Das Magazin

23.11.1996

Einmal im Leben

Der Kopf rät zum Bleiben. Der Körper möchte Abwechslung. Das Herz will beides. Um zu verstehen, wieso ein Paar zusammenbleibt, suchte Eugen Sorg per Zeitungsinserat ein Paar, das seit mindestens 40 Jahren zusammenlebt. Maria und Roger Stäuble, seit 45 Jahren verheiratet, stellten sich der Neugier des Autors.

Text EUGEN SORG Foto CHRISTIAN KÄNZIG

Wir trafen uns in der Wohnung des Ehepaars Stäuble in Zürich-Schwamendingen. Freundlicherweise willigten Maria und Roger ein, getrennt voneinander meine Fragen zu beantworten und sich vor Ende der Interviews nichts vom Gesagten zu verraten.

Als sie zum ersten Mal die Antworten des anderen lasen, meinte Roger, es stimme genau, was seine Frau erzählt habe. Maria hingegen störte es, dass Roger gesagt hatte, sie wolle dominieren. Dies stimme überhaupt nicht. Auch stelle er ihre Eltern schlecht hin. Als hätten die immer gestritten. Du übertreibst, sagte daraufhin Roger. Nein, sagte sie, du übertreibst, und zwar sehr. Und warum, setzte sie nach, und ihre Stimme hatte einen ungemütlichen Unterton, warum erfahre sie eigentlich erst jetzt, dass er sich, als sie bereits verheiratet waren, mit seiner Exfreundin getroffen habe?

Wie haben Sie sich kennengelernt?

Roger Stäuble: Es war an einem Wochentag, und ich war mit Walti, einem Kollegen, zusammen. Wir wohnten beide im Niederdorf, im Negerdörfli, er an der Steinbockgasse und ich an der Brunngasse. Ich bin 1931 geboren, wir waren damals etwa 17 und beschlossen, auf die andere Stadtseite zu gehen, zur Tanzschule Schaffner unterhalb vom Kino Apollo beim Stauffacher. Dort traf sich damals die Zürcher Jugend. Ich sah sie sofort. Mit ihrer kleinen Schwester ging sie die Treppe hinunter. Sie war mein Typ. Blonde Haare, blaue Augen. Sie war auch Waltis Typ. Wir sprachen sie an und verabredeten uns.

Maria Stäuble: Ich war ein bildhübsches Mädchen und hatte einen strengen Vater. Ich musste immer die kleine Schwester mitschleppen, als Aufpasserin, sie war neun Jahre jünger. Am Stauffacher war ein Dancing, wo sie Platten auf einem Grammophon mit Kurbel abspielten. Ich ging dort mit der Schwester die Treppe hinunter, und er kam mir mit einem Kollegen entgegen. Als ich wieder hochkam, sprachen mich die beiden an. «Können wir uns wiedersehen?» Ich hatte auf den ersten Blick meinen Mann im Auge. Er war schlank, elegant, mit Anzug und Krawatte und mit einer Swingwelle wie derjenige, der kürzlich starb und so dick geworden war, wie hiess er schon wieder, richtig, Elvis. Item, wie Elvis hatte er die Haare mit Brillantine schön nach hinten gedrückt. Mein Vater benützte auch Brillantine, sie roch und machte die Kissen schmutzig. Wir machten ab auf dem Bänklein beim Bahnhof Selnau. Ich war damals ungefähr 17, kam 1932 auf die Welt und wohnte an der Hellmutstrasse im Kreis 4.

Wie verlief das erste Rendezvous?

