Basler Zeitung

07.06.2016

Randnotiz

Der Überboxer

Von Eugen Sorg

Schon zu Lebzeiten war der Boxer Muhammad Ali eine Legende. Mit seinem Tod vor wenigen Tagen wurde er nun auch noch in den Stand der Heiligen befördert, und die Nachrufe der Kommentatoren gerieten zu Hagiografien, die jeden Makel aus dem Leben des Champs aus Kentucky tilgten. «Mohammad Ali war der Grösste. Punkt», dekretierte Präsident Obama, und der Guardian bilanzierte: «Ein Koloss nicht nur im Boxring, sondern auch in der Politik, der Kultur und der Religion.»

Alis Ruhm als moralische Leuchtgestalt gründet in seiner Verweigerung des Kriegsdienstes in den Sechzigern, als er nach Vietnam hätte einrücken sollen. Man entzog ihm dafür seine Boxlizenz und seinen Weltmeisterschaftstitel, eine Strafe, die nach drei Jahren aber wieder aufgehoben wurde. Doch die Motive für seinen zivilen Ungehorsam waren nicht nur edel und friedensbeseelt. Ali, der seinen alten Namen Cassius Clay abgelegt hatte, war Anhänger der obskuren, antisemitischen und rassistischen Sekte Nation of Islam geworden. Deren grössenwahnsinniges Oberhaupt prophezeite die Vernichtung des weissen Mannes, dieses «blonden, blauäugigen Teufels», und propagierte die Schaffung eines rein schwarzen Staates. «Ich drücke mich nicht vor einer Einberufung», sagte Ali damals, «aber ich ziehe in keinen Krieg, der nicht von Allah oder seinem Gesandten erklärt worden ist.» Aus dieser Zeit stammen auch seine Aussagen, dass «jeder schwarze Mann getötet werden soll, der sich mit einer Weissen einlässt. Dasselbe gilt für eine schwarze Frau.»

Erst nach dem Tod des Sektenführers und «letzten Gesandten Allahs» in den Siebzigern distanzierte sich Ali von dessen Extrempostulaten, hielt aber noch länger Kontakt mit den Nachfolgern.

Es gibt hellere sittliche Fixsterne als Ali. Zu stark auch waren seine Sucht nach Bewunderung, zu prahlerisch seine Auftritte, zu stillos, wie er seine Gegner als «Onkel Toms», «dumme häss­liche Gorillas» verhöhnte, zu gross die Bereitschaft, für Geld alles zu machen. Es erinnert an Donald Trump. Alis Art jedoch, im Ring zu kämpfen, seine Tollkühnheit, sein Stil inspirierten die besten Schriftsteller und berührten auch jene, die sonst mit Boxen nichts anfangen können. Ali war der grösste Schwergewichts-­Champion aller Zeiten. Das ist viel. Er braucht keine Kanonisierung.

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