Die Weltwoche

09.01.2003

Spiritualität

Falsche Heilige

Hinter dem Brimborium esoterischer Sekten und New-Age-Orden verbirgt sich meistens nur eine Absicht: Die Gurus wollen Sex.

Von Eugen Sorg ·

Optimal vorgesorgt: Raël mit Anhängern.

Die Ankündigung der Ufo-Sekte Raël, sie habe am 26. Dezember im Geheimlabor ihrer Firma Clonaid das Menschenkind Eva erschaffen, den ersten Humanklon der Geschichte, war eine schamlose, aber erstklassige Werbeaktion. Sie bescherte der Gruppe einen weihnachtlichen Grossauftritt in den globalen Medien. Irritierend war, wie dieses angeblich wissenschaftliche Epochenereignis von den Anhängern präsentiert wurde.

Clonaid-Chefin Brigitte Boisselier, Sekten-«Bischöfin» und Mittvierzigerin, welche der Weltpresse die Mitteilung überbrachte, wirkte mit ihrem engen Kleid, der offenen Haarmähne und den aufgespritzten Lippen wie eine welkende Bardame. Auf anderen Bildern waren feiernde Jünger zu sehen, Männer mit langen Haaren und Medaillons an Goldkettchen, wie späte Disco-Hippies in spanischen Touristenzentren, Frauen mit tiefen Ausschnitten und vor Lipgloss starrenden Mündern.

Herumtreiber, Autojournalist, Guru

Die Performances rochen nach kalkulierter Erotik und berechnender Frivolität, nach Täuschung und Lüge und nicht nach Arbeit im Forschungslabor. Die offizielle Botschaft war mit einer zweiten, inoffiziellen aufgeladen, mit einer Verführung, als ob sie der ersten selber nicht glauben würden: Wir bieten nicht nur Unsterblichkeit sondern auch trivialen Sex.

Das Spiel mit den Primitivimpulsen verweist auf Sektenoberhaupt Raël, bürgerlich Claude Vorilhon, einen 55-jährigen Franzosen, der sich gerne im Raumschiffstil kleidet. Die Lebensleistung des unehelichen Kindes, jugendlichen Ausreissers und Herumtreibers, erfolglosen Chansonniers, ehemaligen Autojournalisten und, wie er behauptet, leiblichen Bruders von Jesus ist es, mit Ausdauer, Schlauheit und hirnrissigen Lehrsätzen eine funktionierende paradiesische Privatwelt designt zu haben.

Nicht nur überweisen ihm Tausende von hörigen Verehrern regelmässig ihr Geld. Vor allem für seine Triebgelüste hat der megalomane Hobbyrennfahrer Vorilhon optimale Vorsorge getroffen. Ein von ihm ins Leben gerufener «Orden der Engel von Raël» beispielsweise umfasst Frauen, junge, schöne, wohlgebaute Geschöpfe, auserwählte Trägerinnen von rosa Federn, deren Ehre und einzige Aufgabe darin besteht, ihrem von den Ausserirdischen gesandten Meister in jeder Beziehung zu Diensten zu stehen.

Schlecht getarnte Gelüste

Dass Gottesgeschwafel, Astralmumpitz und Geraune von Übersinnlichem die Absichten im Unterleibsbereich verklären sollen, ist eine Konstante in der Geschichte der Heiligen, Quacksalber und Sondergruppen. Hinter den Erleuchtungen, Offenbarungen und feinstofflichen Erscheinungen her zieht sich eine rasputinsche Spur der Körpersäfte. Das esoterische Brimborium verbirgt in der Regel das kleine, aber mächtige Geheimnis der profanen sexuellen Gier.

Selten steht der Prophet so offen zu seinem Ziel wie der legendäre Sexualsataniker Alister Crowley. Sein Credo hielt der aus einer frömmelnden Christenfamilie stammende schizoide Egokrat im «Gesetz von Thelema» fest: «Tu, was du willst, soll sein das Gesetz.» Er liebte es, sich in altägyptische Fantasiekluft zu hüllen, gründete verschiedene Orden und entwickelte eine ganze Reihe von Sexualritualen, die er mit seinen zahlreichen Anhängerinnen durchexerzierte. Als er dann vor 55 Jahren als mittelloser Heroinsüchtiger starb, betitelte ihn die Presse als «verderbtesten Menschen der Welt». ›››

Seine Schriften werden heute noch regelmässig aufgelegt, er gilt als Hellseher und Magier, und vor allem unter Liebhabern von Heavy-metal-Bands wie Slipknot wird er als Kult gehandelt.

Die allermeisten Erlöser tarnen ihre Gelüste besser. Vati Baumann beispielsweise, der in den siebziger Jahren mit der Einfalt des Knechtes und der Witterung eines Spürhundes gläubiges Bauernvolk und Kleingewerbler aus den Schweizer Voralpen um sich scharte, machte seine sexuelles Praktiken mit minderjährigen Mädchen, mit den «reine Ängeli», wohlweislich nie zum Thema seiner Predigten.

FBI in der Gestalt des Satans

Ebenso fand der kollektive Gebrauch von Jungfrauen durch die erlauchten schweizerisch-kanadischen Sonnentempler-Oberen in der Verschwiegenheit von Kulträumen statt, welche ausschliesslich dem innersten Kreis vorbehalten waren.

Und das Oberhaupt der adventistischen Davidianer, der charmante Wüstling und Irre aus Waco, David Koresh, verkündete, er sei von Gott persönlich beauftragt worden, 140 Frauen zu ehelichen. Nachdem er sich bereits mit einer stattlichen Anzahl von zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen vermählt hatte, verhinderte Satan in Gestalt des FBI die Vollendung des Planes. Die Bundespolizei stürmte nach einer langen Belagerung und gewaltigen Schusswechseln die Farm des Auserwählten, welcher 1993 zusammen mit achtzig Getreuen umkam.

Im schwebenden Zustand

Eine fantasievolle Variante kreierte der halb blinde und übergewichtige Japaner Shoko Asahara. Er dilettierte als betrügerischer Apotheker, Rezeptfälscher und Schwindelmediziner, bevor er in den achtziger Jahren eine Offenbarung hatte und behauptete, er könne schweben. Ab da ging es mit dem 30-Jährigen aufwärts.

Er eröffnete eine Sekte, fand heraus, dass er in Wirklichkeit Christus sei, wurde reich und schuf sich unter anderem mit den «Samanas», jungen, liebreizenden «Nonnen», eine Schar gefügiger Gespielinnen.Sie trugen seine selbst gebastelten «Erleuchtungshelme», schluckten seine selbst gemixten Pillen und Chemikalien, die sie wieder vom Boden aufleckten, wenn sie sie erbrachen, sie tranken von seinem göttlichen Blut und Sperma, und er konnte sie besitzen, wann immer ihn eine Eingebung dazu drängte.

Manchmal wäre man beinahe versucht, ebenfalls eine Sekte zu gründen, hätte man nicht das triste Schicksal vor Augen, das die meisten der Auserwählten ereilt. Sie wurden Mörder, Selbstmörder, Zuchthäusler, mitleiderregende Fälle für die Klapsmühle. Die totale Wunscherfüllung ist ein unheilvoller Zustand.

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