Roger Stäuble: Wir trafen uns zu dritt auf der Bank, es war ein schlechter Abend, sie aber war mutig und sagte, mit zweien läuft nichts. Wir sassen da wie begossen. Dann sagte ich, du musst dich entscheiden, und sie entschied sich für mich. Die kleine Schwester war diesmal nicht dabei. Ich machte wieder ab, zum Tanzen im «Trocadero» an der Nüschelerstrasse, sie spielten dort Live-Musik, Swing, Benny Goodman und diese Sachen. Ich weiss nicht mehr, wie lange die Episode dauerte. Ich weiss nur noch, wo ich gewartet habe, als sie nicht mehr kam. Es war an einem Sonntagmorgen vor dem Kino Roxy. Eine Woche später sah ich sie mit der neuen Flamme im «Trocadero». Er hiess Louis und sah aus wie ein Italiener. Ich holte mir sofort eine zum Tanzen, obwohl ich ein schlechter Tänzer war, ausser beim Jitterbug, ein athletischer Tanz. Ich habe sie nicht zur Rede gestellt, ich war eher zurückhaltend. Schüchtern, würde sie sagen. Mir passt das Wort nicht. Anständig wäre richtiger.

Maria Stäuble: Zu dritt schwatzten wir an diesem Abend. Ich nehme an, die beiden warteten, welchen ich vorziehe, also entschied ich mich. Ich machte mit meinem Mann wieder ab auf einen der folgenden Tage, wo, weiss ich nicht mehr. Obwohl er verliebt war, getraute er sich kaum, mich zu halten. Er war eben schüchtern. Wir waren zirka ein halbes Jahr zusammen, dann lernte ich einen vom Erismannhof kennen. Aber der tanzte nicht gern. Darauf machte ich die Bekanntschaft von Louis, einem Filou, einem, der jede Frau haben konnte. Er war 23 und hatte ein eigenes Zimmer. Dorthin lud er mich eines Sonntags ein. Ich sagte zu und erzählte meinem Vater, ich ginge zur Kirche. Der Vater war wie die Mutter Tessiner, Gipser aus Tesserete, ein guter Mann, aber mit Wutausbrüchen. Ich ging also zu Louis, wir legten uns auch ins Bett, aber gemacht haben wir nichts. Du bist stur, sagte er. Später trennten wir uns wieder. Ich sagte mir immer, ich gehe erst dann intim mit einem Mann, wenn ich weiss, dass ich ihn heirate.

Wie habt ihr euch wieder gefunden?

Roger Stäuble: Ich war ein Jahr ohne Maria. Ich lernte eine andere kennen. Sie sei nicht hübsch, sagten die Kollegen, aber ich ging mit ihr. Es hätte fast gefunkt. Sie war blond und blauäugig. Nebenbei lief sie einem Musiker nach, wurde von diesem schwanger, aber ich war der Hauptfreund. Gleichzeitig hatte ich noch eine Freundin im Niederdorf. Ich fuhr mehrspurig. Eines Tages traf ich die Mutter von Maria. Ich hatte ein Velo, viel Zeit und gute Beziehungen zum Kreis 4. Ich fragte, was Maria so mache. Komm doch mal vorbei, sagte die Mutter, und am Samstagnachmittag radelte ich wieder in der Gegend herum. Ich sah Maria an der Langstrasse, stieg vom Velo, fing an an zu plaudern und machte wieder ab mit ihr. Ich hatte sie nie vergessen, obwohl ich dies immer abstritt. Wir wurden wieder ein Paar, mehr noch als vorher.

Maria Stäuble: Einmal kam meine Mutter nach Hause und erzählte, sie habe Roger gesehen, ein trauriges Gesicht habe er gehabt. Kurz darauf traf ich ihn selber, er war auf dem Velo, trug Knickerbocker, und der Hemdkragen war verchruglet, zerknüllt. Wir taten uns wieder zusammen, er machte mir keine Vorwürfe. Er ist schüchtern.

Hattet ihr vor der Ehe intimen Verkehr?

Roger Stäuble: In der Zeit ohne Maria hatte ich Erfahrungen gesammelt. Mit Maria hatte ich überall Verkehr, draussen, hinter Hausecken.

