bazonline.ch / Basler Zeitung / Eugen Sorg

01.02.2013

Dirndl-Gate

Die Sexismus-Affäre um den deutschen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und «Stern»-Journalistin Laura Himmelreich erhitzt die Gemüter – nicht nur in Deutschland. Aber was hat Brüderle eigentlich verbrochen?

Man kann davon ausgehen, dass es für eine junge attraktive Frau wie Laura Himmelreich ange­nehmere Situationen gibt, als von einem alkoho­lisierten, 40 Jahre älteren Mann in einer Hotelbar in Stuttgart umworben zu werden. Andererseits gehörte das in ihrem Fall gewissermassen zum Berufsrisiko.

Himmelreich ist Reporterin beim Nachrichtenmagazin «Stern», und der Mann, der ihr Komplimente zu machen versuchte, die aber eher wie schlechter Atem ankamen, war der ­Politiker Rainer Brüderle, FDP-Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Trotzdem hielt es Himmelreich, die nur Cola und keinen Alkohol trank, bis um ein Uhr morgens mit Brüderle am Bartresen aus. Sie hoffte, dass der Mann Informationen, Intrigen aus dem Politbetrieb preisgeben würde, Storys, aus denen Journalisten ihre Artikel fertigen.

Timing war ein politischer Entscheid

Es verging jedoch ein ganzes Jahr, bis der «Stern» die Geschichte des besagten Abends publizierte. Unter dem Titel «Der Herrenwitz» wurde Brüderle als Sexist vorgeführt. Die lange Zeit rührte nicht daher, dass die Journalistin psychologische ­Schäden des nächtlichen Rencontres zuerst hätte verarbeiten müssen. Es war ein politischer Entscheid, wie Himmelreich selber zugab. Brüderle war unterdessen zum Kanzlerkandidaten der ­Partei ernannt worden, und eine «Geschichte über das ‹neue Gesicht› der FDP», twitterte die Jour­nalistin, «hat nun eine andere Relevanz.» Der sich im rot-grünen Meinungsmilieu bewegende Chef­redakteur des «Stern» ergriff die Chance, den ­Spitzenkandidaten der ungeliebten Liberalen mit einer gezielten Schmutzstory politisch unmöglich zu machen.

Das Kalkül ging vorerst auf. Ein medialer Sturm der Entrüstung entlud sich auf den «übergriffigen» Politiker. Unter dem Hashtag #aufschrei gingen Zehntausende Tweets gegen den «alltäglichen Sexismus» ein, die meisten von Frauen, wie beispielsweise derjenige von Anne, die von einem Kommilitonen, offenbar einem Nachwuchs-Brüderle, erzählte, der «mir anbot, mich nach hause zu fahren und während der fahrt seine hand nicht von meinem knie nahm». Natürlich konnte auch die grüne Fraktionsvorsitzende Renate Künast nicht schweigen, die «Meisterin des moralischen Zeigefingers»: «Sexismus darf nicht mehr stillschweigend hingenommen werden! Flotte ­Sprüche, durch die Frauen zum Objekt gemacht werden, sind und bleiben unmöglich, da können sie noch so im Gewand eines ‹Herrenwitzes› daherkommen. Hier geht es um Respekt.»

«Ich weiche einen Schritt zurück»

Aber was hatte Brüderle eigentlich verbrochen? Man kannte nur die Version von Himmelreich, aber sogar diese gab kaum etwas her, das die Empörung der meisten Kommentatoren recht­fertigen würde. Eröffnet wurde die Begegnung an der Bar durch die Reporterin selbst, die Brüderle gefragt haben will, wie er es finde, im fortgeschrittenen Alter zum Hoffnungsträger aufzusteigen. Vielleicht hatte der Hinweis auf das «fortgeschrittene Alter» den fidelen Schwaben insgeheim angestachelt, der jugendlichen Blondine zu beweisen, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehört – man weiss es nicht. Auf jeden Fall soll er bald gemeint haben: «Mit Frauen in dem Alter kenne ich mich aus.» Und noch ein wenig später sei sein Blick auf ihren Busen gewandert, dem er den ­mittlerweile berühmt gewordenen Satz hinterherschickte: «Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.»

Eine Weile danach habe er sie gebeten, seine Tanzkarte anzunehmen, eine Redewendung, die Menschen unter vierzig Jahren nichts mehr sagt, und ausserdem habe er noch ihre Hand geküsst. Und als er um ein Uhr morgens von seiner Sprecherin vom Tresen weggeholt worden sei, «Herr Brüderle, es ist Zeit fürs Bett», sei er sehr nahe an die Reporterin herangetreten: «Ich weiche einen Schritt zurück und halte die Hände vor meinen Körper.» Den ganzen Abend standen noch weitere Leute am Tresen, Parteikollegen von Brüderle und andere Personen, und wenn ihr seine altväter­lichen Avancen zu unangenehm geworden wären, hätte sie ihn jederzeit stoppen oder die Szene ­verlassen können.

Ein gutes Zeichen für Deutschland

Soll das Prädikat «sexistisch» noch einen andern Sinn haben als den, Männer, die einem nicht sympathisch sind, zu beschimpfen, dann hat Brüderle nicht sexistisch gehandelt. Einer 28-jährigen Berlin-Korrespondentin einen Handkuss zu verabreichen und zu sagen, mit ihrer Oberweite würde sie gut in ein bayerisches ­Traditionsgewand passen, mag zwar kein ­gelungener Flirtvorstoss sein, aber es ist kein «frauenverachtendes» oder «diskriminierendes» Verhalten. Im Gegenteil, wahrscheinlich ist für jemanden wie Brüderle eine Frau im stramm gefüllten Dirndl das Nonplusultra ästhetisch-­erotischer Grazie.

Ich erinnerte mich dabei an eine Geschichte, die sich vor Jahren in einem Restaurant im westafrikanischen Abidjan abgespielt hatte. Einem Gast hatte die Kellnerin gefallen. Sie war üppig gebaut, und sein Blick verfolgte jede ihrer Bewegungen. Als sie das zweite Bier vor ihn hinstellte, sagte er: «Quand je te regarde, je tremble d’exitation.» (Wenn ich dich anschaue, zittere ich vor Erregung.) Die Kellnerin musterte den Mann einen Moment, schüttelt leicht den Kopf, drehte sich um, und während sie zurück zum Buffet wogte, wiederholte sie ein paar Mal den Satz, die Aussprache leicht karikierend, schüttelte erneut den Kopf und kicherte vor sich hin.

Gekichert und gelacht wurde auch an den anderen Tischen. Die meisten hatten die Szene mitbekommen und in angeregten Diskussionen kam man zum Resultat, dass die Anmache des Mannes als gelungen beurteilt werden musste: guter Einstieg, lustig, charmant. Dies kann man Brüderle vorwerfen: Anders als der Galan von Abidjan hat er die Situation, sich selbst und die Frau völlig falsch eingeschätzt. Und dies ist für einen Politiker ein schlechtes Zeichen. Für die Nachbarn der Deutschen jedoch ein gutes. Vor einem Land, das in einem Brüderle den Ausbund eines sexistischen Machos sieht, braucht man in den nächsten hundert Jahren keine Angst mehr zu haben.

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