe für die muslimische Wut. Unsere Führer und Politiker haben diesem Umstand nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Sie glauben, der Islam sei eine Religion wie Christentum, Judaismus, Buddhismus, Hinduismus und so weiter. Aber er ist es nicht, der Islam ist hauptsächlich eine politische, totalitäre Ideologie, die näher beim Nazismus und Stalinismus steht als beim Christentum, dem Buddhismus, der jüdischen Religion.

Es gibt verschiedene Formen des Islam. Die Schweizer Muslime etwa stammen mehrheitlich aus dem Kosovo und aus Bosnien. Sie kümmern sich nicht sehr um Religion. Ihre Sorge und ihre Bemühungen gelten dem weltlichen Alltag und der eigenen Familie.

Die ist kein Widerspruch zu dem, was ich sagte. Es gibt gute Muslime und schlechte Muslime, gehorsame und ungehorsame. Die Muslime, die Sie erwähnten, sind keine guten Muslime im klassischen Sinne. Sie verhalten sich nicht richtig. Sie können es mit dem Strafgesetzbuch eines Staates vergleichen: In Dänemark hat das Strafgesetz über 900 Paragrafen, und diese halten deutlich fest, was nicht erlaubt ist. Das heisst jedoch nicht, dass wir alle uns daran halten. Einige tun es, andere nicht. Das Strafgesetz verliert deswegen seine Verbindlichkeit nicht. Ebenso wenig, wie die Gültigkeit des islamischen Gesetzes aufgehoben wird durch die Tatsache, dass einige Muslime nicht gehorsam sind.

Wie reagierten die dänischen Medien, Kirchen, Politiker auf den Mordanschlag?

Sie waren entsetzt, dass eine solche Tat in einem derart friedlichen Land geschehen konnte. Natürlich benutzten auch einige Kollegen die Gelegenheit, um sich von meinen Ansichten zu dis­tanzieren. Wir mögen nicht, was Hedegaard schreibt und denkt, hiess es, der Mann ist ein Verrückter. Aber trotzdem sollte er nicht getötet werden. Das waren die Reaktionen in einigen Teilen der Medien. Aber niemand kam und sagte, schade, hat der Schütze nicht getroffen (lacht). Das ist wahrscheinlich ein gutes Zeichen. Sicher hätten mich einige schon gerne tot gesehen. Aber ich lebe noch.

Viele Linke bezeichnen jene, die vor einem intoleranten Islamismus warnen, der auch in Europa Fuss fasst, als Rassisten oder islamophobe Brandstifter. Islamistische Gewalttäter hingegen werden oft als Opfer von diskriminierenden Verhältnissen oder traumatischen Erlebnissen verharmlost. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Dies ist eine der schwierigsten Fragen. Ich glaube, das Weltbild der Linken würde zusammenstürzen, wenn sie nicht die sogenannten Islamophoben dafür verantwortlich machen könnten, was überall auf der Erde passiert. Denn dann müssten sie bedenken, dass auch sogenannte Minderheiten böse und im Irrtum sein können. Aber dies ist in ihren Augen keine Option. In der Weltsicht der Linken hat jeder recht und ist aufrichtig, der eine andere als die weisse Hautfarbe hat und einen fremdartigen Namen trägt. Und wenn dieser sich nicht richtig benimmt, dann muss jemand anders schuld sein, nämlich ein weisser Mann, der schon immer die bösesten Dinge getan hat. Dies ist die einzige Erklärung, die für sie Sinn macht. Sie können sich nicht vorstellen, dass jemand mit dem Namen Mohammed oder Ali ein böser Mensch sein kann.

Sie und ich, wir sind beides ältere Männer. Und ältere Männer malen die Zukunft häufig in dunklen Farben. Nicht, weil sie eine lange Lebenserfahrung und die guten Argumente haben, sondern weil sie spüren, dass ihre Zeit dem Ende zugeht. Haben Sie sich auch schon überlegt, ob diese existenzielle private Situation Ihre düsteren Prognosen für Europa beeinflussen könnte?

Ich denke, wenn ich vor 40 Jahren dieselben Informationen und dasselbe Wissen wie heute gehabt hätte, wäre ich auf dieselben Schlussfolgerungen gekommen.

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