Maria Stäuble: Wir fuhren mit den Velos zum Greifensee. Dort passierte es. Ich übernahm die Initiative, er hat dann mitgemacht. Er ist kein Draufgänger, genau wie sein Bruder. Das liegt an der Erziehung durch die Mutter. Es war mehr schmerzhaft als schön. Später gingen wir in Neubauten, wir hatten ja kein Zimmer. Es wurde damals im Kreis 4 viel gebaut, ein Kollege arbeitete auf dem Bau und wusste, wohin man gehen konnte. Einmal waren wir in Höngg im Dancing «Trotte». Nebenan stand ein Gartenhäuschen. Inmitten der Kartoffeln machten wir es. Die Musik war schöner damals, es gab Elvis und all die anderen. Mein Mann liebte die schnellen Stücke, ich die langsamen. Ich bin romantisch veranlagt. Ob der Mann ein guter Tänzer war? Na ja. Nicht schlecht.

Warum haben Sie geheiratet?

Roger Stäuble: 1945 war ich mit der Schule fertig geworden. Oberschule. Alle anderen machten eine Lehre. Ich nicht. Der Bruder drohte mir, ich werde versorgt. Als Maria und ich wirklich ein Paar wurden, trat ich in die Firma Gütermann Nähseide ein. Päckli vertragen für 350 Franken im Monat. Dann kam die Hiobsbotschaft, ich machte gerade die RS: Maria war schwanger. Ich schlug vor, dass ich eine Lehrstelle suche, einen Beruf lerne und dann Maria heirate. Ihre Familie war nicht einverstanden. Es wird geheiratet, bestimmte der Vater und bot uns an, in ihrer Dreizimmerwohnung an der Hellmutstrasse zu wohnen. Er bezahlte auch den Kinderwagen und die Hochzeit. Die fand in einem italienischen Restaurant an der Badenerstrasse statt. Acht Personen, keine Musik, nichts, mein Bruder kam nicht, eine triste Angelegenheit, furchtbar. Hinterher zog ich direkt an die Hellmi, ins Kinderzimmer der Frau, mit nichts als meinem Radioapparat unter dem Arm.

Maria Stäuble: Wir waren abends oft in der Bäckeranlage, hörten Grammophonplatten, die Burschen rissen Blumen ab und schenkten sie den Mädchen. Eine böse Alte im Park sagte einmal über mich: Hoffentlich kommt die mal hops nach Hause. Ich regte mich wahnsinnig auf. Dann hatte ich plötzlich keine Periode mehr. Ich war 18. Ich sagte es der Mutter, die dem Vater, und der schimpfte mit ihr, dass sie mich nicht aufgeklärt habe. Roger war in der RS, ich habe alle Briefe aufbe-wahrt, er war noch keine 20, hatte kein Geld, es war nicht gerade ideal für ihn, dies merkte ich. Sein Vormund musste der Heirat zustimmen. Ich habe Roger nicht gezwungen. Wir heirateten am 13. Oktober 1951, am 26. Oktober kam der Sohn auf die Welt.

Wie ging es finanziell?

Roger Stäuble: Beruflich lief anfänglich nichts. Ich arbeitete in einer Firma, die man liquidierte, ich konnte mir mein Arbeitszeugnis selber schreiben. Damit stellte ich mich bei der SBG vor, an der Bahnhofstrasse 45. Ich fing in der Spedition an, machte eine interne Ausbildung, war gut und tüchtig und biss mich hoch. Ich merkte, das Kaufmännische ist mein Job. Aber ich kam nur bis zu einem gewissen Punkt. Als ich aufs Büro wechseln wollte, verlangte Personalchef Dr. Schäfer nach meinen Schulzeugnissen. Ich war nur in Turnen und Geographie gut gewesen. Solche Zeugnisse könne sich die Bank nicht leisten, meinte er, und ich schmiss den Bettel hin. Bei der «Zürich»-Versicherung fing ich am 1. Januar 1954 an. Ich habe die Stelle mit einem kleinen Schlungg gekriegt. Die Firma hatte einen alten Personalchef. Der sass an einem riesigen Pult, vor sich die Bewerbungen, ein Nachttischlämpchen lieferte die Beleuchtung, der Raum lag im Halbdunkeln. Er bemerkte nicht, dass ich aus meinem SBG-Zeugnis die Seite herausgerissen hatte, wo stand, dass ich keinen KV-Abschluss hatte. Mein Anfangslohn war 550 Franken, ich war gut an der Schreibmaschine, die erste IBM-Kugelkopf stand auf meinem Tisch. Der Stäuble kommt mit allen Maschinen zurecht. Ein kontinuierlicher Aufstieg begann, und ich blieb 40 Jahre bei der Firma.

Maria Stäuble: Ich hatte Freude am Coiffeuse-Beruf. Aber eine Lehre hätte zu lange gedauert. So arbeitete ich als Handnäherin für 1.70 Franken die Stunde in einem Atelier beim Goldbrunnenplatz. Schon in der Schule hatte ich gemerkt, dass ich Talent zum Nähen habe. Der Mann war nicht dagegen, er wusste, dass wir das Geld nötig haben. Später arbeitete ich als Verkäuferin beim Jelmoli in Oerlikon, als Aushilfe, es gefiel mir. Ich war auch im Service, bekam viel Trinkgeld, ich war angenehm mit den Leuten und liess nichts an ihnen aus. ·

Was waren die ersten Eheschwierigkeiten?

Roger Stäuble: Ich war verliebt in meine Frau, doch die Umstände waren grauenhaft. Ich hatte ewig Streit mit den Schwiegereltern, und ich war wenig zu Hause wegen des Sports. Abhauen wollte ich erst nach einem Jahr. Mir fiel die Decke auf den Kopf. Ich nahm wieder Kontakt mit der Ex auf, sie war aber immer noch mit dem Musiker zusammen.

Maria Stäuble: Fussball war ihm wichtiog wie nichts anderes. Er war ganz versessen darauf. Damals regte mich das auf. Ein Mann sagte mir: «Was, wegen des Fussballs lässt er Sie allein? Das würde ich nie tun.» Später dachte ich, der Fussballplatz ist immer noch besser als das Wirtshaus. Es war eine schwierige Zeit. Wir lebten mit den Eltern, hatten nur ein Zimmer, es gab kein Warmwasser, wir wuschen uns im Becken vor dem Ofen. Früher ging ich mit der Mutter ins Volkshaus. Sie mietete eine Badewanne für uns beide. Meine Mutter war nervös und vertrug sich nicht mit Roger. Wenn nicht die Sache mit dem Kind gewesen wäre, hätte er im Fussball gross herauskommen können.

Wer hat das Geld verwaltet?

Roger Stäuble: Mit Zahlen konnte ich nichts anfangen. Die Frau war da enorm gut. Dabei war sie auch nicht gerade die beste Schülerin gewesen. Anfangs gab ich mir selber Sackgeld. Nach jedem Training ging man in die Beiz, und ich trainierte viel. Meine Frau rechnete aus: Zins, Haushaltsgeld, Kleider, der Rest für das Wochenende. Ich beklagte mich, das sei zuwenig, die Kollegen würden auch essen. Sie blieb hart. Ich musste den Kollegen sagen, ich habe keinen Hunger. Es war ein Kampf. Sie gewann. Ich bin kein Macho-Typ.

Maria Stäuble: Anfangs hatte er noch mehr mit dem Geld zu tun. Aber das ist lange her.

Wer hat die Kleider und die Wäsche

ausgesucht?

Roger Stäuble: Ich kannte die Modetrends. Ich trug eine Schale von Illitsch, Masskonfektion, dem Schneider neben dem «Trocadero». Er machte es mir billiger, weil er ein Fussballfan war, von den Young Fellows. Aber ich gebe es zu, sie half mir beim Auswählen. Sie war ein schönes Mädchen, etwas zu klein, um ganz gross als Mannequin einsteigen zu können, aber elegant, mit wunderschönen Beinen und hohen Absätzen an kleinen Schuhen. Sie brachte den Neid in die Genossenschaft Schwamendingen, als wir dorthin umzogen. Aha, hiess es, Madame geht im Tailleur posten. Ich war eher der sportliche Typ, am liebsten locker. Wir kauften zusammen ein; Die Unterwäsche und die Socken hat sie ausgesucht.

Maria Stäuble: Der Mann hörte auf mich. Jetzt trägt er Jeans, das stört mich, er sollte mindestens etwas Besseres anziehen, wenn wir in die Stadt gehen. Aber ihm ist es wohl. Socken und Unterwäsche kauften wir zusammen. Bei den Hygieneartikeln war ich auch bestimmend.

Wer war für die Ordnung im Haus

verantwortlich?

Roger Stäuble: Ganz klar die Frau. Aber es gab keine Konflikte deswegen.

Maria Stäuble: Als wir noch an der Hellmutstrasse wohnten, hat der Mann jeden Freitag das Parkett im Gang gespänelt und geblochert. Aber sonst machte ich alles im Hause. Seit er nicht mehr arbeitet, macht er manchmal die Küche.

Haben Sie durch die Ehe etwas aufgegeben?

Roger Stäuble: Ich kannte Carletto Rognini, die Gebrüder Brizzi, Raffaele und Bruno, alles Italozürcher aus dem Kreis 4, fussballerische Riesentalente, für mich die Besten. Es waren meine Fussballfreunde. Ich war ebenfalls ein Talent. Ich spielte bei den Junioren von Blue Stars, dann bei den YF, zusammen mit Bruno Brizzi. Ich spielte hinten, Brizzi vorne. Aber mein Weg führte woanders hin, nachdem das Kind auf die Welt gekommen war. Als Brizzi dann in der Nati A spielte, schrieb der «Sport», ihm, Brizzi, würde der Mann fehlen, der von hinten die Pässe spielt.

Maria Stäuble: Etwas aufgegeben? Ich glaube nicht. Gut, ich führte Badekleider vor, für ein Judengeschäft im Quartier. Ich hätte damit auch ins Ausland gehen und Geld verdienen können. Ich war schlank und passte in jedes Kleid. Gern hätte ich auch getanzt oder als Schauspielerin auf der Bühne gestanden. Das war in mir. Als Mädchen habe ich einmal gesungen. Es war in einer Beiz an der Fasnacht. Der Auftritt gefiel mir, und man gab mir Geld. Aber dann war ich verheiratet und hatte andere Probleme. Die Zeit vergeht zu schnell.

Was hat Sie am anderen gestört?

Roger Stäuble: Meine Philosophie war: Ich erlaube ihr, was ich mir selber erlaube. Sie hat nicht danach gelebt. Sie ging zweimal pro Woche tanzen, über Jahre hinweg. Sie hatte merkwürdige Freundinnen, die mir nicht passten. Eine hatte einen Freund, obwohl sie verheiratet war, ihr Mann wusste sogar davon. Ich hatte Angst, dass meine Frau dasselbe macht. Sie sah wahnsinnig gut aus. Manchmal kam sie um zwei Uhr morgens nach Hause. Oder noch später. Dann hatten wir Streit. Einmal kam sie, als ich gerade auf den Bus zur Arbeit ging. Wo sie gewesen sei? Dort und dort, sie erzählte irgend etwas, ich war dumm und glaubte ihr. Einmal ging ich nach dem Training mit Kollegen ins Dancing «Aramis». «Schau», sagte einer, «dort ist ja deine Frau.» «Ja», spielte ich den Coolen, «ich weiss.» «Aber du lässt das zu?» fragte er. «Sicher», antwortete ich.

Warum ich es ihr nie verboten habe? Ich weiss nicht, was passiert wäre, hätte ich es getan. Ich sagte nur: Warum musst du immer tanzen gehen? Komisch, wie der Mensch zwei Gesichter hat. Im Geschäft sagten sie mir immer, ich solle nicht so die Autorität herauskehren. Da bin ich meinem jüngeren Sohn ähnlich. Er ist mit seinen 36 Jahren ein strenger Chef, zu Hause aber hat die Frau das Sagen. Wobei ich nicht unter der Fuchtel meiner Frau bin. Dagegen verwahre ich mich. Toleranz geht bis zu einem gewissen Limit, dann wird sie Dummheit. So weit ging es bei mir nicht. Sie tanzte schändlich gern. Ich nicht. Ich kenne keinen Fussballer, der gern tanzt.

Maria Stäuble: Was mich störte an ihm? Eine schwierige Frage. Er hat mich nicht schlecht behandelt, mir nichts befohlen, nicht gesagt, du darfst das nicht und jenes nicht. Ich wehrte mich auch immer. Er war zu wenig forsch, zu zurückhaltend. Andere Männer haben es mehr mit Händchenhalten, Schöne- Worte-Sagen, sind zärtlicher. Wollen Sie das wirklich schreiben? Er kann einem schlecht das Gefühl geben, dass man geliebt wird. Übertreibungen und Heucheleien brauche ich nicht, aber etwas mehr hätte ich gerne gehabt. Erst als ich vor einem Jahr im Spital lag, merkte ich so richtig, dass ich ihm nicht gleichgültig bin.

Wie stand es mit der Treue?

Roger Stäuble: Im Herzen war ich meiner Frau immer treu. Wenn Sie 40 Jahre in einer Firma arbeiten, lernen Sie viele Frauen kennen. Aber, und das tönt jetzt vielleicht komisch, ich war nie in eine andere verliebt. Ich spielte mal den Beau in einer Bar, um den Kollegen zu imponieren, es gab viele Techtelmechtel. Aber eine Beziehung, die ernsthaft die Ehe in Frage gestellt hätte, gab es nicht. Im Geschäft war ich ein initiativer Typ. Ich erfand die erste maschinelle Verarbeitung von Policen, mit Fotokopien, ein Vorgänger des Computers. Männer nützen Abhängigkeiten aus. Chefs machen das so. Das muss ganz ehrlich gesagt sein. Ich war auch Chef. Aber oft werden Sie von der Frau genauso ausgenützt, weil die auch aufsteigen will. Ich glaube, meine Frau hätte mir so etwas nicht zugetraut. Was ihre Treue betrifft, ging ich davon aus, dass sie die Ehe nicht aufs Spiel setzt. Wobei ich nicht weiss, ob da etwas lief. Von mir wusste sie auch nichts. Ich habe ihr vertraut.

Maria Stäuble: Bis vor einigen Jahren ging ich mit einer Freundin regelmässig tanzen. Ich tanze gerne, es ist auch gut für den Kreislauf. Mein Mann hat nicht blöd getan, er hatte Vertrauen und seinen Sport. Einmal hatte der Mann meiner Kollegin ein Auge auf mich geworfen. Ich sagte ihm, wir könnten zusammen plaudern und essen gehen, aber mehr nicht. Er hat es mit der Zeit eingesehen. Ich erzählte es meinem Mann. Er wurde zuerst wütend. Ich aber sagte ihm, es brauche immer zwei. Wenn es gegenseitig sei, garantiere ich für nichts, wenn beide verknallt seien, dann passiere es. Beim Tanzen gab es auch Ausländer, gutaussehende. Aber ich würde nie meinen Mann deswegen verlassen. Und bei den Schweizern stimmte das Alter nicht, sie waren zu jung. Mein Mann sah, dass Jüngere auf mich standen. Aber wir haben nie darüber geredet. Er fühlte sich ein bisschen mitschuldig, dass ich so oft auf den Tanz ging, und wollte nichts Genaueres wissen. Ich sagte ihm, wenn eine Frau fremdgeht, dann fehlt ihr etwas zu Hause.

Wie wichtig war Sex?

Roger Stäuble: Wir sind Grosseltern. Aber bei uns läuft noch was im Bett. Sie ist eine rassige Frau, Sex war immer für beide wichtig, es gehört dazu.

Maria Stäuble: Der Sex gehört zum Leben wie das Essen. Ich bin Geniesserin, Sex war nie im Hintergrund, bis heute. Wenn man älter wird und die Erfahrung zunimmt, wird es schöner. Wenn man den richtigen Partner hat. Der Mann muss einfühlsam sein und zärtlich. Wer behauptet, es sei nicht wichtig, lügt oder empfindet nichts. Für mich sind das merkwürdige Frauen, die sagen, sie seien froh, wenn es vorbei sei. Die sind kalt oder krank. So was erbt man von den Eltern, die Gene spielen eine Rolle. Die Initiative kam mehr von mir. Aber Sex war kein Mittel zur Versöhnung. Bei Streit rief ich aus, sagte meine Meinung, während der Mann eher kopfte. Erst wenn alles vorüber war, klappte es auch im Bett wieder. Heute finde ich, dass es vollkommen falsch ist, wenn man ohne Erfahrung heiratet. Man muss wissen, ob man auch in sexueller Beziehung zusammenpasst. Wenn dies stimmt, muss man es nicht woanders suchen. Es gibt ledige Männer, die kommen besser draus als solche, die lange verheiratet sind.

Was stört Sie heute am anderen?

Roger Stäuble: Sie redet mir dauernd drein, sie blamiert mich, auch vor den Kollegen, und sie korrigiert mich, wenn sie findet, ich sage etwas nicht ganz richtig. Sie will dominieren, und das stört mich grausam. Ich bin auch schon ausgeflippt. Danach muss ich hinaus, aufs Velo, Dampf ablassen. Ich vermisse die Kollegen, seit ich nicht mehr arbeite. Ich habe keinen zum Reden. Aber ich bin selber schuld. Jeden Donnerstag trifft sich eine Jassrunde in der Beiz, auch ehemalige Nati-A-Spieler sind darunter. Doch ich gehe nicht hin.

Maria Stäuble: Seit er nicht mehr arbeitet, kann ich keine Ordnung mehr halten. Die Kissen sind zerdrückt, die Duschtüchlein hängen blöd, die Zahnpastatube steht schief im Glas, alles lässt er liegen. Früher verliess er das Haus, und ich habe die Teppichfransen geradegestrichen. Jetzt geht das nicht mehr. Was ihn an mir stört? Früher nichts. Ich wüsste nicht, was. Höchstens, dass ich ab und zu ein frecher Cheib war, wenn ich mich durchsetzen musste. Doch seit etwa zehn Jahren habe ich Tiefs und grüble viel. Ich habe Schwindelanfälle, wenn ich hinausgehe. Alles dreht sich, ich kriege Panik. Ich kann nicht mehr allein sein. Auch nicht im Bett. Wenn es mir trümlig wird und ich die Hand ausstrecken kann, um Roger zu berühren und zu sehen, dass er da ist, dann geht die Angst weg. Ich bin angewiesen auf ihn, und das stört mich.

Warum sind Sie zusammengeblieben?

Roger Stäuble: Es gab nie einen Trennungsgrund. Ein Grund wäre, wenn der andere ein Verhältnis hätte. Oder wenn man sich auf den Wecker geht. Oder wenn man alles schluckt. Wie ich früher. Aber das mache ich heute nicht mehr. Eine Ehe funktioniert auch nicht, wenn man finanziell untendurch muss. Meine Familie war arm. An der Brunngasse gab es nur im Gang ein Kaltwasserbrünneli. Im Winter war es dort fünf Grad minus. Bevor ich in die Schule ging, benetzte ich schnell das Gesicht mit Wasser. Der Lehrer sagte, einer in der Klasse stinke. Das war ich. Ich bin labil, ein unruhiger Mensch, ich kann nicht warten. Ich habe viele Lehren angefangen und wieder aufgehört. Ich ging lieber Fussball spielen. Unsere Niederdorf-Clique geriet auf Abwege. Mein Freund Iseli hatte sich drei Mädchen aufgetan, die für ihn den Tippel machten. Ein anderer wurde später im «Tages-Anzeiger» als «König der Unterwelt» bezeichnet und wanderte ins Zuchthaus. Mein Bruder arbeitete und brachte Essen. Ich arbeitete nichts. Erst als ich fest mit Maria zusammen war, ging es aufwärts. In der «Zürich»-Versicherung hatte ich den Ruf des guten Fussballers. Obwohl ich es nicht eigentlich war. Die Firma beauftragte mich mit dem Lehrlingsturnen. Ich konnte es gut mit den Jungen. Ein Schüler schlug mich einmal von hinten. Ich sagte, gut, wir machen einen Boxkampf. Ich habe als Jugendlicher geboxt, Welter, mit Lizenz. In zehn Sekunden lag er auf der Matte. Ab da hatte er Respekt. Ich arbeitete mit anderen Methoden als die Gebildeten. Einmal musste ich zum Chef. Ich hatte Leute zusammengestaucht. Zugegeben, ich überschätzte mich oft. Der «Sport» beispielsweise meinte mit dem fehlenden Mann hinter Brizzi nicht mich, sondern Max Brun, der dann bei Bellinzona in der Nati A spielte. Das heisst, um ganz ehrlich zu sein, der «Sport» hat nie so etwas geschrieben. Meine Frau ist verantwortlich, dass ich im Leben aus der Scheisse herausgekommen bin. Sie war vom Aussehen her ein Star. Jeder Kollege hat bei ihr gepickelt. Wenn Sie mich fragen, warum die Ehe hielt, würde ich sagen, es war die Toleranz.

Maria Stäuble: Warum ich geblieben bin? Es hat mehr gestimmt als nicht. Für eine Trennung braucht es extreme Sachen: schlagen, saufen. Er war angenehm. Bis er aufbraust, braucht es viel. Und je länger man zusammen ist, desto mehr Mut muss man haben, um sich zu trennen. Wenn man älter wird, nervt der Partner mehr. Er gibt ab, will nicht mehr wahrhaben, verdrängt alles. Der Mann sagt, einverstanden, alt werden ist nicht schön, aber es gibt kein Entweichen. Ich aber finde es schrecklich. Er freut sich immer auf die Ferien. Aber in den Ferien wird man auch älter. Wenn man die Figur halten kann, ist es eine Freude. Liften dagegen entstellt nur. Und wenn eine richtig hässlich war, bleibt das immer sichtbar. Junge Hübsche haben es leichter im Leben, die Hässlichen können einem leid tun. Doch sie leben ja auch. Vielleicht sogar zufrieden. Warum er geblieben ist? Weil er mich gern hat. Es war ihm wohl, sonst wäre er davongelaufen. Ich bin eine gute Hausfrau, ich habe die Kinder saubergehalten, ich konnte das Geld einteilen, wir fuhren als Familie in die Ferien. Er hat auf mich gewartet, wenn ich einkaufen ging, und wir gingen zusammen wieder nach Hause. Wir waren sehr viel zusammen. Am schönsten war es, als die Kinder klein waren, der Jüngere kam 1960 auf die Welt. Die schönen Zeiten trägt man in sich. Man muss dem Partner nicht alles sagen. ·

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